Gelsenkirchen. . Sie wissen, dass sie gute Arbeit leisten und die Stadt viel für sie tut. Im WAZ-Gespräch erklären drei Gesamtschulleiter, was noch besser wäre.

Schulen brauchen mehr Unterstützung, darüber herrscht allgemein Einigkeit. Welche Art von Hilfe und wie die möglichst schnell wirken kann, da gehen die Meinungen weit auseinander. Die WAZ Gelsenkirchen fragt diejenigen, die am besten wissen, was fehlt, was gut läuft und was nicht: die Praktiker. Im ersten Schritt sind es drei Gesamtschulleiter: Achim Elvert, Leiter der Gesamtschule Ückendorf (GSÜ), Markus Hogrebe, Leiter der Gesamtschule Horst, und Ulrike Purz, Leiterin der Gesamtschule Buer-Mitte (GBM).

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Die drei haben sich zunächst schwer getan mit der Idee, öffentlich Defizite beim Namen zu nennen. Es ist eine Gratwanderung für sie: berechtigte Wünsche und Forderungen öffentlich zu machen ohne die erheblichen Leistungen und Erfolge der eigenen Schüler und Kollegen sowie die Unterstützung des Schulträgers und Bezirksregierung kleinzureden.

Gesamtschulen haben die vielfältigste Schülerschaft aller Schulformen, stemmen einen besonders großen Teil der Integrations- und Inklusionsarbeit. Doch gleich eingangs stellen alle drei klar: Wir arbeiten gern mit den Schülern, die wir haben. Gesamtschulen seien als integrierte Systeme ideal, um alle mitzunehmen und zu fördern.

Mehr Kräfte für Sprachförderung

„Es dauert heute länger als früher, eine gemeinsame Fachsprache für den Unterricht zu entwickeln“, räumt Ulrike Purz ein. „Aber das hängt nicht nur mit dem Thema Migration zusammen.“ Auch bei Kindern aus deutschstämmigen Familien gebe es zunehmend Sprachförderbedarf. Sprachförderung ist an Achim Elverts GSÜ schon immer eine Selbstverständlichkeit: „Aber wir bekommen unterm Strich heute nicht mehr Kräfte für die Sprachförderung zugewiesen als vor zehn Jahren. Trotz der Internationalen Förder-(Ifö)Klassen, die dazu gekommen sind.“

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Als besonders schwierig empfinden alle drei die Notwendigkeit, Mehrklassen zur Integration von Kindern aus Ifö-Klassen einzurichten. Erst pflege man mit viel Aufwand Teambildung, dann müsse man die Klasse wieder teilen. „Das könnte man auch anders regeln. Wenn man mit kleineren Klassen starten dürfte und dann nach und nach diese auffüllen könnte,“ schlägt Markus Hogrebe vor. Das sei zwar teurer, aber deutlich effektiver. Ulrike Purz fände es richtig, alle Schulen und Schulformen einzubinden in diese Aufgabe. Dann sei die Schülerverteilung eine andere, Integration leichter.

Wunsch nach kleineren Eingangsklassen

Achim Elvert plädiert ebenfalls für kleinere Eingangsklassen. „Wir bräuchten diesen Puffer immer. Nicht nur wegen der Ifö-Schüler, sondern auch wegen der zahlreichen Abschulungen (Versetzen in eine niedrigere Schulform, Anm. d. Red). Die Gymnasien können mit größeren Klassen starten, sie werden bis zur Oberstufe immer kleiner. Wir fangen die abgeschulten Kinder auf, unsere Klassen werden im Lauf der Jahrgänge so immer größer. Schon lange.“ Eine längere gemeinsame Lernzeit aller Kinder in der Grundschule könne helfen, Abschulungen zu vermeiden.

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In so jungen Jahren sei es schwierig, Potenzial richtig einzuschätzen. „Das sieht man an der großen Zahl abgeschulter Kinder, aber auch daran, dass wir viele Grundschüler mit Hauptschulempfehlung zum Abitur führen.“ Elvert fände einen anderen Blick auf die Schulplanung hilfreich: „Der Wunsch der Viertklässler-Eltern ist heute das Maß der Dinge für Planer. Natürlich wünschen sich alle das Abitur für ihr Kind. Ob das der richtige Weg für das Kind ist, zeigt sich aber viel später.“ Wenn man bei Eltern in der achten Klasse nachfragen würde, wenn viele Kinder Probleme haben, dürfe sich ein anderes Bild ergeben.

Auch eine Frage der Verteilung

Ein Kernproblem aller Schulen ist der Lehrermangel. „Aber auch das ist eine Frage der Verteilung. Wenn wir etwa mehr Lehrer mit Lehrberechtigung für die Sekundarstufe II einstellen und entsprechend bezahlen dürften, würden wir mehr Stellen besetzt bekommen,“ erklärt Ulrike Purz. Für Gesamtschulen gelte da eine Obergrenze von 44 Prozent, für Gymnasien gebe es die nicht.

