Gelsenkirchen. Jürgen Bartsch ist einer der berüchtigtsten deutschen Serienmörder. Das zweite Opfer der „Bestie von Langenberg“ stammte aus Gelsenkirchen.

Grausame Serienmörder gab es einige in der Geschichte der Bundesrepublik. Peter Kürten, der „Vampir von Düsseldorf“. Fritz Haarmann, der „Schlächter von Hannover“. Joachim Kroll, der „Ruhrkannibale“.

Doch kaum eine Mordserie hat sich so sehr in das kollektive Gedächtnis eingebrannt wie die des Langenberger Metzgergesellen Jürgen Bartsch. Vier Jungen entführt, quält und tötet der zum Zeitpunkt seiner Festnahme erst 19-Jährige, den die Presse später den „Kirmesmörder“ oder die „Bestie von Langenberg“ tauft. Bartschs zweites Opfer war der 13-jährige Peter Fuchs aus Gelsenkirchen.

Dieser Text ist Teil der historischen WAZ-Serie „Tatort Gelsenkirchen“, in der wir bewegende Mordfälle der letzten 66 Jahre noch einmal aufarbeiten. Wie gingen die Ermittler damals vor? Welche Motive standen hinter den Taten? Wie erinnern sich Zeitzeugen an die Fälle, wie blicken Experten heute darauf? Als Recherchequelle diente unter anderem das große Archiv der WAZ Gelsenkirchen, das bis in die Vierzigerjahre zurückreicht.

Peter Fuchs (13) aus Gelsenkirchen verschwindet auf dem Rückweg von seiner Tante

Peter hat gerade vier Tage bei seiner Tante in Duisburg-Hamborn verbracht und will zu seinen Eltern nach Resse zurückfahren, als er in Bartschs Fänge gerät. An diesem Tag, das wird sein Vater Rudolf Fuchs später den Kriminalbeamten sagen, trägt er seinen Kommunionsanzug, einen Ledergürtel und braune Schuhe. In der Tasche hat er eine Mark und siebzig Pfennig Fahrgeld. Zum letzten Mal wird er am 6. August 1965 am Oberhausener Hauptbahnhof auf dem Abfahrtsbahnsteig Richtung Gelsenkirchen gesehen. Bis Peters Schicksal endlich aufgeklärt werden kann, wird es zehn lange Monate dauern.

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Drei Jahre vor Peter verschwindet der achtjährige Klaus Jung. Jürgen Bartsch ist erst 15 Jahre alt, als er ihn tötet. Später wird er sagen, dass er zwischen dem ersten und zweiten Mord immer wieder versucht habe, weitere Jungen anzulocken – doch es sei ihm einfach nicht gelungen. 1965 und 1966 trifft es den zwölfjährigen Ulrich Kahlweiß und den elfjährigen Manfred Graßmann.

Jürgen Bartsch’ letztes Opfer kann fliehen – Mordserie wird aufgeklärt

Panik geht im Ruhrgebiet um, Eltern machen sich große Sorgen um ihre Kinder. Wer ist dieser eiskalte Täter, der sich einen Jungen nach dem anderen holt? Und wann wird er erneut zuschlagen? Was genau den Jungen widerfährt, das wissen sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Die Todesfalle der Kinder ist ein alter Luftschutzstollen in Langenberg. Dort fesselt, foltert, missbraucht und tötet Bartsch sie. Anschließend zerstückelt er ihre Leichen.

Bartschs Mordserie wird nur aufgedeckt, weil sein fünftes und letztes Opfer fliehen kann. Er hatte den 14-jährigen Peter Frese aus Wuppertal wieder in den Stollen gebracht und gefesselt. Dann war er zu seinen Adoptiveltern nach Hause zurückgekehrt – denn es war Zeit fürs Abendessen und die Familie Bartsch legt Wert auf Pünktlichkeit. Als der zuvor bewusstlose Junge aufwacht, findet er neben sich angezündete Kerzen. Damit brennt er seine Fesseln durch und entkommt. So kann er die Polizei zu dem Stollen führen.

Eltern des Gelsenkirchener Opfers sind dem Zusammenbruch nahe

Peter Fuchs’ Eltern sind dem Zusammenbruch nahe, als sie erfahren, dass ihr Sohn Opfer des „Kirmesmörders“ geworden ist. So tauft ihn die Presse, weil er mindestens eines seiner Opfer auf dem Rummel angesprochen hat. „Wir haben die ganze Nacht kein Auge zugetan“, werden die beiden in der WAZ Gelsenkirchen zitiert. „Lieber will ich nicht wissen, was mit meinem Sohn passiert ist“, betont Hannelore Fuchs. Und Rudolf Fuchs sagt verzweifelt: „Er darf nicht durch diese Bestie gestorben sein.“

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Jürgen Bartsch selbst erzählt den Kriminalbeamten von seinem Zusammentreffen mit Peter. Er war in Essen-Rüttenscheid auf den Jungen aufmerksam geworden. Dorthin hatte sich Peter verirrt. „Er stand so hilflos herum. Er fragte Passanten nach dem Weg“, sagt Bartsch. Daraufhin habe er mit dem Lieferwagen seiner Pflegeeltern angehalten, sei ausgestiegen und habe den 13-Jährigen nach Langenberg mitgenommen.

