Gelsenkirchen. . Gelsenkirchen betreibt auf Bitten des Landes eine Notunterkunft als Erstaufnahmestelle. Die vorhandenen sind überfüllt. Eine Bestandsaufnahme.

Der Zustrom von Flüchtlingen ist größer als erwartet, und er wächst weiter – eine Herkulesaufgabe für Bund, Länder und Städte. Über die Flüchtlingssituation in Gelsenkirchen hat sich die Redaktion bei Sozialdezernentin Karin Welge erkundigt – eine Bestandsaufnahme.

Aktuelle Flüchtlingszahlen

2155 Menschen bekommen derzeit Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, heißt: Die Stadt gibt ihnen Unterkunft, sorgt für ihren Lebensunterhalt und betreut sie mit Hilfe von Sozialarbeitern. „Bis zum 10. August wurden in diesem Jahr 750 Menschen in Gelsenkirchen neu aufgenommen“, erklärte Sozialdezernentin Karin Welge.

Verteilung der Kosten

Die Stadt geht derzeit von rund 15,9 Millionen Euro für Aufwendungen in 2015 nach dem Asylbewerberleistungsgesetz aus. Für die Flüchtlinge, die sich im Asylverfahren befinden, gibt es eine Kostenerstattung von Bund und Land, die insgesamt etwas mehr als 50 Prozent ausmacht. Der Eigenanteil der Stadt beläuft sich demnach auf rund 10,6 Millionen Euro. Für mehr als 700 geduldete Flüchtlinge, die aus humanitären Gründen hier bleiben dürfen, bekommt die Stadt nichts. Dieser Posten beträgt laut Welge „etwa 6,5 Millionen Euro“. Als arme Stadt kann sich Gelsenkirchen all das nicht leisten, daher erwartet die Dezernentin „dass sich Bund und Land rasch über die Finanzierungsfrage einigen.“

Planungen zur Unterbringung

Weil die Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes seit Wochen überfüllt sind, ist die Stadt gebeten worden, für das Land vorübergehend eine Notunterkunft zu betreiben – genutzt wird dazu das leer stehende Gebäude an der Mehringstraße in Scholven. „Das bedeutet, dass die Flüchtlinge nur eine begrenzte Zeit dort bleiben und später verschiedenen Kommunen zugewiesen werden“ erklärt Karin Welge. Deswegen unterscheidet sich diese Einrichtung deutlich von den Gemeinschaftsunterkünften der Stadt.

Die Verwaltung selbst bringt zugewiesene Flüchtlinge bislang dezentral unter. „Wir können die Menschen hier so beherbergen, dass ihnen ein Stück Privatsphäre bleibt. Das ist in Turnhallen und Zeltstädten nicht möglich“, so die Stadträtin. Über die Stadt verteilt gibt es 650 Plätze in Gemeinschaftsunterkünften. Größenordnung pro Einheit: 50 bis 100 Plätze. Weil der Bedarf aber weiter wächst, arbeitet die Stadt mit den Wohnungsbaugesellschaften daran, die Kapazitäten von bislang 9000 Quadratmetern Wohnfläche zügig auszubauen.

Kosten für Wohnraum

Natürlich wird aufgrund der hohen Nachfrage an Wohnraum daran verdient, aber qua Gesetz gibt es Miethöchstgrenzen, so dass die Stadt nicht über Gebühr zur Kasse gebeten werden kann. „Dringend gesucht sind derzeit bezugsfertige Wohnungen mit 50 bis 65 Quadratmetern für ein bis zwei Personen“, sagte Karin Welge. Die Grenze für die Nettokaltmiete dafür liegt zwischen 230 und 290 Euro, für 80 Quadratmeter liegt sie bei 350 Euro. Dazu kommen noch 60 bis 80 Euro für Betriebskosten.

Konfliktpotenzial mindern

Viele Menschen unterschiedlichster Kulturen auf engen Raum, teilweise traumatisiert, das bedeutet mitunter Streit. Um Konflikte zu vermeiden, setzt die Stadt eigene Hausbetreuer in den Gemeinschaftsunterkünften ein, die auf die Einhaltung der Hausordnung achten. Zudem finden ethnische und kulturelle Aspekte Berücksichtigung bei der Unterbringung. Nach circa drei Monaten werden die meisten Flüchtlinge in eine private Wohnung vermittelt. „Das Verfahren hat sich bewährt. Daneben verstärken wir gerade die Betreuung durch erfahrene Lotsen, die uns von der Diakonie zur Seite gestellt werden“, sagte Welge. Bislang habe es noch keine Übergriffe gegeben.

