Die Gelsenkirchener Ratsfrau Susanne Cichos wehrt sich gegen Hass-Attacken im Netz. Auch andere Parteien sprechen von einer Häufung von Angriffen.
Der Ton wir rauer, insbesondere in den sozialen Netzwerken. Die Gelsenkirchener FDP-Politikerin Susanne Cichos hat jetzt nach einem Facebook-Post die Reißleine gezogen und Anzeige wegen „Beleidigung, Bedrohung und Volksverhetzung“ erstattet. Hass-Kommentare – kein Einzelfall, wie Vertreter der anderen Parteien bestätigen.
Gelsenkirchener Politikerin Susanne Cichos: Beleidigungen beeinträchtigen politische Arbeit massiv
„Der Kommentar geht weit über das Erträgliche hinaus“ begründet Cichos ihren Schritt, rechtliche Schritte einzuleiten. Die ehemalige OB-Kandidatin hatte am 7. Februar dieses Jahres in ihrer regelmäßigen Facebook-Rubrik „Statement am Sonntag“ ihre Sicht der Dinge zum Thema „Corona-Schulschließungen“ dargelegt, worauf ein mit Namenskennung versehener Post mit dem Text „ab ins KZ!“ auftauchte. Cichos berichtet zudem davon, dass die Negativkommentare, Verunglimpfungen und Beleidigungen „ein derartiges Ausmaß angenommen haben“, dass sie sich nicht nur persönlich beleidigt und bedroht fühle, sondern dass auch ihre politische Arbeit dadurch „massiv beeinträchtigt wird“.
Auch Sascha Kurth, Vorsitzender der CDU-Ratsfraktion, hat festgestellt, „dass die Hemmschwelle deutlich gesunken ist“. Politiker, auf lokaler Ebene ehrenamtlich neben ihrem eigentlichen Beruf engagiert, würden zunehmend harscher attackiert. Beispielsweise würden sie mit „Scheiß Pack“ und ähnlichen Schimpfnamen tituliert.
„In den vergangenen zwei Jahren folgten aus den Anfeindungen über Facebook oder Instagram Anzeigen im einstelligen Bereich“, bilanziert Kurth. Die geringe Zahl erklärt der Unionspolitiker damit, dass solche Posts oft anonym oder mit falschem Namen versehenen würden, eine strafrechtliche Verfolgung daher wenig aussichtsreich erschienen sei. „Ehrverletztende, rassistische Kommentare werden daher meist gelöscht, ansonsten versuchen wir, uns der politischen Diskussion zu stellen.“
Forscherin: Gegenwehr erhöht das Risiko, erst recht zum Hassobjekt zu werden
Die Forschung von Britta Rehder, Politikwissenschaftlerin und Professorin an der Bochumer Ruhr-Universität, bestätigt Kurths Erfahrungsbericht. Ihre Analyse geht darüber aber noch hinaus. „Hasskommentare sind ein Problem, das man mit Rechtsmitteln nicht lösen kann.“ Und: „Je größer die Gegenwehr, desto höher das Risiko, erst recht zum Hassobjekt zu werden.“ Daher komme es sehr darauf an, wie willensstark und charakterlich gefestigt Betroffene seien, um ihren Kampf durchzustehen. Prominenz und finanzielle Ressourcen vereinfachten dies erheblich.
900 Strafanzeigen wegen Hass im Internet
In den vergangenen vier Jahren hat es im Zuge der „Initiative „Verfolgen statt nur löschen“ 900 Strafanzeigen wegen Hass und Hetze im Internet gegeben. 550 Ermittlungsverfahren sind dadurch in Gang gekommen. Das teilte die Landesmedienanstalt NRW am Dienstag in Düsseldorf mit. Die Initiative ist im Jahr 2017 gegründet worden, als erste ihrer Art. 13 Bundesländer haben mittlerweile vergleichbare Angebote.
Zur Untermauerung ihrer These nennt die Wissenschaftlerin das Beispiel von Renate Künast (Bündnisgrüne). Die Rechtsanwältin und Bundestagsabgeordnete hat mit der Strafverfolgung von Hass-Kommentaren in sozialen Netzwerken ein Urteil erwirkt.
„Sie hat damit einen Präzedenzfall geschaffen“, so Rehder. Künast verfüge aber als ehemalige Ministerin für Verbraucherschutz anders als ehrenamtlich tätige Politiker über weitaus größere Ressourcen und Möglichkeiten, sie kann sich auf Personenschutz verlassen - eine derartige Absicherung haben Lokalpolitiker nicht. Sie müssen viel mehr befürchten, dass Widerstand gegen Hasskommentare die Aufmerksamkeit von Trittbrettfahrern nach sich zieht.
