Gelsenkirchen. Die grüne EU-Abgeordnete aus Gelsenkirchen hat die Kampagne #metooEU mit initiiert und sexuelle Gewalt im Europa-Parlament zum Thema gemacht.
Was haben Kanzlerin Angela Merkel und die grüne Europaabgeordnete Terry Reintke aus Gelsenkirchen gemeinsam? Nun, beide sind vom renommierten amerikanischen Time-Magazine zur „Person of the Year“ gekürt worden. Die Kanzlerin 2015 unter anderem für ihr Flüchtlingskrisen-Management, die EU-Politikerin 2017, weil sie zu einer Gruppe von Frauen gehört, die das Schweigen über sexuelle Anmache, Missbrauch und Gewalt brach und der #metoo-Bewegung auch im europäischen Parlament Stimme und Gesicht gab.
Mutige Rede im EU-Parlament
Auch interessant
Terry Reintke brach ihr Schweigen am 11. September: Im Plenum des Europaparlaments debattierte man über den Beitritt der EU zum Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, die sogenannte Istanbul-Konvention. Die aus Gelsenkirchen stammende Abgeordnete berichtete in einer sehr persönlichen, mutigen und vielbeachteten Rede, dass sie selbst Opfer eines sexuellen Übergriffs geworden war. Es geschah am Abend des 29. Juli vor dem Duisburger Hauptbahnhof. „Da kam auf einmal ein Typ von hinten, und ohne, dass ich ihn vorher sehen konnte, griff er mir zwischen die Beine“, sagte sie.
Noch bevor das Thema sexueller Missbrauch in Hollywood aufploppte, wo Frauen den Mut fanden und Größen wie den Filmproduzenten Harvey Weinstein und seinen Umgang mit dem anderen Geschlecht auffliegen ließen, rückten in Europa Frauen wie Terry Reintke, die Journalistin Jane Merrick, Produzentin Zelda Perkins und Bex Bailey ein altes Tabu-Thema in den öffentlichen Fokus.
Reintke: „Es muss sich was ändern“
Sexuelle Übergriffe seien kein Hollywood-Phänomen. „Das geschieht überall“, sagt die 30-jährige Politikerin, „auch im Europäischen Parlament.“ Nach ihrer Rede vom 11. September habe sie den Einruck gehabt, „dass sich viele männliche Kollegen ertappt gefühlt haben, weil sie sich nie mit dem Thema beschäftigt hatten. Da hat das Problembewusstsein gefehlt.“
Terry Reintke brachte am 26. Oktober in Brüssel eine Resolution des Europäischen Parlaments zur Bekämpfung von sexueller Belästigung und sexuellem Missbrauch in der EU auf den Weg. „Es gab auch Widerstände, aber ich habe mich durchgesetzt“, sagt sie. Es folgte die Petition #metooEu, die binnen kürzester Zeit 15 000 UnterzeichnerInnen fand, mittlerweile sind es knapp 79 000. Gut so, meint nicht zuletzt Terry Reintke selbst, denn: „Es muss sich was ändern.“
Fotoshooting der #metooEU-Frauen in London
Mit ihrem Bericht im Parlament und den folgenden Aktivitäten weckte die Abgeordnete aus Gelsenkirchen das Medieninteresse. „Dadurch ist offenbar das Time-Magazine auf mich aufmerksam geworden“, so Reintke. Das Foto-Shooting mit den drei anderen Frauen der Kampagne #metooEU fand in London statt.
So weit, so erfolgreich. Was aber hat sich tatsächlich geändert? „Die Debattenkultur“, sagt Reintke. „Bei einem Großteil der EU-Männer findet das Thema mehr Interesse. Und es hat Ernsthaftigkeit im Umgang damit gebracht.“
„Übergriffe sind kein Nischenthema“
Zur Kampagne der 100 #metoo-Widersacher, die sich per Anzeige in den französischen Medien zu Wort gemeldet haben, hat die 30-jährige EU-Politikerin eine klare Haltung: „Die Leute machen absurde Vorwürfe, weil sie unser Anliegen nicht verstanden haben.“ Es gehe nicht um sexuelle Freiheit und einvernehmlichen Sex – „es geht um Macht und Machtgebaren gegenüber Frauen.“ Und ja, auch Angrapschen sei eine Straftat. Die Auszeichnung „Person of the Year“ mache klar, „dass Übergriffe kein Nischenthema sind, sondern Millionen von Menschen betreffen.“
>>> Info: Faire Verteilung von Fördermitteln
Ein anderes Thema, das Terry Reintke umtreibt, sind die Richtlinien für die regionale Strukturförderung. „Es kann nicht sein, dass NRW wegen seiner wohlhabenden Regionen weniger Geld bekommt“, sagt sie und kündigt an, sich für eine faire Verteilung einzusetzen.
Ihr persönliches Ziel: 2019 erneut zu kandidieren „und mit mehr parlamentarischem Know-how weiterzumachen“.