Gelsenkirchen. . Polizeipräsidentin Anne Heselhaus-Schröer sagt: Prävention trägt Früchte. Die Zahl der Raubdelikte und Einbrüche hat abgenommen, aber Clan-Kriminalität belastet Gelsenkirchen.
In der Reihe SommerGEspräche äußert sich erstmals Polizeipräsidentin Anne Heselhaus-Schröer. Über die Sicherheitslage, den Umgang mit Clans und Gefährdern sprach die ehemalige Richterin am Oberlandesgericht mit WAZ-Redakteur Nikos Kimerlis.
Frau Heselhaus-Schröer, wie beurteilen Sie die Sicherheitslage?
Anne Heselhaus-Schröer: Mit Blick auf aktuelle Trends und auf Grundlage der letzten Kriminalitätsstatistik hat sich die Lage aus meiner Sicht verbessert. Wir haben rückläufige Fallzahlen zu verzeichnen.
Die Polizei hat das Team Einbruchdiebstahl verstärkt. Hat das etwas gebracht, die Hochsaison Herbst/Winter steht ja noch bevor?
Gerade im Bereich des Wohnungseinbruchsdiebstahls sind die Fallzahlen (1. Halbjahr 2017: 473; 1. Halbjahr 2018: 259, Anm. der Red.) mit einer Quote von über 50 Prozent zurückgegangen. 127 Taten sind im Versuchsstadium stecken geblieben. Unsere Aufklärungsquote ist von 12,5 auf rund 14 Prozent gestiegen. Ein wichtiger Einflussfaktor für den Rückgang ist unsere Präventionsarbeit und die daraus resultierende Sensibilität der Bürger – wir werden bei verdächtigen Beobachtungen früher und öfter angerufen. Ein weiteres positives Resultat dieser Beratungen ist die Bereitschaft der Menschen, ihr Heim mit technischen Sicherungen zu versehen. Wie groß das Interesse ist, zeigt schon die Tatsache, dass circa 1000 Personen unseren Beratungsstand beim Hafenfest in Bismarck aufgesucht und wir dort 200 Beratungen durchgeführt haben.
Darüber hinaus haben wir Kooperationsverträge mit mehreren Wohnungsbauunternehmen geschlossen und beraten diese bei der technischen Sicherheitsausstattung ihrer Immobilien.
Derzeit stellen wir fest, dass sich die Einbrüche immer mehr auf das ganze Jahr verteilen, vor allem auf die Ferien. Wir haben erste Hinweise, dass der klassische Anstieg zur „dunklen Jahreszeit“ vielleicht nicht mehr so signifikant ist. Dies werden wir im Auge behalten. Wir appellieren immer wieder an die Ferienreisenden, sich in den sozialen Medien nicht so intensiv mit ihren Abwesenheiten zu outen, denn auch die Täter nutzen diese zur Information.
Besonders beschleunigtes Verfahren zeigt Wirkung
Und in anderen Bereichen?
Bei Raubdelikten haben wir einen ebenso starken Rückgang registriert. Ähnliches gilt für Fahrraddiebstähle, wo es der Polizei zuletzt gelungen ist, eine Bande festzunehmen. Auch die Zahl der Taschen- und Ladendiebstähle ist deutlich zurückgegangen, mit der Folge, dass es weniger Anzeigen gibt. Ein Grund könnte das seit 2016 durchgeführte besonders beschleunigte Verfahren sein. Es hat sich herumgesprochen, dass es in diesen Fällen zu einer schnellen Verurteilung der Täter kommt, nach dem Motto „Heute gestohlen und morgen schon verurteilt!“ Das ist ein starkes Zeichen der Abschreckung. Nach wie vor allerdings stellen Diebstähle – gemessen am Gesamtvolumen der erfassten Fälle – den größten Anteil dar.
Gibt es auffällige Stadtteile?
Über die Kriminalstatistik wird dies so nicht erfasst. Unserer Recherche nach sind Altstadt, Schalke, Erle und Buer die höher belasteten Stadtteile und zwar mit dem gesamten Spektrum von Diebstahl bis Körperverletzung. Für die Altstadt und Buer darf nicht unerwähnt bleiben, dass wir hier am Hauptbahnhof und an den ZOB-en ein großes Personenaufkommen haben.
Schwer, den Großfamilien beizukommen
Die Polizei berichtet oft über Einsätze, bei denen Gruppen respektive Clans in Erscheinung treten. Wie sieht da die Entwicklung aus?
Ja, auch wir in Gelsenkirchen haben das Phänomen der Clan-Kriminalität. Da geht es um Personengruppen, bei denen die familiäre und ethnische Herkunft dazu führt, dass wir als Polizei Schwierigkeiten haben, Straftaten aufzuklären, weil weder Zeugen noch Tatverdächtige aus diesen Gruppen gegenüber der Polizei Angaben machen wollen.
Die Clans versuchen im Sinne einer Paralleljustiz, Dinge selbst zu regeln. Dies ist nicht hinnehmbar, denn das Gewaltmonopol liegt beim Staat. Wir haben es mit Straftaten von zum Teil erheblicher Bedeutung zu tun – damit müssen und werden wir umgehen.