Massive Engpässe in den siebten Jahrgängen

Fast 4000 Schüler besuchen allein diese drei Gelsenkirchener Gesamtschulen. Der Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund liegt dabei zwischen 40 und 90 Prozent.

 

Im letzten Schuljahr lernten fast 5700 Jugendliche an Gesamtschulen, 5200 an Gymnasien, 2780 an Real- und 1750 an Hauptschulen, 430 an der Sekundarschule.

 

Alljährlich weisen Gesamtschulen hunderte von Kindern ab, weil es zu wenige Plätze gibt.

 

Mit massiven Engpässen in den siebten Klassen an Gesamtschulen ist auch im kommenden Schuljahr wegen von Gymnasien und Realschulen abgeschulten Heranwachsenden zu rechnen.

 

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„Die Lehrereinstellung müsste stärker gesteuert werden. Nicht über Zwang, aber über bessere Arbeitsbedingungen. Weniger Wochenstunden oder bessere Bezahlung zum Beispiel für Lehrer die bereit sind, an schwierigen Standorten zu arbeiten“, schlägt Achim Elvert als Anreiz vor. Ungleiches müsse auch ungleich behandelt werden. Ulrike Purz geht noch weiter, könnte sich auch bedarfsgerechte Zuweisungen vorstellen, die es früher schließlich auch gegeben habe. Sie selbst kam so an die Gesamtschule.

Verlässlichkeit und langfristige Konzepte fehlen

Die Gretchenfrage, ob es eine Einheitsschule geben sollte, beantworten alle drei anders: Achim Elvert etwa ist überzeugter Gesamtschulfan. Er selbst war Gymnasiast, seine Kinder besuchen die Gesamtschule. Seiner Überzeugung nach sind integrierte Systeme die besten; auch gesamtgesellschaftlich. „Ich halte auch ein Zweisäulen-System für denkbar“, so Markus Hogrebe, „G8-Gymnasien für besonders Leistungsstarke und integrierte Gesamtschulen für alle anderen zur optimalen Förderung.“ Ulrike Purz sieht durchaus unterschiedliche Bedarfe, „aber derzeit haben wir ganz klar viel zu viele Schulformen.“ In dem Punkt herrscht absolute Einigkeit.

Sieben verschiedene weiterführende Schulformen gibt es derzeit in NRW. Modellversuche kommen noch dazu.
Sieben verschiedene weiterführende Schulformen gibt es derzeit in NRW. Modellversuche kommen noch dazu.

Heißt das, dass sie gegen die geplante Einrichtung einer zweiten Sekundarschule sind? Das „Nein“ der drei kommt mit mäßigem Nachdruck, auch der Zusatz, dass es ein integriertes System und als solches gut sei. Markus Hogrebe erklärt, warum: „Was wir vermissen, ist eine langfristige, verlässliche Planung. Es wird jetzt eine Schule gegründet für eine Zeit, bei der man davon ausgeht, dass es kein Zusatzpotenzial für eine Oberstufe gibt. Wir würden uns ein klares langfristiges Konzept wünschen.“ Was bei allen mitschwingt, aber keiner so ausspricht: Es ist befremdlich, dass im Stadtsüden und im -norden Gymnasien unangetastet direkt Tür an Tür existieren und auf Oberstufenkooperation angewiesen sind, Gesamtschulen für die Gründung aber hinreichend Potenzial für eine Oberstufe nachweisen müssen.

Weniger Schulformen wären besser

Der allerdringlichste Wunsch der drei: Verlässlichkeit, langfristige Planung, um in Ruhe gut arbeiten zu können statt ständig neuer Konzepte. Für die Stadt als Schulträger gibt es viel Lob, man erkennt das Bemühen. „Aber dass das Land jetzt schon wieder zurückrudert bei der Inklusion, ist wenig hilfreich“, betont Ulrike Purz. Ohnehin: In das allgemeine Klagelied über die Inklusion mögen die drei nicht einstimmen, alle drei stehen hinter dem Konzept. Markus Hogrebe erklärt: „Wir haben Kinder mit Förderbedarf auf alle Klassen verteilt. Dank der Unterstützung von Sonderpädagogen hat sich auch unser Blick auf die anderen Kinder verändert. Auch bei ihnen gibt es ja Besonderheiten, mit denen wir jetzt anders umgehen lernen.“ Mehr Unterstützung, vor allem mehr Sonderpädagogen, wünschen sich trotzdem alle sehnlich.

Das Fazit? Das Problem sind nicht die Schüler, sondern das Fehlen von Verlässlichkeit und langfristigen Konzepten sowie hinreichender personeller Ausstattung. All das ist umsetzbar, sind die drei überzeugt – und bitter nötig.