Essen. Vier Jungen ermordete Kindermörder Jürgen Bartsch in den 60er-Jahren auf grausame Weise. Am 28. April 1976 starb er selbst in der Haft.

Als er das erste Mal mordet, ist er selbst fast noch ein Kind: Jürgen Bartsch aus Langenberg, der in den 60er-Jahren als „Kirmesmörder“ traurige Berühmtheit erlangte. Seine Morde erschütterten damals nicht nur Velbert und die Region, sondern die gesamte Bundesrepublik - und der Fall veränderte die Strafjustiz.

Zwischen 1962 und 1966 lockt der Metzgerlehrling Bartsch vier Jungen im Alter von acht bis 13 Jahren in einen ehemaligen Luftschutzbunker im Stadtteil Bonsfeld. Bei seiner ersten Tat, am 31. März 1962, ist Bartsch 15 Jahre alt. Sein Opfer: ein achtjähriger Junge. Ihn und seine anderen Opfer spricht der Serientäter auf Kirmesplätzen an, meist am Autoscooter.

Tatort in einem Stollen: Folter, Missbrauch, Mord

Dem sadistisch und pädophil veranlagten Bartsch fallen noch drei weitere Kinder zum Opfer, elf, zwölf und 13 Jahre alt. Peter Fuchs (13) und Ulrich Kahlweiß (12) im Sommer 1965 und Manfred Graßmann (11) im Mai 1966. Im Stollen nahe seines Elternhauses fesselt, foltert und missbraucht Bartsch die Kinder. Sein letztes Opfer erschlägt Bartsch; die Leiche zerteilt er mit einem Schlachtermesser aus der elterlichen Metzgerei. Das konnte gerichtsmedizinisch bestätigt werden, anders als bei den drei früheren Opfern, die bereits zu verwest waren, als man ihre sterblichen Überreste fand.

In diesen Stollen lockte Kindermörder Jürgen Bartsch seine Opfer. Das letzte von ihm festgehaltene Kind konnte entkommen und führte die Polizei zum Tatort.
In diesen Stollen lockte Kindermörder Jürgen Bartsch seine Opfer. Das letzte von ihm festgehaltene Kind konnte entkommen und führte die Polizei zum Tatort. © picture alliance / dpa

Der letzte Junge, der sich in der Gewalt von Bartsch befindet, kann seinem Peiniger entkommen: Am 18. Juni 1966 lockt Bartsch den 14-jährigen aus Wuppertal in den Langenberger Stollen. Dort fesselt Bartsch den Jungen, quält ihn – und geht; mit der Drohung, später wiederzukommen und ihn zu töten. Dem Jungen aber gelingt es, mit den Kerzen, die sein Entführer im Bunker brennen ließ, seine Fußfesseln zu durchtrennen und zu entkommen.

Der Junge führt die Polizei schließlich zum Tatort. Am 21. Juni 1966, drei Tage nach der Flucht aus dem Stollen, nimmt die Polizei den damals 19-Jährigen in seinem Elternhaus fest. Den entscheidenden Hinweis gibt ein Langenberger Malermeister. Dessen Sohn war von Bartsch 1961 – noch vor dem ersten Mord – in den Bunker gelockt und gequält worden. Für dieses Vergehen war Bartsch, damals erst 14 Jahre alt, wegen Körperverletzung angeklagt – doch das Wuppertaler Amtsgericht stellte den Fall ein. Womöglich hätte die ganze Mordserie damals verhindert werden können.

Der Fall Jügen Bartsch "hat die Strafjustiz verändert"

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So aber beginnt Ende November 1967 der Prozess wegen des vierfachen Kindermordes vor dem Landgericht Wuppertal. Bartsch ist geständig, gibt den Ermittlern nach seiner Festnahme freundlich und bereitwillig Auskunft über seine Taten: „Bartsch hat unter seinen Taten und seinen eigenen Fantasien selbst gelitten und wollte sie loswerden. Einen Mangel an Empathie, wie bei vielen Tätern dieses Kalibers, gab es bei ihm nicht“, berichtet der Psychiater Professor Norbert Leygraf von der Uni Duisburg-Essen.

„Der Fall hat die Strafjustiz verändert“, sagt Mark Benecke. Der Kriminalbiologe hat sich lange mit dem „Kirmesmörder“ beschäftigt. Der Fall hat dafür gesorgt, dass in ähnlichen Fällen nicht mehr nach dem Henker, sondern nach dem Arzt gerufen wird.

Nachdem Bartsch in erster Instanz zu lebenslanger Haft verurteiltwurde, gestand man ihm in der Revision verminderte Schuldfähigkeit zu. Das Urteil: zehn Jahre Jugendhaft und anschließende Unterbringung in der psychiatrischen Klinik Eickelborn. Der Fall Bartsch ist auch heute noch „ein psychiatrisches und kriminalistisches Lehrstück“, sagt Benecke.

Kindermörder Jürgen Bartsch stirbt bei Kastration

Der junge Jürgen Bartsch in der Metzgerei seiner Adoptiveltern. Mit einem Schlachtermesser aus dem Betrieb zerteilte er die Leichen seiner Opfer.
Der junge Jürgen Bartsch in der Metzgerei seiner Adoptiveltern. Mit einem Schlachtermesser aus dem Betrieb zerteilte er die Leichen seiner Opfer. © dpa

1946 wird Bartsch in Essen-Holsterhausen geboren, sein wirklicher Name lautet Karl-Heinz Sadrozinski. Sein Vater fiel wohl im Krieg, die Mutter stirbt wenige Tage nach der Geburt. Das wohlhabende Ehepaar Bartsch adoptiert später den knapp einjährigen Jungen. Seine Adoptivmutter lebte wohl einen extremen Sauberkeitswahn, war herrisch, rechthaberisch und wohl auch gewalttätig. Sie verbot Jürgen, sich schmutzig zu machen, sperrte ihn bis zum sechsten Lebensjahr ein, oft in einen lichtlosen Keller. Bis zu seinem 19. Lebensjahr soll sie ihren Sohn eigenhändig in der Badewanne gewaschen haben. Mit zehn Jahren kam Bartsch erstmals in ein Heim, dann mit zwölf in ein strenges katholisches Internat. Hier wurde der Junge eigenen Angaben zufolge von einem Pater sexuell missbraucht.

Am 28. April 1976 stirbt Jürgen Bartsch im Alter von 29 Jahren: bei der Kastration, die er selbst beantragt hatte, um der lebenslänglichen Unterbringung in der Psychiatrie zu entgehen. Schuld ist ein Narkosefehler. Der verantwortliche Arzt erhält eine Bewährungsstrafe. Bartsch wird in einem anonymen Grab auf einem Essener Friedhof beigesetzt.