Gelsenkirchen. Starke Frauen in der Öffentlichkeit erleben nicht selten sexistische Anfeindungen. Was OB Welge und andere Politikerinnen schon erlebt haben.

Wenn starke Frauen in der Öffentlichkeit stehen, gefällt das nicht jedem. Und nicht immer haben sie es leicht. Seien es sexistische Kommentare, seien es Anfeindungen, sei es die Tatsache, dass ihr Karriereweg steiniger ist als der ihrer männlichen Kollegen. In Gelsenkirchen gibt es eine Reihe von politischen Akteurinnen, die offensiv auftreten, auffallen, ihre Meinung äußern. Wir haben sie gefragt, welche Erfahrungen sie mit Sexismus und sexualisiertem Hass gemacht haben.

Jede der befragten Politikerinnen hat dazu den gleichen Fragenkatalog bekommen. Wir wollten unter anderem von ihnen wissen: Haben sie schon einmal Frauenfeindlichkeit im Rat oder aufgrund ihrer politischen Funktion erlebt? Haben sie beruflich oder privat schon einmal das Thema Frauenfeindlichkeit thematisiert – und welche Reaktionen haben sie darauf bekommen? Wurden sie aufgrund ihrer politischen Funktion schon einmal bedroht oder haben sexualisierten Hass zu spüren bekommen? Haben sie sich in ihrem Werdegang je aufgrund ihres Geschlechtes benachteiligt gefühlt? Lesen Sie hier, was sie geantwortet haben.

Karin Welge (SPD), Oberbürgermeisterin

Oberbürgermeisterin Karin Welge sagt klar: „Auch ich habe, wie alle Frauen, ob im Beruf oder privat, Diskriminierung und Zurücksetzung erlebt.“
Oberbürgermeisterin Karin Welge sagt klar: „Auch ich habe, wie alle Frauen, ob im Beruf oder privat, Diskriminierung und Zurücksetzung erlebt.“ © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Mit Oberbürgermeisterin Karin Welge steht zum ersten Mal in der Gelsenkirchener Stadtgeschichte eine Frau an der Spitze der Verwaltung. Sie sagt klar: „Ja, auch ich habe, wie alle Frauen, ob im Beruf oder privat, Diskriminierung und Zurücksetzung erlebt. Ich habe aber glücklicherweise weder Gewalt noch traumatisierende Momente erfahren müssen, wie das leider bei vielen anderen Frauen der Fall war.“

In der Politik hätten es Männer sicherlich einfacher, betont Welge: „Die Netzwerke bei männlichen Politikern sind etabliert und funktionieren besser. Da haben wir Frauen durchaus Nachholbedarf und könnten erfolgreicher miteinander kooperieren. Und Teil schon bestehender Netzwerke zu werden, die männlich dominiert sind, ist auch kein Selbstläufer.“

Welges Erfahrung: „Frauen sollten ihre Worte sehr bedacht und achtsam wählen, auch und vor allem, wenn sie die Rollen der Frauen in Politik und Gesellschaft thematisieren, um nicht in Kästchen gesteckt zu werden mit Aufschriften wie: ‘Typische Frau’“.

Trotzdem bleibe es notwendig, das Thema Frauen nach wie vor politisch zu besetzen. Über die Situation von Frauen in der Gesellschaft zu reden, sei einfach, so die Einschätzung der Oberbürgermeisterin. „Hier regiert das Verständnis. Aber konkrete Forderungen aufzustellen, sie einzuklagen oder darauf zu drängen, dass Versprochenes umgesetzt wird, ist eine ganz andere Sache.“

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Erfahrungen mit sexualisiertem Hass hat die Oberbürgermeisterin vor allem im Kommunalwahlkampf gemacht. „Was ich hier zuweilen lesen musste, war teilweise sehr diskriminierend, zum Teil auch offen sexistisch und einfach brutal. Die Kombination Frau und Bewerberin für das oberste Amt der Stadt hat offensichtlich die Fantasien einiger Männer beflügelt“, berichtet sie. „Teilweise haben sogar – für mich überhaupt nicht nachvollziehbar – politische Mitbewerber und deren Umfeld, manchmal offen, meist aber eher subtil mit rückwärtsgewandten Begriffen und Phrasen deutlich danebengegriffen.“