Und das tun wir auch im Sinne der Landeslinie „Null Toleranz“ – im Großen und im Kleinen, wie zum Beispiel mit dem am 6. Juli durchgeführten großen Kontrolleinsatz von Shisha-Bars oder umfassenden Verkehrskontrollen, um der „Raser- und Poser-Szene“ entgegenzuwirken. Durch die Kooperation mit der Stadt und dem neuen Referat Öffentliche Sicherheit und Ordnung hat sich eine enge Zusammenarbeit sowohl operativ als auch strategisch zum Thema Sicherheit gebildet. Wir kennen die entsprechenden Personen sehr genau. Wir sind auf einem guten Weg, wir werden denen aber immer wieder etwas entgegensetzen müssen. Letztendlich hat dies auch etwas mit dem großen Thema Integration und der Beachtung unserer Rechts- und Werteordnung zu tun, an die sich jeder halten muss.
In Duisburg werden Staatsanwälte speziell für Clan-Kriminalität eingesetzt. Was halten Sie davon und würden Sie sich das auch wünschen?
Das ist in Duisburg noch ziemlich neu. Um sich ein Bild darüber machen zu können, muss man zunächst die ersten Resultate und Erfahrungen abwarten. Dabei muss man wissen, dass die Staatsanwälte nicht durch die Quartiere patrouillieren. Sie verfügen über besondere Fachkenntnisse über den jeweiligen Stadtteil, auf deren Basis sie die einzelnen Sachverhalte besser beurteilen können, was sie in erster Linie von ihrem Schreibtisch aus tun. Wir haben hier in Gelsenkirchen in den letzten Jahren einen gut funktionierenden und erfolgreichen Austausch mit den für uns verantwortlichen Justizbehörden installiert, sowohl auf der Ebene der Behördenleiter, als auch auf Arbeitsebene.
Verstärkung kommt in etwa zwei bis drei Jahren
Über wie viel Personal verfügt die Polizei, wann kommt Verstärkung?
Köpfe sind nicht gleichzusetzen mit Stellen, es gibt ja auch Teilzeitbeschäftigte, Elternzeit und so fort. Derzeit hat das PP Gelsenkirchen 826 Mitarbeiter. Davon sind 690 Polizeivollzugsbeamte, Frauen wie Männer. Das Land hat die Einstellungszahlen stark erhöht, um sowohl dem demografischen Wandel als auch den sich verändernden Aufgaben Rechnung zu tragen. Es dauert jetzt etwa zwei bis drei Jahre, bis diese Kollegen ihre Ausbildung beendet haben. Wie viele dann nach Gelsenkirchen kommen, können wir derzeit nicht sagen, da sich die Anzahl der neuen Kollegen jährlich nach einem speziellen Schlüssel berechnet, bei dem unter anderem die Kriminalitätsbelastung und die Unfallzahlen Berechnungsparameter sind. Außerdem fallen Studierende durch die Prüfungen oder brechen leider die Ausbildung ab.
Stichwort Videobeobachtung. Wie stehen Sie als Polizei-Chefin und ehemalige Richterin dazu?
Da bewegen wir uns im Spannungsfeld Sicherheit und Freiheit. Durch Videobeobachtung, nicht Videoüberwachung, greift man massiv in die Persönlichkeitsrechte der Menschen ein, deshalb ist sie an enge rechtliche Voraussetzungen geknüpft. Eine Videobeobachtung kann es nur an Kriminalitätsbrennpunkten geben, die rechtlich klar definiert sind. In Gelsenkirchen haben wir solche Orte derzeit nicht. Sofern sich dies nach unserer Einschätzung ändern sollte, werden wir dies neu bewerten.
Essen, Berlin, Barcelona, um nur einige Anschlagsorte zu nennen. Wie viele als Gefährder eingestufte Menschen leben in Gelsenkirchen?
Wir reden von 270 Gefährdern in Nordrhein-Westfalen. Ein Viertel davon sind handlungsfähig, das heißt, sie halten sich hier auf, sind außerhalb des Strafvollzuges und könnten in Aktion treten. Die hier in Gelsenkirchen ansässigen haben wir im Fokus. Unsere Maßnahmen gehen je nach Einzelfall von Gefährderansprachen (mündliche Mahnung, Anm. d. Red.) über Meldeauflagen bis hin zu einer 24-Stunden-Überwachung. Ich möchte keine Probleme kleinreden, ich möchte aber auch keine Ängste schüren. Das Ganze ist eine Gratwanderung zwischen Gefahrenlage, Schutz der Bevölkerung und Persönlichkeitsrechten. Mit dem, was man veröffentlicht, muss man sehr sensibel umgehen. Das betrifft auch die, die wir im Verdacht haben.
Staatsschutz wurde personell aufgestockt
Hat die Polizei genug Kräfte? Laut Polizeigewerkschafter Wendt kommen 30 Kräfte auf eine Zielperson.
