Gelsenkirchen. Eine Woche nach einem brutalen Angriff auf ein Pärchen sprechen die Opfer über die „grausamen Minuten“ und ihre Folgen.
„Ich hatte Todesangst. Ich dachte, die treten so lange auf meinen Freund ein, bis er nicht mehr aufwacht. Nie wieder!“ Die 18-jährige Laura* wirkt gefasst, als sie von den Minuten des Überfalls berichtet, den sie und ihr 17-jähriger Freund vergangene Woche Freitag in Gelsenkirchen-Horst auf offener Straße erlitten haben.
Diese Gewalt darf in Deutschland nicht sein
Ihr Freund Mustafa hat seine Hände auf ihre gelegt, um Laura zu trösten. Äußerlich ist ihm die Attacke kaum noch anzusehen, aber innerlich sei auch er erschüttert: „Ich bin aus Syrien geflohen, vor dem Krieg, dem Tod und der Gewalt. Jetzt wurde ich hier Zusammengeschlagen. Diese Gewalt darf in Deutschland nicht sein. Nicht hier!“
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Ein Gewaltausbruch, der allem Anschein nach völlig grund und- skrupellos war. „Wir sind um 21 Uhr an der Bushaltestelle „Buerer Straße“ gewesen, weil wir mit der Bahn, die in fünf Minuten kommen sollte, zu mir nach Hause fahren wollten“, sagt Laura. An der Haltestelle ist das Pärchen an drei jungen Männern vorbei gelaufen, die etwa 18 bis 20 Jahre alt gewesen sein sollen.
„Die haben sich auf türkisch unterhalten und hatten Dönerboxen in der Hand“, erinnert sich Mustafa. Der 17-Jährige hat auf seiner Flucht aus Syrien einige Zeit in der Türkei gelebt, weshalb er die Sprache versteht und sicher ist, dass das Trio türkisch gesprochen hat.
Ohne jeden Grund angegriffen
Ohne jeden Grund hat das Trio das Pärchen angepöbelt. „Was guckst du“, hat einer der Jungs im aggressiven Ton gesagt. „Die wollten sich nur prügeln, denke ich“, so Laura. „Daraufhin habe ich mich umgedreht und gefragt: Was hast du gesagt?“. Dass Mustafa überhaupt etwas gesagt hat, war für das Trio offenbar Grund genug auszurasten.
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Offenkundig informierten sie weitere junge Männer via Handy, dass es hier an der Haltestelle ein Pärchen gibt, dass verprügelt werden muss. Denn nur Augenblicke später, sprang ein weiterer junger Mann aus der U11, kaum, dass die Bahn an der Haltestelle angekommen war. „Der kam geradewegs auf uns. Der hatte uns fest im Blick und sprach auf arabisch auf uns ein“, so Laura. Mustafa hat ihm seinerseits auf arabisch geantwortet.
„Ich habe nur gesagt, er soll uns in Ruhe lassen“, so der 17-Jährige. Seinen syrischen Dialekt hat der Angreifer aus der U-Bahn offenkundig erkannt. „Er hat gesagt, ich ficke dein Land, ich ficke deinen Assad.“ Der Angreifer selbst habe einen arabischen Dialekt gesprochen, den man im Libanon spricht, ist sich Mustafa sicher.
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Plötzlich zückte einer der Täter ein Springmesser
Der Beleidigung folgten dann die ersten Fausthiebe in Musfafas Gesicht. „Immer und immer wieder haben sie auf ihn eingeschlagen. Dann hat der Angreifer, der aus der Bahn gekommen war, plötzlich ein Springmesser gezückt und damit gedroht. Ich hatte wirklich Todesangst. Ich habe um Hilfe geschrien und gleichzeitig versucht, Mustafa zu beschützen. Ein oder zwei Männer aus dem ersten Trio haben mich immer wieder weggezogen. Es standen rund 30 Augenzeugen an der Haltestelle. Niemand hat sich eingemischt. Später habe ich von der Polizei erfahren, dass zumindest mehrere Notrufe eingegangen seien“, sagt Laura mit merklich zittrigere Stimme als zuvor.
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Mustafa verlor in dem Handgemenge irgendwann das Gleichgewicht und stürzte zu Boden. In der Zwischenzeit ist ein weiterer Angreifer dazu gekommen, der ebenfalls arabisch gesprochen haben soll. Einer der Täter hat sich eine Maske übers Gesicht gezogen, „mit weißen Zacken-Zähnen“, erinnert sich Laura. Die Maske muss der Angreifer schon bei sich gehabt haben. Urplötzlich war es vermummt.
"Wir sind um unser Leben gerannt"
Laura und Mustafa gelang es irgendwann zu fliehen. „Wir sind um unser Leben gerannt. Ein paar Ecken weiter haben wir an jeder Tür sturmgeschellt. Niemand hat uns aufgemacht. Die Angreifer haben uns verfolgt und gebrüllt, dass sie uns kriegen würden. Es war so grausam. Das Krankenhaus war ganz in der Nähe. Wir hätten dort hin rennen können, aber ich konnte keinen klaren Gedanken fassen“, so die 18-jährige Studentin.
Angesichts der herannahenden Angreifer und der Haustüren, die ihnen verschlossen blieben, versteckte sich das Pärchen dann in einem Gebüsch.
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Die Polizei, die Laura schon während des Angriffs an der Haltestelle angerufen hatte, hatte sie die ganze Zeit über am Hörer. Die 18-Jähige schilderte dem Beamten, wo genau sie sich versteckt halten und wurden kurz darauf von einer Streifenwageneinheit dort abgeholt.
Angreifer konnten unerkannt fliehen
Die fünf Angreifer konnten unerkannt fliehen. Das Gelsenkirchener Kriminalkommissariat fahndet nach ihnen. Am Freitag, eine Woche nach dem Angriff, sagte ein Sprecher der Gelsenkirchener Polizei, dass noch Zeugenvernehmungen anstehen. Neue Hinweise zu den Tätern gäbe es bisher noch nicht.
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„Dieser Angriff, diese Brutalität – das bleibt im Kopf. Das kann ich nicht vergessen“, sagt Mustafa. Und Laura berichtet von Alpträumen, die sie heimsuchen. „Ich durchlebe diese schrecklichen Augenblicke immer und immer wieder.“
Dass dieser Überfall in sozialen Netzwerken schon längst als ein weiteres Beispiel für die „Ausländergewalt“ instrumentalisiert wird, weiß Laura. „Das ändert aber überhaupt nichts an meinem Weltbild und an meinem Engagement gegen rechts“, so die Studentin. „Schlechte Menschen gibt es überall. Das hat mit der Nationalität doch nichts zu tun“, unterstreicht Mustafa und betont: „Wir wollen doch nur in Frieden leben.“
Anmerkung der Redaktion: Die Opfer des Überfalls haben darum gebeten, ihre Namen nicht zu nennen. Zu groß ist die Sorge der beiden, die Täter könnten sich dadurch provoziert fühlen und sie erneut angreifen. Die echten Namen sind der Redaktion bekannt).
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