Auch ihr politischer Werdegang sei nachhaltig durch ihre Rolle als Frau geprägt: „Ich bin alleinerziehende Mutter von zwei mittlerweile erwachsenen Töchtern. Meine Biografie ist weiblich, das heißt, mein Werdegang hat mich an vielen potenziellen Stolpersteinen entlanggeführt, über die wir Frauen fallen können.“

Dennoch habe sie während der Jahre nicht das Gefühl gehabt, „Zuschauerin ihres Lebens als Frau“ zu sein, sondern habe es aktiv gestalten können. „Ich weiß: Das ist ein Privileg, das nicht alle Frauen haben“, so Welge. „Ich weiß, dass dies auch die Verpflichtung mit sich bringt, dieses Privileg zu nutzen.“

Adrianna Gorczyk (Bündnis 90 / Die Grünen), Fraktionsvorsitzende

Adrianna Gorczyk, Fraktionsvorsitzende der Gelsenkirchener Grünen, betont: „Allgemeiner ‘Grünen-Hass’ und Frauenfeindlichkeit gehen aus meiner Sicht oft Hand in Hand.“
Adrianna Gorczyk, Fraktionsvorsitzende der Gelsenkirchener Grünen, betont: „Allgemeiner ‘Grünen-Hass’ und Frauenfeindlichkeit gehen aus meiner Sicht oft Hand in Hand.“ © FUNKE Foto Services | Lutz von Staegmann

Adrianna Gorczyk ist Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Gelsenkirchener Rat. Dort habe sie bisher keine offene Frauenfeindlichkeit erlebt, sagt sie. Wohl aber gebe es Sexismus, wenn auch in subtiler Form: „Das waren zum Beispiel pseudo-charmante Aussagen zum Aussehen von oder über die eigenen Sympathie zu weiblichen Stadtverordneten durch Männer.“

Abgesehen davon weist Gorczyk darauf hin, der Frauenanteil der Stadtverordneten sei unzureichend, und betont: „Außerdem fällt mir immer wieder auf, dass – abgesehen von den Fraktionen von FDP und Grünen – ausschließlich Männer in Hintergrundgespräche involviert sind, selbst bei den Fraktionen, die eine Frau im Fraktionsvorstand haben.“

Das Thema Frauenfeindlichkeit habe sie schon häufig thematisiert. Einerseits beobachte sie dabei eine wachsende Wachsamkeit aufseiten von Männern für das Thema. Gleichzeitig bestünden Männer aber immer wieder darauf, dass sie ebenfalls Erfahrungen mit Diskriminierung und Gewalt gemacht hätten, die es ebenso zu beachten gelte: „Die strukturelle Verfasstheit des Problems der Frauenfeindlichkeit wird dann außer Acht gelassen“, bemängelt Gorczyk.

Was die Grünen-Fraktionschefin außerdem beobachtet: „Allgemeiner ‘Grünen-Hass’ und Frauenfeindlichkeit gehen aus meiner Sicht oft Hand in Hand, ich bin sogar der Meinung, dass politisch aktive Frauen im ‘grünen Kontext’ in vielen rechtspopulistischen bis rechtsextremen Kreisen quasi als ‘Lieblingsfeind’ oder das ‘optimale Hass-Objekt’ gelten.“

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So sei beispielsweise im Kommunalwahlkampf ein Plakat mit einem Foto von ihr mit einem Penis und Teufelshörnern beschmiert worden. Im Netz erlebt Gorczyk mehr Sexismus als Hass: „Es werden zum Beispiel ungefragt Kommentare zu meinem Aussehen unter politischen Beiträgen gepostet, die gar keine Relevanz für den Sachverhalt haben.“

In ihrer politischen Karriere hat sich die Grünen-Fraktionschefin bisher als Frau noch nicht benachteiligt gefühlt. Sehr wohl habe sie aber sehr erfahren, dass es an sie eine andere Erwartungshaltung gebe als an männliche Kollegen: So habe sie „schon den Eindruck, dass ich als Frau öfter mit Situationen befasst werde, die das Teamgefüge oder andere zwischenmenschliche Beziehungen betreffen als meine männlichen Kollegen. Solche sozialen Fragestellungen werden deutlich häufiger an mich adressiert.“ Sie bemerkt aber auch: „Zur Wahrheit gehört natürlich dazu, dass ich das bisher immer angenommen habe und darin auch meine Verantwortlichkeit qua Funktion sehe.“

