Gelsenkirchen. Vor fünf Jahren krempelte eine Gruppe um Jürgen Hansen die Ärmel hoch, um Flüchtlingen vor Ort zu helfen. Die Task Force ist noch heute aktiv.
Es begann mit einem Sommerfest für Kinder auf Hof Holz im Juni 2015, das Jürgen Hansen – damals Ratsherr der Piraten, mittlerweile Kandidat der SPD – mit einigen Ehrenamtlern und vielen Unterstützern aus unterschiedlichsten Bereichen organisiert hatte. Es waren vor allem die Familien von Hansen und Mit-Pirat Uwe Bestmann sowie Andreas Jordan, die schon früh mit anpackten. Sie schraubten Betten in Sammelunterkünften für die Flüchtlinge zusammen, sammelten Kleider- sowie Möbelspenden für die mittellosen Neuankömmlinge und lagerten sie in ihren Wohnungen und Garagen, bis diese aus allen Nähten platzten. Die Hilfsbereitschaft der Gelsenkirchener war groß, das Chaos anfangs auch.
Im August 2015 entstand bei Hansen dann bereits die Idee, eine Task Force zu gründen, die ehrenamtliche Hilfe bündelt und direkt vor Ort hilft. „Koordinieren, helfen, schnell sein, Menschen für Menschen“, so lautete die Devise. Hansen wollte seine Pläne im Rat vorstellen. Aber so einfach ist das nicht, erklärte man ihm. Er solle seine Task Force erstmal im Fachausschuss vorstellen; das war im September 2015. 52 ehrenamtliche Helfer waren da längst mit von der Partie, sie gründeten eine Woche nach der Sitzung offiziell den „Task Force – Menschen für Menschen e.V.“. Es war der Beginn einer Erfolgsgeschichte, die bis heute andauert.
Vorhänge sorgten in Turnhallen für einen Hauch von Privatsphäre
Die erste Anlaufstation für die Flüchtlinge – gleich ob Familien oder Alleinreisende – waren Turnhallen. Etwa die alte Mehringschule in Scholven, Container in Erle, am 12. September auch die Emscher-Lippe-Halle. Am Wildenbruchplatz und anderswo trennten eilig improvisierte Vorhangwände die verschiedenen Familien voneinander, um wenigstens einen Hauch von Privatsphäre herzustellen.
Deutschkurs mit Händen und Füßen
Die neu gegründete Task Force begann schon in dieser Situation mit den ersten, improvisierten Deutschkursen. Helmut Mohr, ein pensionierter Lehrer, half. Aber auch Laien unterrichteten in Umkleiden und Toiletten der Unterkünfte, um zumindest eine grobe Verständigung zu ermöglichen, bevor offizielle Wege zur Verfügung standen. Mit Händen und Füßen wurde gelehrt und gelernt, Kinder dolmetschten bald für ihre Eltern. „Wir hatten nicht einmal Stifte und Papier für den Unterricht“, erinnert sich Hansen. Das änderte sich, als bei einer Bürgersprechstunde zum Thema Flüchtlinge, bei der auch Oberbürgermeister Baranowski anwesend war, die Rede auf die Task Force und deren Arbeit kam. Fortan gab es genügend Schreibmaterial und zunehmend mehr und mehr Unterstützung, auch von der Stadt. Anfang September waren bereits mehr als 1000 Flüchtlinge in der Stadt angekommen, bis zum Jahresende waren es fast 3000.
Anlaufstelle Help-Laden für Behördengänge, Arztbesuche und mehr
Die Stadt hatte eine Stabsstelle für die Flüchtlingsfamilien eingerichtet, appellierte an Vermieter, Wohnraum zur Verfügung zu stellen, um langfristige Unterbringung in Sammelunterkünften zu verhindern. Schalke spendierte Geld für die Arbeit der Task Force, die unter anderem einen Help-Laden einrichten wollte, in dem Flüchtlingen bei Formularen, Behördengängen und Arztbesuchen geholfen werden soll. Ein erster Laden entstand in Buer, angesiedelt am Weltladen der katholischen Kirche Buer.
Nach Feierabend schleppten Task-Force-Mitglieder Möbel für Flüchtlingsfamilien, die aus den Sammelunterkünften in Wohnungen wechseln konnten. Der Verein kooperierte schließlich mit der schon vor 2015 etablierten Flüchtlingshilfe des Diakonschen Werkes, die auch Dolmetscher zur Verfügung hatte.
Ratsuchende kommen aus der ganzen Region
Den zweiten Help-Laden an der Von-der-Recke-Straße eröffnete die Task Force im Februar 2016. Ehrenamtliche Mitarbeiter beraten hier, in Sichtweite der Ausländerbehörde, zu Behördenangelegenheiten, stellen Transporter für Umzüge zur Verfügung, geben Deutschkurse. Und zwar bis heute. Der Laden ist auch heute noch an sechs Tagen pro Woche geöffnet, es gibt häufig Warteschlangen. Die Ratsuchenden kommen auch aus anderen Städten; das Angebot hat sich herumgesprochen.
Inzwischen leben die allermeisten Geflüchteten in Wohnungen, verteilt über das gesamte Stadtgebiet. Die Container in Erle sind Geschichte, heute leben dort in 40 Vario-Häusern 152 Menschen, Familien mit Kindern. Die Task Force und das Diakonische Werk betreuen die Bewohner, die auch heute noch nur vorübergehend hier leben. Mittlerweile gibt es hier auch die von Hansen lange ersehnte Projektwerkstatt Sonnenblume für Kinder mit verschiedensten kreativen Angeboten. Es ist eine Mischung aus Mini-Kunstschule und Kita, auch wenn sie so nicht heißen darf. Im Außengelände gedeiht allerlei selbst angepflanztes. Ob Gelsenkirchen weitere Flüchtlinge aus Moria verkraften würde? Hansen glaubt: Ja, zumindest einige unbegleitet Kinder und Jugendliche.
5364 Flüchtlinge kamen als Asylbewerber seit 2015 nach Gelsenkirchen
Seit 2015 sind laut Stadt insgesamt 5364 Flüchtlinge als Asylbewerber nach Gelsenkirchen gekommen (Stand: 7. September). Die meisten – 2989 – kamen bereits 2015, im vergangenen Jahr waren es noch 786, in diesem Jahr bislang 309.
2015 stellte die Stadt für die Erstunterbringung insgesamt 40 Objekte mit 1800 Plätzen zur Verfügung. Die meisten von ihnen sind längst geschlossen, abgerissen, die Anmietung ist beendet oder die Häuser werden anderweitig genutzt. Bis Mitte 2016 waren die Notlösungen wie Turnhallen wieder frei gezogen. Derzeit stehen in der Stadt 680 Plätze in Gemeinschaftsunterkünften zur Verfügung.
Dauerhafter Aufenthaltstitel erst nach fünf Jahren möglich
Leistungen nach dem Asylbewerberleistungesetz bezogen Ende August in Gelsenkirchen 1637 Flüchtlinge, im März 2016 war der Höchststand erreicht mit 4371 Personen. Einen dauerhaften Aufenthaltstitel können Asylbewerber unter regulären Voraussetzungen nach fünf Jahren erlangen. Eine Übersicht darüber, wie vielen dies bisher gelungen ist, war von der Stadt nicht zu bekommen.
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