Überhaupt: Bis es zu einem Urteil kommt, ist es ein langer Weg. „Sie müssen erstmal Facebook und Co. dazu bringen, die Identität der meist anonym agierenden Hass-Absender herauszugeben“, so Britta Rehder weiter. Dann folge meist ein langer und teurer Weg durch die gerichtlichen Instanzen. „Da gehen vielen Hass-Opfern selbst bei vorhandenem Rechtsschutz Lust und Ausdauer aus.“ Und: Nicht selten urteilten Gerichte, dass die Kommentare so gerade noch an der Grenze zur Meinungsfreiheit stünden.
Die Linke: Zur Löschung von Netzpostings durch Facebook kommt es nur selten
Persönliche Anfeindungen gegen unsere Lokalpolitiker gab es zum Glück bislang nicht“, sagte Jan Nold (Die Linke). Zur Anzeige beim Staatsschutz habe die Partei lediglich die jährlich wiederkehrenden Eierwürfe und Spuckattacken auf das Parteibüro gebracht. „Die Täter wurden aber bislang nie ermittelt.“
Grenzwertige oder demokratiefeindliche Kommentare würden verborgen. Kommentare, die Hassreden oder Gewaltvorstellungen beinhalten, melde die Partei über die entsprechende Funktion auf Facebook. „Dies passiert aus unserer Erfahrung alle drei Monate mal“, so Nold weiter. Zur Löschung komme es nur in den seltensten Fällen, „das waren besonders extreme Positionen von rechten Accounts, ohne Klarnamen“.
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Zwei Beispiele nennt Nold aus August 2020: „Der Pflegenotstand besteht seit Abschaffung des Wehr- und Zivildienstes, also ein hausgemachtes Problem. Ein paar Panzer mehr würden helfen, Deutschland wieder im Sinne Oberst v. Staufenberg von seinen inneren Feinden zu befreien.“ Und ein weiterer Kommentar unter demselben Posting: „Wann werden diese SED-Mauermörder entsorgt??“ Beide Kommentare wurden auf verborgen geschaltet und an Facebook gemeldet. „Sie wurden allerdings bis zum heutigen Tage von Facebook nicht entfernt“, so Nold.
Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der AfD in Gelsenkirchen, Enxhi Seli-Zacharias, informierte darüber, dass ihre Partei auf der Ebene des Kreisverbandes „täglich mit Grenzüberschreitungen im Netz konfrontiert“ werde. Bislang sei eine Person wegen Beleidigung angezeigt worden, „die zuständige Staatsanwaltschaft hat das Verfahren eingestellt“.
Ratsfrau: AfD von direkter Aggressivität in persönlicher Form betroffen
Wegen der Fülle an Kommentaren könne eine vollständige Sichtung nicht immer garantiert werden, berichtete Seli-Zacharias weiter. Als Präventivmaßnahme „ist der Vulgärfilter auf ‘hoch’ eingestellt worden, das heißt, Beleidigungen werden oft automatisch gelöscht“. Nur bei strafrechtlich relevanten Inhalten - insbesondere bei Aufruf zur Gewalt etc. - schreite man sofort ein, schließlich gebe es auch ein Netzwerkdurchsetzungsgesetz.
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Auf lokaler Ebene zeichnete die AfD-Frau mit Blick auf die Social-Media-Kanäle von kommunalen AfD-Politikern ein anderes Bild. Hier gebe es aggressivere Attacken, zuletzt zu sehen in der Debatte um den Muezzin-Ruf in Gelsenkirchen. „Zu unserem Entsetzen deuteten die Namen der Personen, die diese Drohungen aussprachen, auf einen muslimisch-religiösen Hintergrund hin“, sagte Seli-Zacharias.
Die Ratsfrau behauptet zudem, dass „die AfD die einzige Partei ist, die von dem direkten Hass und der Aggressivität von politischen Aktivisten in persönlicher Form betroffen ist.“ Als Beispiel nennt Seli-Zacharias einen Angriff auf Gelsenkirchener AfD-Mitglieder bei einer Veranstaltung in Köln, bei dem mit einem „Kubotan (Stichwaffe, einem Stift ähnlich, Anm. d. Red.) absichtlich auf die Augen der anwesenden Mitglieder gezielt“ wurde.