Besonders sei ihr außerdem dominantes Redeverhalten durch Männer aufgefallen, das sie indirekt in der Ausübung ihrer Funktionen beeinträchtigt habe. Dennoch betont Gorczyk: „Insgesamt habe ich das Gefühl, in Beruf und Partei ein gutes Standing zu haben.“

Terry Reintke (Bündnis 90 / Die Grünen), Europaabgeordnete

Terry Reintke, Europaabgeordnete der Grünen, bemängelt: „Viele Machtzirkel sind immer noch sehr männerdominiert.“
Terry Reintke, Europaabgeordnete der Grünen, bemängelt: „Viele Machtzirkel sind immer noch sehr männerdominiert.“ © FUNKE Foto Services | Gerd Wallhorn

Die Grünen-Politikerin Terry Reintke brachte 2017 den Hasthag #metoo ins Europaparlament. Dort sprach sie in einer Rede über einen sexuellen Übergriff, der ihr am Duisburger Hauptbahnhof widerfahren war. Auf unsere WAZ-Anfrage bestätigt sie, dass sie auch im EU-Parlament Frauenfeindlichkeit erlebt habe.

Eine Situation, die ihr besonders in Erinnerung geblieben sei? Ein Abgeordnetenkollege aus einem nationalen Parlament, der bei einer öffentlichen Sitzung sinngemäß gesagt habe: „Ich bin froh, dass der Frauenanteil im Europäischen Parlament so hoch ist. Da hat man hier wenigstens was anzugucken.“

Den sozialen Netzwerken attestiert Reintke ein „sehr großes Problem mit Hass und Hetze“. Die Grünen-Politikerin hat online zum Beispiel Vergewaltigungsdrohungen bekommen. „So ein Umgang zerstört langfristig den demokratischen Diskurs. Deshalb müssen wir dagegen vorgehen“, so Reintke. Gerade in den sozialen Medien werde auch sehr oft offen sexistisch argumentiert. Aber: „Auch im EU-Parlament gibt es immer noch genug Männer, die nicht damit klarkommen, dass Frauen Macht beanspruchen.“

In ihrer Rolle als weibliche Politikerin habe sie sich in der Vergangenheit schon benachteiligt gefühlt: „Viele Machtzirkel sind immer noch sehr männerdominiert. Das betrifft alle Frauen in der Politik. Wir müssen das gemeinsam aufbrechen, um endlich gleichberechtigt teilhaben zu können. Und langsam ändert sich ja wirklich etwas.“ Deshalb versuche sie in ihrer Position, aktiv Frauen zu stärken.

Susanne Cichos (FDP), Fraktionsvorsitzende

Susanne Cichos, Fraktionsvorsitzende der Gelsenkirchener FDP, berichtet von ihren Erfahrungen als Frau in der Politik: „Ich selbst konnte erst richtig einsteigen, als meine Kinder größer waren.“
Susanne Cichos, Fraktionsvorsitzende der Gelsenkirchener FDP, berichtet von ihren Erfahrungen als Frau in der Politik: „Ich selbst konnte erst richtig einsteigen, als meine Kinder größer waren.“ © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Die Fraktionschefin der Gelsenkirchener FDP gibt an, im Rat habe sie noch keine Frauenfeindlichkeit erlebt. Wohl aber erlebe sie in ihrer politischen Arbeit sehr oft Sexismus und Frauenfeindlichkeit – vor allem im Bereich der sozialen Medien. Seit vier Jahren postet Cichos ein wöchentliches „Statement zum Sonntag“.

„In diesem Statement bespiele ich unterschiedliche Themen und werde jedes Mal sexistisch beleidigt“, berichtet sie. „Die meisten Beleidigungen lösche ich meist wieder, trotzdem gehen sie mir nicht aus dem Kopf, ich bin gekränkt und traurig.“ Sie versuche, sich mit anderen Frauen, die auch in der Politik tätig sind, zu vernetzen und das Thema öffentlich zu machen.

