Gelsenkirchen. Drei Gelsenkirchener nehmen einen erneuten Anlauf für eine Innenstadt ohne privatgenutzte Pkw – eine Idee, an der sich die Geister scheiden.
Wie nur soll es nach der ewigen Corona-Öde in der Gelsenkirchener Innenstadt weitergehen? Vielleicht ganz anders als zuvor – nämlich möglichst ohne Autos. Davon träumen drei Gelsenkirchener und legen der Stadt zum zweiten Mal einen Antrag zur „Aufwertung der Innenstadt zu einem urbanen Bereich mit erhöhter Aufenthaltsqualität“ vor, kurz: zu einer autofreien Innenstadt. Seit der Ex-Grüne Bernd Matzkowski im November 2020 erstmalig mit der Idee an die Öffentlichkeit ging, wird sie auch in der Politik rege diskutiert – mal mit Begeisterung, mal mit Ablehnung.
„Die alte Gelsenkirchener Innenstadt, die Kaufhäuser wie Weka, Bekleidungshäuser wie Boecker oder Sinn und inhabergeführte Fachgeschäfte wie Preute aufwies, ist vergangen und nicht rekonstruierbar“, heißt es in dem Antrag. „Der Lebensraum Innenstadt soll deshalb zukunftsgerecht weiterentwickelt werden.“ Das heißt: Die Ring-, Flora, Overweg-, Husemann und Hiberniastraße sollen die Grenzen einer Zone bilden, in welcher der private Autoverkehr auf ein Minimum reduziert wird.
„Entlang dieses Innenstadtrings gibt es doch schon mehrere Parkhäuser und Parkflächen, die man noch optimieren könnte und die fußläufig von allen Seiten gut erreichbar sind“, sagt der Gelsenkirchener Buchhändler Dirk Niewöhner, neben Bernd Matzkowski und Heinz Niski Teil des Antragsteller-Trios. Ausnahmen für Autos soll es dann nur noch für die Zufahrt zu privaten Garagen, für Pflegedienste oder den Liefer-, Linien- und Taxiverkehr geben.
Buchhändler: Autofreie Zone wäre „rein kaufmännisch“ ein Gewinn
„Viel wird darüber geredet, dass sich der Einzelhandel wandeln und einen Erlebniseinkauf bieten muss“, sagt Niewöhner. „Aber wie soll ich Entertainment in meine Läden bringen, wenn vor meiner Tür wieder mal ein knallender BMW entlang rast?“ Den Leuten ihr Auto wegzunehmen, sei absolut nicht sein Anliegen. „Ich bin der Letzte, der das tun würde“, sagt der Antragsteller. „Aber ich sehe eine autofreie Zone rein kaufmännisch als Vorteil, weil die Stadt dadurch an Charme gewinnen könnte.“
Keine Zone in Buer
Erstmals hatten Bernd Matzkowski und Heinz Niski im November 2020 einen Bürgerantrag zu einer autofreien Innenstadt vorgelegt. Folgend wurden sie von der Stadt zu einer Videokonferenz im Rahmen des „Masterplan Innenstadt“ eingeladen. Mit Stadtbaurat Christoph Heidenreich sei dann vereinbart worden, die Befassung mit dem Antrag bis nach der Konferenz ruhen zu lassen.
Eine autofreie Zone in Buer wurde aus dem nun zweiten Antrag gestrichen, jetzt geht es allein um die Altstadt. Matzkowski begründet das damit, dass sich in Buer inzwischen eigene Initiativen zur Verkehrsreduzierung entwickelt hätten. Vor kurzem forderte dort die Arbeitsgemeinschaft Verkehr im Quartiersnetz Buer-Ost, vier Straßen zu Fahrradstraßen zu machen.
