Gelsenkirchen. Jörg Schneider, AfD-Kandidat in Gelsenkirchen, äußert sich zu seiner Mitgliedschaft bei der Burschenschaft “Germania“ und dem AfD-Energiekonzept.

Als Jörg Schneider vor vier Jahren vom Gelsenkirchener Berufskolleg für Technik und Gestaltung in den Bundestag wechselte, ließen kritische Medienberichte über seine anhaltende Mitgliedschaft bei der als rechtsextrem geltenden Burschenschaft „Germania“ nicht lange auf sich warten. In seinen vier Jahren als Parlamentarier im Arbeits- und Gesundheitsausschuss fiel der 57-Jährige allerdings weniger mit polternden Wortbeiträgen auf. Schneider begreift sich innerparteilich als Brückenbauer, als Kreissprecher der Gelsenkirchener AfD will er, dass seine Partei als „bürgerlich-konservativ“ angesehen wird. Wie deckt sich das mit seinen Positionen und seiner Vergangenheit? Der AfD-Direktkandidat im Interview-Check.

Herr Schneider, ein zentrales Thema für Gelsenkirchen in diesem Bundestagswahlkampf ist die finanzielle Situation der Kommunen. Über einen Altschuldenschnitt oder eine Neuausrichtung bei der Finanzierung der Kommunen liest man nichts im AfD-Programm. Also bleibt Gelsenkirchen nach Ihren Vorstellungen so arm wie es ist?

Jörg Schneider: In der Tat halte ich einen Schuldenschnitt, wie ihn etwa SPD-Kandidat Markus Töns befürwortet, für problematisch. Man sollte das Geld nicht mit einer großen Gießkanne verteilen. Wo viele Jahre eine schlechte Politik gemacht wurde, würde getilgt. Wo sich bemüht wurde, wenig Schulden zu machen, würde man leer ausgehen. Das halte ich für ungerecht.

Also ist die heutige prekäre finanzielle Situation in Gelsenkirchen für Sie allein eine Konsequenz aus schlechter Politik und nicht etwa vorrangig eine Folge des Strukturwandels?

Es kommen viele Sachen zusammen, natürlich auch der Strukturwandel und die Zuwanderung, die ja auch viele Bezüge zur Kohle-Ära hat. Gleichzeitig muss man aber feststellen, dass man in Gelsenkirchen in all den Jahren nichts Neues auf die Beine gestellt hat. Dortmund hat zum Beispiel das Technologiezentrum, Duisburg den Hafen – und Gelsenkirchen? Die SPD, die hier seit dem Zweiten Weltkrieg Verantwortung trägt, kann sich da nicht einfach aus der Affäre ziehen. [Lesen Sie auch zum Thema Strukturwandel in Gelsenkirchen: Stadtplaner: „Das Ruhrgebiet hat keine gemeinsame Zukunft“]

Die AfD lehnt Ausstiegspläne aus der Kohleverstromung ab. Was ist Ihre Strategie, um klimafreundlicher zu werden?

Es spricht Größenwahn aus denjenigen, die sich nur auf die CO2-Reduzierung fokussieren. Wir geben 100 Milliarden Euro aus, um ein paar Tonnen CO2 einzusparen. Stattdessen sollten wir uns wieder mehr über die Kernenergie unterhalten. Damit wäre sogar eine CO2-freie Energieerzeugung möglich. Wenn die Grünen sagen, dass sie auf jedem Dach eine Solaranlage wollen, denke ich gerne daran, dass eine Solaranlage an einem Dach in Spanien etwa 50 Prozent mehr Energie bringen würde. Warum sollen die Anlagen also hier in Deutschland aufs Dach? Das ist nicht besonders effizient.

Also: Kernenergie für Deutschland, Solarstrom für die Spanier?

Wir können auch darüber nachdenken, Offshore-Windanlagen zu bauen. Aber Windkraftanlagen zu bauen, ohne sich zu fragen, wo der Strom am windstillen Winterabend herkommt, ist für mich eine komplett verfehlte Politik. Außerdem muss auch die Problematik der Energiespeicherung angepackt werden. In Berlin wird gelegentlich über grünen Wasserstoff gesprochen. Aber die Regierung müsste in dem Maße, wie sie erneuerbare Energie ausbauen will, auch die Produktion von grünem Wasserstoff und in weiteren Prozessschritten auch die von synthetischem Gas und synthetischen Kraftstoffen vorantreiben. Diese Schritte fehlen mir im Energiekonzept der Bundesregierung. [Lesen Sie auch zum Thema Wasserstoff:Umwelt: So planen 16 Firmen für den Klimahafen Gelsenkirchen]

Kommen wir zur Afghanistan-Krise. Sie sind Ex-Offizier, haben zwölf Jahre gedient. Können Sie mit diesem Hintergrund nachvollziehen, wenn Bundeswehrsoldaten sagen: Wir müssen möglichst viele Menschen, die uns Deutschen Jahre lang geholfen haben, aus Afghanistan herausholen?