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Cichos betont klar: „In der Politik ist man als Frau benachteiligt. Die ganze Arbeit ist nur schwer mit Familie und Kindern zu leisten.“ Vor allem für alleinerziehende Frauen sei es fast unmöglich, sich politisch zu engagieren. Da habe sich leider in den letzten Jahren auch nicht viel getan. „Ich selbst konnte erst richtig einsteigen, als meine Kinder größer waren“, berichtet Cichos. „Dadurch fehlt mir das gesamte Parteinetzwerk, das Männer sich durch jahrelange Parteiarbeit zulegen können.“

Laura Rosen (CDU), Bundestagskandidatin

Laura Rosen, Bundestagskandidatin der CDU Gelsenkirchen, sieht Sexismus als gesamtgesellschaftliches Problem: „Emanzipierte Frauen – egal in welchem Bereich – sind für manche Mitmenschen eben einfach ein Problem.“
Laura Rosen, Bundestagskandidatin der CDU Gelsenkirchen, sieht Sexismus als gesamtgesellschaftliches Problem: „Emanzipierte Frauen – egal in welchem Bereich – sind für manche Mitmenschen eben einfach ein Problem.“ © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Laura Rosen berichtet, offensichtliche Frauenfeindlichkeit sei ihr sehr selten widerfahren. Natürlich gebe es aber „subtile“ Wege für frauenfeindliche Äußerungen. „Damit lernt man umzugehen“, so die Politikerin. Vor allem in den sozialen Medien – vorwiegend Facebook – erlebe die CDU-Politikerin immer wieder beleidigende oder bedrohende Äußerungen. „Ich beschäftige mich mit solchen Kommentaren nicht, da es ihnen meist gänzlich an inhaltlichen Aspekten fehlt“, betont Rosen.

In der Politik sieht sie sich die 26-Jährige dagegen aufgrund ihres Geschlechtes nicht benachteiligt: „Die Frauen Union in Gelsenkirchen hat sich jahrelang massiv sowohl nach außen hin als auch innerparteilich für Frauen eingesetzt. Davon profitieren ich und viele andere Frauen heute“, sagt sie. Das sehe man zum Beispiel an der Besetzung bei der letzten Kommunalwahl – so seien beispielsweise in der Bezirksvertretung Mitte drei von vier Bezirksverordneten Frauen.

Sie glaubt, dass Sexismus nicht an Funktionen gebunden ist: „Sehr viele Frauen erleben Sexismus tagtäglich in welcher Form auch immer: Emanzipierte Frauen – egal in welchem Bereich – sind für manche Mitmenschen eben einfach ein Problem.“

Enxhi Seli-Zacharias (AfD), stellvertretende Fraktionsvorsitzende

Enxhi Seli-Zacharias, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Gelsenkirchener AfD, sagt: „Sexismus und auch Rassismus sind mir bis zum heutigen Tage nicht begegnet.“
Enxhi Seli-Zacharias, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Gelsenkirchener AfD, sagt: „Sexismus und auch Rassismus sind mir bis zum heutigen Tage nicht begegnet.“ © AfD Gelsenkirchen

Enxhi Seli-Zacharias verneint die Frage nach sexistischen Erfahrungen gänzlich – sowohl im Rat der Stadt Gelsenkirchen als auch insgesamt: „Persönlich würde ich mich als junge, weibliche Frau mit ausländischen Wurzeln und einem exotischen Namen beschreiben. Sexismus und auch Rassismus sind mir bis zum heutigen Tage nicht begegnet. Bin ich vielleicht nicht sensibel genug, um dies zu erkennen oder täuscht mich meine Wahrnehmung nicht und es ist schlichtweg so?“

Frauenfeindlichkeit habe sie in ihrer Funktion durchaus oft thematisiert. „Mein Verständnis von Frauenfeindlichkeit steht aber dem von deutschen bzw. mitteleuropäischen Wohlstandskindern diametral entgegen“, betont Seli-Zacharias und verweist damit auf ihre Sozialisation in Albanien – ein Land, in dem „Ehrverletzungen“ immer noch erschreckend häufig mit Blutrache gesühnt würden.

Aufgrund ihres Geschlechts habe sie sich noch nie benachteiligt gefühlt. „Spielt die Attraktivität von Bewerbern bei der Einstellung eine Rolle? Ja, und das ist verdammt ungerecht, aber das Leben ist nun mal ungerecht und niemand kann von sich behaupten, zu 100 Prozent objektiv sein zu können“, so die AfD-Politikerin. Wolle man eine Ungerechtigkeit in der Politik ansprechen, dann sei eher Altersdiskriminierung das Problem.

Die Frage nach Benachteiligungserfahrungen spiegele aber genau das wider, was sie an der öffentlichen Debatte erzürne: „Wer penibel auf seine Unabhängigkeit pocht, darf nicht zugleich einen hysterischen Kampf gegen Institutionen und Gesellschaften führen und dabei permanent Fürsorge einfordern.“