Aus der Politik haben bislang die Fraktion der Linken und der PARTEI Unterstützung signalisiert, aber auch die FDP-Fraktionschefin Susanne Cichos hält die Initiative für „einen sympathischen Bürgerantrag, durch den sich eine Chance auftut, die City lebenswerter zu gestalten“. Zwingend erforderlich sei es aber, alle Akteure – Anwohner, Einzelhandel und Gastronomie – einzubinden. „Sie müssen dieses Modell mittragen.“ Hand in Hand mit einer Verkehrsreduzierung sollte eine weitere Entsiegelung von Flächen gehen. Auch könnte sich die FDP vorstellen, klimaneutrale Minibusse auf Bestellung durch die Straßen rollen zu lassen.
Die Grünen haben bereits während der abgeschlossenen Haushaltsberatungen gefordert, 100.000 Euro für eine Studie zur Umsetzung eines autofreien Bereichs einzustellen. Der Antrag wurde abgelehnt. „Es ist aber wichtig, dass wir diese Debatte über die Zukunft der Innenstadt breit weiterführen“, sagt die verkehrspolitische Sprecherin Birgit Wehrhöfer, die es für sinnvoll hält, über kleinere Maßnahmen den Weg zu einer City ohne Autos zu gehen. Als Beispiele nennt Wehrhöfer einen autofreien Tag auf zentralen Straßen, aber auch „weniger symbolische Aktionen“ wie weitere Temporeduzierungen, mehr Fahrradstraßen oder eine Ausweitung von Fußgängerbereichen vor allem dort, wo es viel Gastronomie gibt.
Autofreie Innenstadt: CDU und SPD skeptisch, AfD ablehnend
„Ist wirklich die richtige Zeit für so einen Impuls?“, fragt dagegen CDU-Fraktionschef Sascha Kurth. „Die Kaufkraft kommt immer noch auf vier Rädern in die Stadt – wir wollen nicht, dass sie abwandert.“ Mit einer Kundschaft aus „einigen Lastenfahrrad-Begeisterten und überzeugten Grünen“ sei die City noch nicht zu retten. Man teile in der CDU-Fraktion zwar das Ziel, den Verkehr in den Zentren möglichst zu reduzieren, aber man müsse erst die Rahmenbedingungen schaffen, bevor man weitere Straßen für Autos sperrt. Parkmöglichkeiten entlang des Innenstadt-Rings gebe es eben noch nicht genug, findet Kurth.
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SPD-Fraktionsvize Lukas Günther nannte die bisherige Debatte in seiner Haushaltsrede im März „sozial ungerecht“. Erst wenn Pflegekräfte oder Handwerker auch mitten in der Nacht ihren Arbeitsplatz komfortabel mit dem ÖPNV erreichen könnten und nicht gezwungen seien, ihren Wohnort in der Innenstadt aufzugeben, sei ein Privat-PKW-Tabu fair. „Erst wenn wir die Transformation unserer Innenstädte in Wohlfühl- und Freizeitorte abgeschlossen haben, in denen sich der Einzelhandel erfolgreich gegen Online-Konkurrenz wehren kann, sind autofreie Zentren wirtschaftlich sinnvoll“, argumentierte Günther.
AfD: „Keine verkehrspolitische Schikanen“
Auch SPD-Fraktionschef Axel Barton hält die Debatte für verfrüht. „Wir werden in dieser Legislatur einiges erreichen mit Blick auf die Verkehrsberuhigung in der Innenstadt“, versicherte er. Nur dürfe man nicht den zweiten Schritt vor dem ersten tun.
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Kategorische Ablehnung kommt von der AfD. „Wir sind strikt gegen verkehrspolitische Schikanen und vernachlässigte Verkehrswege, mit denen ein Umstieg auf den öffentlichen Nah- und Fernverkehr erzwungen werden soll“, sagte der verkehrspolitische Sprecher der Fraktion, Mathias Pasdziorek. „Die AfD fordert ‚Freie Fahrt für freie Bürger‘ und lehnt alle Beschränkungen aus anderen Gründen als der Verkehrssicherheit ab!“