Gelsenkirchen. Schüler der Anadolu Lisesi-Schule in Büyükçekmece arbeiten gemeinsam mit Jugendlichen der Gesamtschule Ückendorf.

Seit drei Monaten wartet die Klasse auf die Ergebnisse der Englischarbeit. Aber heute, heute fragt die Lehrerin die Schüler der Reihe nach ab, wie viele Punkte sie glauben erreicht zu haben. Hazal, die Klassenschlechteste, flippt aus: 50 Punkte braucht sie, 49 bekommt sie – und wird deswegen sitzen bleiben. Ob sie nun „i run“ (wie die türkische Buttermilch Ayran) fehlerfrei sprechen kann oder nicht ...

Das Publikum in der Aula der Gesamtschule Ückendorf (GSÜ), vorwiegend mit türkischen Wurzeln, hat Spaß an dem, was die Gastschüler der Anadolu Lisesi-Schule in Gelsenkirchens Partnerstadt Büyükçekmece da auf die Bühne bringen. Wobei – die insgesamt drei Sketche haben einen durchweg ernsthaften, anspruchsvollen Hintergrund.

Was junge Menschen im Alltag verbindet

„Wie leben wir in Deutschland und wie in der Türkei zusammen? Was verbindet unser Alltagsleben, was ist anders?“ Die Fragestellung, die Schulleiter Achim Elvert in seiner kurzen Begrüßung aufwirft, liegt den Sketchen zugrunde. Die 14 Schülerinnen und Schüler aus Büyükçekmece machen am Dienstag den Anfang. 16 Schüler der Gesamtschule Ückendorf aus dem Leistungskurs Türkisch der Jahrgangsstufe 12 von Lehrerin Yasemin Cinar-Karabacakoğlu arbeiten am Projekt mit, zu dem im Frühjahr der Startschuss fiel. Im Zentrum der Schülerarbeit in Gelsenkirchen und Büyükçekmece steht die Frage der „kritischen Reflexion von Selbst- und Fremdbildern junger in Deutschland und in der Türkei lebender Menschen“. Die kleinen Inszenierungen sollen die Inhalte für alle erlebbar machen.

Mit sturem Lernprogramm unzufrieden

Erlebbar wird auf der Bühne, wie unzufrieden junge Erwachsene mit sturem Lernprogramm in der Schule sind und dass – im gespielten Fall – die Lehrerin mehr auf Äußerlichkeiten ihrer Schüler achtet, anstatt darauf einzugehen, was sie sagen.

Mutter und Sohn haben eine besondere Verbindung.
Mutter und Sohn haben eine besondere Verbindung. © Joachim Kleine-Büning

Szene Nummer 2: die Familie. Da zeigt sich einmal mehr, dass die jungen Leute – die ihre Sketche erst im Laufe des Tages geübt haben – verborgene Schauspieltalente in sich tragen. Hazal, die temperamentvolle Spätgöre mit den fröhlichen Locken, gibt die aufmüpfige Tochter, die sich dem Bruder gegenüber benachteiligt fühlt, mit großer Überzeugung. Ihre Mutter ist da schon eher bei ihr ... aber die Oma, gespielt von Meltem, ist vom alten Schlag. Die Schwiegertochter passt ihr nicht, ihren Sohn vergöttert sie. Hier versuchen die 15- bis 18-Jährigen, klassische Familienstrukturen aufzubrechen. Mit viel Esprit und komödiantischem Einschlag. Besonders die Oma hat’s drauf.

Und plötzlich kann die Oma sogar tanzen

Das kommt im dritten Sketch rüber, in dem Schein und Sein eine tragende Rolle spielen. Freundinnen der Schwiegertochter sind zu Besuch, reden über ihre Kinder. Eine gibt an, ihre Tochter werde Ärztin, die feine Dame unter den Frauen protzt mit der neuen, schmuckbesetzten Waschmaschine, die Dritte im Bunde gibt mit der Freundin des Sohnes an. Und die Großmutter? Von wegen, Rückenschmerzen. Als sie sich unbeobachtet glaubt, legt sie ein sehr bewegtes Tänzchen auf die Bühne. Anschließend wird diskutiert.

Freitag steigen die Gastschüler in den Flieger gen Istanbul. Das Projekt, unterstützt von der Robert-Bosch-Stiftung und dem Förderverein Städtepartnerschaft GE-Büyükçekmece, soll fortgesetzt werden. Unter anderem mit dem Gegenbesuch der GSÜ-Gruppe.