Es gibt auch Bundeswehrsoldaten, die das Gegenteil sagen. Es war nicht so, dass die Taliban all die Jahre verschwunden waren, sie waren allgegenwärtig und haben teils Anschläge verübt. Von manchen Soldaten wird mir zugetragen: Viele Ortskräfte waren dem Druck der Taliban deshalb auch schon vor der Übernahme ausgesetzt und haben Informationen an sie geliefert. Ich finde, dass wir darum sehr genau prüfen sollten, wen wir in unser Land lassen. Es ist sicherlich wenig dagegen einzuwenden, wenn wir jemanden inklusive seiner Kernfamilie nach Deutschland holen, der als Dolmetscher gearbeitet hat, mit unseren Soldaten auf Streife gegangen ist und sein Leben riskiert hat. Solche Menschen haben ein gewisses Bildungsniveau, die bekommen wir schnell integriert. Ich befürchte aber, dass es ausufert und am Ende jeder, der zwei Tage vertretungsweise in einem Botschaftsgarten gearbeitet hat, das Einreiseangebot bekommt. [Lesen Sie auch:Was die Afghanistan-Krise für Gelsenkirchen bedeutet]

Die Gefahr, dass es ausufert, ist gering. Es wird aktuell von etwa 10.000 Ortskräften gesprochen.

Wenn es in diesem Bereich bleibt, ist es kein Problem. Das würden wir hinkriegen. Die Frage ist aber, ob eine rot-grüne Regierung die Zahl immer mehr ausweiten würde – und damit einen Shuttleservice von Afghanistan nach Deutschland einrichtet.

Lässt sie das kalt, wenn Sie sehen, wie Menschen sich versuchen, am Kabuler Flughafen verzweifelt an Flugzeuge zu klammern?

Natürlich nicht, das sind schon menschliche Tragödien, die sich da abspielen. Die AfD hat nie abgelehnt, Menschen zu helfen. Aber ich finde, dass wir diese Hilfe vor allem ortsnah leisten sollen.

„Es ist sicherlich wenig dagegen einzuwenden, wenn wir jemanden inklusive seiner Kernfamilie nach Deutschland holen, der als Dolmetscher gearbeitet hat“, sagt Jörg Schneider, hier auf einer AfD-Demo im November 2020.
„Es ist sicherlich wenig dagegen einzuwenden, wenn wir jemanden inklusive seiner Kernfamilie nach Deutschland holen, der als Dolmetscher gearbeitet hat“, sagt Jörg Schneider, hier auf einer AfD-Demo im November 2020. © FUNKE Foto Services | Oliver Mengedoht

Wie soll so eine ortsnahe Lösung aussehen – und wie soll man dabei die Einhaltung der Menschenrechte gewährleisten? In libyschen Flüchtlingslagern etwa hat man keine guten Erfahrungen mit ortsnahen Lösungen gemacht, dort sprechen Beobachter von „KZ-ähnlichen Zuständen“.

Die Nachbarländer von Afghanistan, Tadschikistan oder Usbekistan, sind flächenmäßig große, aber auch bitterarme Länder. Da müssen wir finanzielle Lösungen bereitstellen, die auch ein Hebel sein können, um bestimmte Standards zu gewährleisten. Das wäre eine effizientere Lösung als die Menschen unter vergleichbaren Bedingungen in Deutschland unterzubringen, wo dies etwa zehn Mal teurer wäre.

Schauen wir auf Gelsenkirchen: Wenn hier Probleme wie die Pöbeleien von jungen Menschen mit Migrationshintergrund in der City diskutiert werden, fordert die Gelsenkirchener AfD-Fraktion eine „Minus-Migration“. Wie kann das die Antwort sein, wenn es dabei um Jugendliche geht, die der dritten oder vierten Einwanderungsgeneration angehören und hier geboren sind?

Natürlich hat jeder mit der deutschen Staatsbürgerschaft das Recht, hierzubleiben. Wir haben aber eben auch Menschen, die hier in der dritten Generation leben und noch kein Deutsch sprechen und noch sehr in ihrer Kultur leben – ob das die Cousinen-Heirat ist oder ein merkwürdiges Frauenbild. Da müssen wir doch anerkennen, dass einiges in der Integrationspolitik nicht richtig funktioniert hat. Mit dem Wissen, dass wir noch eine große Bugwelle abzuarbeiten haben und Afghanen nicht so leicht zu integrieren sind, sollten wir also nicht noch viel mehr Leute ins Land holen.