Bartsch berichtet in einem Brief, wie er auf den Gelsenkirchener aufmerksam wurde

Peter Fuchs, „das war der arme Junge, den ich auf dem Rückweg aus den Ferien aufgriff“, schreibt Bartsch am 4. November 1966 in einem Brief an seinen Anwalt Heinz Möller. „Ohne Umschweife: Ich sah sofort, dass der Kleine sich in Essen verlaufen hatte und nicht wusste, wohin er sich wenden sollte. Ich nutzte das sofort aus. Der Junge hatte seit morgens nichts gegessen, und ich sehe noch heute sein vor Glück strahlendes Gesicht vor mir, als ich ihm meine Hilfe anbot.“

Wer ist dieser Mann, der so grausam, so triebgesteuert mordet? Jürgen Bartsch wird am 6. November 1946 in Essen geboren und auf den Namen Karl Heinz Sadrozinski getauft. Er ist ein uneheliches Kind. Kurz nach der Geburt wird er von seiner Mutter, die an einer schweren Tuberkulose leidet, getrennt. Wenig später stirbt sie. Elf Monate, länger als die allermeisten anderen Babys, bleibt Jürgen im Krankenhaus.

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Dort entdecken ihn die wohlhabenden Eheleute Gertrud und Gerhard Bartsch, Inhaber eines Metzgereigeschäftes in Langenberg. Sie adoptieren den Jungen und geben ihm den Namen Jürgen. Doch obwohl er in diesem bürgerlichen Umfeld von außen betrachtet die besten Chancen gehabt hätte, eine glückliche Kindheit und Jugend zu verleben, ist das Gegenteil der Fall.

Bartsch betont stets, er habe nicht gegen seinen Trieb ankämpfen können

Gertrud Bartsch leidet unter einem extremen Sauberkeitswahn, ist herrisch und gewalttätig. Bis zu seiner Festnahme im Alter von 19 Jahren badet sie ihren Adoptivsohn täglich. Bekannte der Familie, so schreibt der amerikanische Journalist Paul Moor, der mit Jürgen Bartsch Hunderte von Briefen ausgetauscht hat, hätten gesehen, dass das Baby immer wieder Blutergüsse aufweise. Mit den Worten „Ich muss nach Hause, sonst schlägt sie mir das Kind tot“, soll sich Gerhard Bartsch einmal eilig verabschiedet haben.

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In der Schule ist Bartsch ein Außenseiter, wird gehänselt, hat keine Freunde. Weil er rebelliert, schicken ihn die Eltern mit zwölf Jahren in ein hartes katholisches Internat, die Klosterschule der Don-Bosco-Salesianer in Marienhausen. Dort wird er nach eigenen Angaben von einem Pater sexuell missbraucht.

Geht es um seine Taten, so gibt Bartsch stets große Reue vor. „Ich darf gar nicht zuviel an die armen Würmer denken, das ist nicht gut. Warum denn? Warum? Hatte mich meine Veranlagung so richtig in ihren Fängen, war eben alles aus, da gab es kein Entgegenstellen oder gar einen eigenen Willen!“, schreibt er in einem Brief.

Jürgen Bartsch stirbt auf dem OP-Tisch, als er sich kastrieren lassen will

Ist der Mann, den zur Zeit seines Prozesses viele Beobachter als das personifizierte Böse betrachten, also in Wahrheit einfach krank? Im ersten Verfahren kommt das Gericht nicht zu diesem Schluss. 1967 erhält Jürgen Bartsch die Höchststrafe: lebenslang Zuchthaus. Sein Anwalt, der prominente Münchener Strafverteidiger Rolf Bossi, erwirkt später jedoch die Aufhebung des Urteils und einen Schuldspruch nach Jugendstrafrecht.

Diesmal billigt das Gericht dem Täter aufgrund seiner sexuellen Perversion und schwer gestörten Persönlichkeit eine verminderte Schuldfähigkeit zu. Bartsch wird zu zehn Jahren Jugendhaft und der anschließenden Unterbringung in einer psychiatrischen Anstalt verurteilt. 1976 will er sich chirurgisch kastrieren lassen. Bei der Operation macht der zuständige Anästhesist einen Narkosefehler. Bartsch erleidet auf dem OP-Tisch einen Kreislaufkollaps und stirbt.