Gelsenkirchen. Corona hat das Leben vieler Frauen auf den Kopf gestellt. Warum Frauenrechtlerin Renate Janßen vor dem Rückfall in alte Rollenbilder warnt.

„Ich bin Hausfrau, Mutter, die Freundin meiner Kinder, Animateurin und Friseurin. Mein Leben hat sich total verändert. Es lässt sich kaum in Worte fassen“, sagt Marcella Erlhoff. Seit rund einem Jahr bestimmen die Folgen der Pandemie das Leben der Ehefrau und zweifachen Mutter. „Mein eigener Beruf bleibt total auf der Strecke. Aber ich kann auch noch etwas Anderes als Kinder und Haushalt.“

Mit dem ersten Lockdown hat sich das Leben vieler Frauen verändert, findet durch Homeoffice, Homeschooling und Ausgangsbeschränkungen viel mehr im heimischen Umfeld statt. Kochen, Backen, Basteln – all dies wird zur willkommenen Beschäftigung mit dem Nachwuchs, weil mehr oft nicht geht. Sinnbildlich dafür steht der Mangel an Weizenmehl im ersten Lockdown. Ausverkauft, weil so viele Menschen selbst backen. „Ich habe noch nie so viel gekocht in meinem Leben wie im vergangenen Jahr“, sagt Marcella Erlhoff. „Aber meine Erfüllung ist das nicht. Ich beneide die Menschen, die weiterhin normal zur Arbeit gehen können. Für die dreht sich die Welt einigermaßen normal weiter. Bei mir ist seit einem Jahr nichts mehr normal.“

Auch die Freundinnen fehlen

Viele Frauen litten in diesen Tagen, weiß auch Gudrun Leh, Sozialarbeiterin im Stadtteilzentrum Bonni in Hassel. „Zu all dem kommt, dass der Austausch mit den Freundinnen fehlt. Die sprechen einander ja sonst Mut zu. Und dann ist oftmals sogar noch der Mann den ganzen Tag zu Hause im Homeoffice“, sagt sie und lacht. Der Hintergrund jedoch ist ernster: Auch in der harmonischsten Beziehung, der tollsten Familie verursache das Spannungen.

Aufpassen, dass der Rückfall in alte Rollenbilder sich nicht manifestiert

Renate Janßen, Leiterin des Internationalen Mädchengartens, warnt davor, wegen der Pandemie in alte Rollenbilder zu verfallen.
Renate Janßen, Leiterin des Internationalen Mädchengartens, warnt davor, wegen der Pandemie in alte Rollenbilder zu verfallen. © Funke Foto Services | Michael Korte

Die Gefahr in der aktuellen Situation liegt darin, dass sie so dramatisch auf den ersten Blick nicht wirkt. Ein bisschen mehr kochen und backen, sich mal ein paar Wochen um die Kinder kümmern – halb so wild und eben der Pandemie geschuldet. So könnte man meinen. „Bei allem, was sich in Coronazeiten einschleicht, ist die Gefahr, dass es sich zu festen Strukturen manifestiert. Da müssen wir aufpassen“, sagt Renate Janßen. Sie ist seit vielen Jahren in der Frauenbewegung aktiv, leitet unter anderem den „Internationalen Mädchengarten“ in Schalke. Ein Projekt, das schon lange bemüht ist, alten Rollenbildern etwas entgegen zu setzen. „Es wird nicht einfacher, wenn sich klassische Rollenbilder wieder manifestieren.“ Die Frauen kämen meist schlechter dabei weg wenn es darum ginge, Zeitressourcen aufzuteilen. Im Klartext: Homeoffice hin oder her, meist bleibe auch dann, wenn der Mann und Vater zu Hause ist, die Arbeit rund um Haushalt und Kinderbetreuung an der Frau hängen.

Auch an die Karriere denken

„Das wirft die Frage auf: Was, wenn alles wieder normal läuft? Dann erwarte ich vielfach neue Aushandlungsprozesse zwischen Frauen und Männern.“ Frei nach dem Motto: Lief doch auch im Lockdown alles gut. Warum also soll die Frau und Mutter nun wieder an die eigene berufliche Laufbahn denken? „Das diskutieren wir viel mit den jungen Mädchen. Das war auch vor Corona ein Thema. Die sagen oft, für die Kinder würden sie eine Zeit lang aus dem Berufsleben aussteigen. Dann entgegnen wir, was bedeutet das denn konkret? Was die Karrierechancen betrifft oder im Falle einer Scheidung. Junge Frauen sind sich häufig nicht bewusst, dass es die alte Form der Versorgungsehe einfach nicht mehr gibt.“

+++Verpassen Sie keine Nachrichten aus Gelsenkirchen. Abonnieren Sie unseren Newsletter+++

Wie in vielen Bereichen lenke Corona den Blick auf bestehende Missstände, so Renate Janßen. Im Mikrokosmos einzelner Partnerschaften zeige sich, wie es wirklich in der Gesellschaft aussehe. „Hier herrscht vielfach das klassische Rollenbild vor: die Frau als Organisatorin des Gesamtsystems. Es hat sich viel getan, aber die festen Strukturen sind so was von verhaftet.“ Grundsätzlich, aber besonders am „Internationalen Frauentag“, richtet die Frauenrechtlerin einen Appell an alle Betroffenen: „Frauen, ihr habt mehr erreicht. Lasst es euch nicht fortnehmen.“