Gehen Sie mal davon aus: Wenn eine 24/7-Überwachung erforderlich ist, dass wir die, wenn nicht alleine, mit der Hilfe von Unterstützungskräften gewährleisten. Auch bei uns wurden die Sockelstellen im Staatsschutz aufgestockt. Wir haben mittlerweile zwei Kommissariate für politisch motivierte Straftaten eingerichtet – eines für Terror und Salafismus, und eines für den Rechtsbereich, Reichsbürger beispielsweise. Diese Kriminalinspektion beschäftigt sich aber genauso mit linksextremistischen Straftaten.
Kontakt zu Basis halten
Wie ist das eigentlich als Frau an der Spitze einer Behörde?
Bei der Polizei gibt es eine ganz andere Kultur, ganz andere Herausforderungen, als wenn man sich mit einer Akte zurückzieht, diese juristisch aufbereitet und dann als Richterin zu einer Entscheidung kommt. Dieses ruhige Arbeiten, das habe ich als Polizeipräsidentin nicht, weil permanent irgendwelche Lagen da sind, auf die wir schnell reagieren müssen. Das hat meinen Alltag sehr verändert, planbar ist jetzt vieles nicht mehr. Ich bin jeden Tag gefragt, außer im Urlaub. Es passiert, dass ich nachts angerufen werde und eine Handyortung anordnen muss. Ich bin im Grunde nie im Off – eine neue und anfangs schon recht gewöhnungsbedürftige Erfahrung.
Wie würden Sie ihren Führungsstil beschreiben?
Das ist eine schwierige Frage. Die Polizei ist ja so strukturiert, dass von Behördenleitungen Entscheidungen erwartet werden. Bevor ich eine Entscheidung treffe, und so würde ich deshalb meinen Führungsstil bezeichnen, versuche ich immer, zu beteiligen – also eher partizipatorisch: Im Minimum die Direktionsleiter wenn nicht auch die Kollegen, die es betrifft. Und auch kooperativ. Ich lasse mich mindestens ausführlich beraten, bevor ich eine Entscheidung treffe oder sie delegiere. Im Grunde versuche ich, nichts an den Menschen vorbei zu machen. Und das transparent, damit die Kollegen verstehen, warum eine Entscheidung so sein muss. Ich habe eine Open Hour eingerichtet, bei der die Mitarbeiter einmal in der Woche die Möglichkeit haben, ihre Anliegen vorzutragen. Ich möchte Kontakt zur Basis halten. Das gilt auch für nächtliche Streifenfahrten, Fußballspiele oder sonstige Einsätze, bei denen ich dabei bin.
Was hat den Ausschlag gegeben, Ihren Richterjob gegen einen anderen Spitzenposten einzutauschen?
Den Perspektivwechsel habe ich gemacht, um etwas Neues kennenzulernen, um etwas zu bewegen. Ich bin zum Schluss beim Oberlandesgericht auch in der Verwaltung tätig gewesen, habe da unter anderem das Dezernat für Aus- und Fortbildung verantwortet. Das Führungsgeschäft betraf damals einen kleinen Bereich und es hat mich gereizt, zu schauen, wie es an der Spitze einer ganzen Behörde ist. Positiv überrascht haben mich die unglaubliche Kollegialität, die familiäre Atmosphäre und die Unterstützung, die ich hier erfahren habe. Ich hatte vorab schon im Rahmen meiner strafrichterlichen Tätigkeit gute Kontakte zu Staatsanwaltschaft und Polizei. Aber diesen neuen Bereich von der „Pike“ auf kennen zu lernen, das hat nicht nur viel Spaß gemacht, sondern meiner Meinung nach auch dem Ganzen gut getan, weil hierdurch und insbesondere durch die Justizkontakte eine wirklich gute Sicherheitsarchitektur entstanden ist.
Wie und wobei finden Sie Entspannung bei ständiger Erreichbarkeit?
Zeit versuche ich mir zu nehmen. Ich mache Sport, bin in einem Fitnessstudio und belege mehrere Kurse wie etwa Spinning, außerdem walke ich. Ich lese viel und besuche unheimlich gerne das Musiktheater. Die Qualität der Aufführungen schätze ich sehr, auch das Haus selbst ist wunderschön. Und da sind natürlich noch Familie und Freunde. Viel Spaß machen mir auch Besuche der Feierabendmärkte. Ich treffe dort viele nette Menschen, mit denen ich mich angeregt unterhalten kann.
Polizeipräsidentin – Traumjob oder weitere Sprosse auf der Karriereleiter – wo soll es hingehen, als Staatssekretärin in ein Ministerium oder noch höher?
Ich bin ein neugieriger Mensch und habe immer wieder meine Bereiche gewechselt. Ich will nicht ausschließen, wenn es ein attraktives Angebot gibt, dass ich mir das dann noch einmal überlegen könnte, mich erneut zu verändern. Ich bin von Bielefeld hierhin gezogen, habe mittlerweile hier meinen Erstwohnsitz und fühle mich sehr heimisch. Man kann also sagen, ich habe Wurzeln geschlagen. Immer wieder aufs Neue neu anzufangen, ich wüsste nicht, ob ich das wollen würde, jedenfalls muss es auch mit dem Privaten in Einklang zu bringen sein.