Essen. . Zu einem Jahr auf Bewährung wurde ein Krankenpfleger von der V. Essener Strafkammer verurteilt. Aus Sicht der Kammer hatte der Mann eine Patientin missbraucht. Der Angeklagte bestritt die Tat stets. Das Opfer hatte zur Tatzeit einen Blutalkoholwert von 1,8 Promille. Das Urteil war eine Überraschung.

Zwei Stunden zuvor hatte die V. Essener Strafkammer noch die Einstellung des Verfahrens vorgeschlagen, dann verurteilte sie den Krankenpfleger doch. Weil er aus ihrer Sicht eine betrunkene Patientin befingert hatte, erkannte die Kammer auf einem Jahr Haft mit Bewährung. Weitere Auflagen hielt sie nicht für nötig.

Es war ein Urteil der Überraschungen. Selbst über ein Berufsverbot hätten sie nachgedacht, sagte Richterin Luise Nünning, obwohl das zuvor nicht einmal die Staatsanwaltschaft beantragt hatte. Aber auch die Staatsanwaltschaft zeigte sich nicht konsequent. Ursprünglich hatte die Behörde das Verfahren eingestellt, weil sie Aussage gegen Aussage sah. Erst auf Beschwerde des Opfers hatte sie Anklage erhoben. Im Verfahren zeigte sich Staatsanwältin Katharina Küpper sicher, dass die Vorwürfe berechtigt sind. Sie forderte sogar eineinhalb Jahre Haft mit Bewährung und 2000 Euro Geldbuße.

Der Angeklagte hatte die Tat stets bestritten. Die heute 22 Jahre alte Studentin hatte am 15. Juli 2012 die Diskothek „Mupa“ in der Essener City besucht. Nach dem Genuss alkoholischer Getränke war sie zusammengebrochen. Mit einem Rettungswagen kam sie um 3.43 in ein Krankenhaus, wo sie schließlich vom Angeklagten auf den Flur einer Station zum Ausnüchtern gebracht wurde.

Opfer will Angeklagten an der Stimme erkannt haben

Als sie später aufwachte, weinte sie. Sie rief, sie sei vergewaltigt worden. Sie beschuldigte zunächst einen anderen Pfleger, der aber wohl gar nicht auf der Station war. Danach nannte sie den Angeklagten als Täter. Weil sie auch nach eigenen Worten die ganze Zeit im Krankenhaus die Augen zu hatte, will sie ihn trotzdem an der hohen Stimme wiedererkannt haben: „Mein Chef spricht genauso.“

1,8 Promille Alkohol hatte sie zur Tatzeit im Blut, obwohl die Studentin nach eigenen Worten „nur wenig“ getrunken hatte. Die psychiatrische Gutachterin Marianne Miller sah in dem außergewöhnlich hohen Alkoholwert kein Problem. Die Zeugin sei aussagetüchtig, ihre Wahrnehmung kein Fantasieprodukt.

Kammer zweifelte nicht an der Aussage der jungen Frau

Verteidiger Andreas Schäfer warnte davor, der Gutachterin „blind zu folgen“ und seinen Mandanten zu verurteilen. Der Lüge wollte er die junge Frau nicht bezichtigen, sie könne aber ihre Wahrnehmungen vermischt haben. Schäfer: „Vielleicht war es ein anderer Pfleger, ein unbekannt gebliebener Mann auf der Station, eine Krankenschwester, oder es ist schon in der Mupa etwas passiert.“

Die Kammer zweifelte aber nicht an der Aussage der jungen Frau und stützte ihr Urteil auf die Aussage der damals Betrunkenen. Richterin Nünning: „Wir sind uns sicher.“