Die AfD fordert im Umgang mit solchen Menschen schnell: Härter sein – mehr Ordnungskräfte und mehr Polizei. Sie sind nicht gerade dafür bekannt, einen großzügigen Etat für Integrationsaufgaben zu fordern.

Die Bürger haben ein Schutzbedürfnis, dem wir zunächst Rechnung tragen müssen. Das ist egal, wer die Jugendlichen sind, die randalieren. Da müssen Ordnungskräfte und Polizei eingreifen. Die Integrationsaufgaben stehen auf einem anderen Blatt. Hier müssen wir den Menschen, die zu uns kommen, ganz klar sagen, welche Anforderungen wir an sie haben. Und wenn sie sich nicht daranhalten, muss das ablaufen wie im Fußball: Irgendwann gibt’s die Verwarnung, irgendwann die gelbe und die rote Karte.

Sie sind immer noch Mitglied der Burschenschaft „Germania“, die vom Hamburger Verfassungsschutz beobachtet und als rechtsextrem eingestuft wird. Was haben Sie da zu suchen?

Diese Verbindungen funktionieren nach dem sogenannten Lebensbundprinzip. Das heißt: Man ist während des Studiums da aktiv und hinterher wird man ein „Alter Herr“, der einen erhöhten Monatsbeitrag zahlt. Ich habe damals im Studium davon profitiert, dass es den Beitrag der „Alten Herren“ gab, mit dem wir Reisen oder das Verbindungshaus finanziert haben. Ich würde mir schäbig vorkommen, wenn ich da heute keinen Beitrag mehr zahlen würde.

Schneider war auch OB-Kandidat

Jörg Schneider trat bei der vergangenen Kommunalwahl im Jahr 2020 auch als Oberbürgermeister-Kandidat für Gelsenkirchen an. Er holte 12,1 Prozent der Stimmen.

Als Bundestagsdirektkandidat trat Jörg Schneider 2017 erstmals an. Dabei erhielt er 16,9 der Erststimmen und landete hinter Markus Töns (SPD) und Oliver Wittke (CDU) auf Platz drei. Dass Schneider erneut ein Bundestagsmandat erhält, gilt als sicher: Er wurde auf Landeslistenplatz 5 der AfD gewählt.

Gegenbeispiel: Wenn jemand in einer vom Verfassungsschutz beobachteten Koranschule gehen würde, die von dem finanziellen Engagement älterer Mitglieder profitiert, dann würden Sie denjenigen doch an die Wand nageln, wenn er ihr aus Schuldgefühlen ein Leben lang verbunden bleibt?

(Pause) Das würde ich gewiss nicht tun. So gesehen würde ich demjenigen wohl sagen: Sehen Sie, so ein Problem habe ich mit meiner Verbindung ebenfalls. Das ist ein Zwiespalt, in dem man steht. Ich heiße sicherlich auch nicht alles gut, was in der Burschenschaft gesagt wird. Ich habe ohnehin nur einen sporadischen Kontakt zu vielen Mitgliedern. Diejenigen, mit denen ich Kontakt habe, erlebe ich aber als vernünftige Leute. Es mag aber auch das eine oder andere Mitglied geben, mit dem ich nicht in den Urlaub fahren würde ...

…, weil derjenige rechtsextrem ist?

Wenn der Verfassungsschutz dort Verdachtsmomente hat, dann könnte ich mir vorstellen, dass das auch Leute sind, die mir politisch nicht liegen. Aber für mich ist so eine Verbindung mehr als einzelne Mitglieder.

Würden Sie bei „Germania“ auch Menschen begrüßen, die dunkle Haut und schwarze Haare haben?

Wir haben bei den Burschenschaften das Prinzip der deutschen Abstammung, wobei das locker gehandhabt wird. Im Grunde heißt das: Man muss sich diesem Land eben verbunden fühlen. Ein guter Bekannter ist Halb-Malaie, ist auch nicht blond und hat leicht asiatische Gesichtszüge – und er hätte auch Mitglied werden können. [Lesen Sie auch: AfD: Großteil der Bürger hält AfD für rechtsradikal]

Im Verfassungsschutzbericht wird von Hitlergrüßen berichtet, die auf Treffen der Burschenschaft gezeigt geworden sein sollen. In Ihrer Zeit in den Achtzigern hat niemand den Arm gehoben?

Nein. Ich war zu meiner aktiven Zeit Offizier, bin später Jugendoffizier gewesen und für die Bundeswehr durch die Schulen gezogen. Da wurde ich entsprechend durchleuchtet. Wenn da eine Nähe zu Hitlergrüßen bestanden hätte, wäre ich sicher kein Jugendoffizier geworden oder möglicherweise sogar ganz aus der Bundeswehr geflogen.