Keine Vorauswahl

Viel ist derzeit die Rede davon, stärker nach sicheren und unsicheren Herkunftsländern zu unterscheiden. Das passiert aber nicht in den Kommunen, sondern an übergeordneter Stelle. Der Bund stockt dazu sein Personal auf, um die Verfahrensdauer zu verkürzen – derzeit liegt sie bei über einem halben Jahr. Eine Entscheidung darüber, welche Flüchtlinge zu uns kommen, „trifft die Bezirksregierung“, erklärte Karin Welge das Prozedere. Für Gelsenkirchen ist das die Bezirksregierung Münster.

Herkunftsländer

Die am meisten vertretenen Herkunftsstaaten unter den Flüchtlingen hier sind nach Angaben der Stadt sind Serbien, Kosovo, Mazedonien, Albanien und Syrien.

So können die Gelsenkirchener helfen 

Hilfsgüter für Flüchtlinge

Welche Dinge des täglichen Lebens die Flüchtlinge am nötigsten brauchen, ist im Einzelfall sehr unterschiedlich. „Unsere Mitarbeiter vor Ort reagieren da individuell auf die Bedarfe“, sagte Karin Welge. Oft sei dieser von der jeweiligen Witterung oder auch von der Familienkonstellation abhängig. Eine Familie mit Kindern benötige andere Dinge als etwa ein alleinstehender junger Mann. „Für Menschen, die Sachspenden abgeben möchten, erarbeitet das Referat Soziales zurzeit eine entsprechende Liste.“

Abgabestellen

Flüchtlinge in DeutschlandSachspenden können nach Absprache in sozialen Einrichtungen verschiedener sozialer Träger sowie Kleiderkammern abgegeben werden – Ansprechpartner sind die Diakonie, die Caritas, die Arbeiterwohlfahrt oder auch die Tafel.

Offene Bürgerschaft

Die Sozialdezernentin ist froh, dass „Willkommenskultur hier keine leere Worthülse ist“. Die Hilfsbereitschaft an der ehemaligen Schule Mehringstraße oder das Fest für Flüchtlingskinder auf Hof Holz seien dafür nur zwei Beispiele. Ihr Wunsch: „Wenn sich die Bürger diese Hilfsbereitschaft und Offenheit erhalten, ist das ganz im Sinne von Verwaltung und Stadt.“

Unterkünfte für Asylbewerber gesucht

Viele Menschen fliehen derzeit vor Lebensumständen, die wir nicht kennen und nicht kennenlernen wollen – und brauchen darum Hilfe. Damit steht auch Gelsenkirchen vor der Herausforderung, eine steigende Zahl von Flüchtlingen und Asylbewerbern aufnehmen zu müssen, die während der Dauer ihres Anerkennungsverfahrens in Gelsenkirchen bleiben werden. Bisher waren Zeltstädte hier kein Thema.

Um weiter eine menschenwürdige Unterbringung der Flüchtlinge ermöglichen zu können, ruft die Stadt daher alle Wohnungseigentümer dazu auf, zu prüfen, ob sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten Wohnraum an Flüchtlinge vermieten können. Dieser Aufruf richtet sich auch an Unternehmen, Verbände oder die Kirchen und Gemeinden, die über geeignete Räume verfügen.

Wer Wohnraum anbieten möchte, kann sich an das Referat Soziales wenden. Zu erreichen sind die Mitarbeiter unter 0209 169 2336 und 0209 169 2051.

Kinderzimmer ausgeliefert

Nun sind alle ausgeliefert, die 15 Kinderzimmer für Flüchtlingsfamilien, die im Nachgang des Sommerfestes für Flüchtlingskinder auf Hof Holz im Juni gespendet wurden. Clemens Tönnies, Unternehmer und Aufsichtsratsvorsitzender des FC Schalke 04, hatte Geld gespendet, die Roller GmbH Gelsenkirchen stellte sie zur Verfügung. Die Anlieferung unterstützte die Firma Streiter GmbH mit einem großen Lastkraftwagen. Die Diakonie hatte die Familien ausgewählt und war bei der Verteilung ebenfalls vor Ort. Das Fest mit zahlreichen ehrenamtlichen Helfern war auf Initiative von Ratsherr Jürgen Hansen (Piraten) entstanden.