Essen. Hysterisch und aufgeheizt war die Atmosphäre, als die Caritas 1988 mit der Aids-Beratung begann. Damals starben manche Betroffene innerhalb weniger Wochen. Heute helfen die Mitarbeiter bei Fragen rund um Job, Wohnung oder Familie. Diskriminierungen gibt es immer noch.

Silvester 1993 erfuhr Bernd R., dass er HIV-positiv ist, „weil ich unvorsichtig im Spanienurlaub gewesen bin“. Er war 33 und die Diagnose hat ihn nicht so sehr umgehauen wie die Krankheit. Nur kurz nach der Ansteckung brach er körperlich zusammen, nahm 25 Kilo ab und landete in der Klinik. Er lebt, weil damals Medikamente auf den Markt kamen, die HIV inzwischen zu einer behandelbaren, chronischen Krankheit gemacht haben.

Das hat auch die Arbeit der Caritas Aidsberatung, die seit 25 Jahren existiert, völlig verändert, sagt Leiterin Ingrid Hafner. Die Ausgangslage war wegen der tödlichen Erkrankung eine Katastrophe. Manche Betroffene, die zu ihnen kamen, starben in wenigen Wochen. In den ersten fünf Jahren leisteten sie vor allem Pflege- und Sterbebegleitung.

Mehr als 3000 Kontakte in psychosoziale Betreuung

Heute geht es vielmehr um Lebenshilfe, um Beratung und Betreuung. 2012 hatten die neun Mitarbeiter rund 150 Klienten und mehr als 3000 Kontakte in der psychosozialen Betreuung. Zwar stehen das Thema Gesundheit und die Medikamenteneinnahme an erster Stelle, „das ist die Basis für alles.“ Aber es geht ebenso um finanzielle Mittel, Wohnen und Beschäftigung. Zudem klären die Mitarbeiter in Schulen auf, bieten Mal-Therapie, Frühstücks-Treff und Ausflüge an.

1988 in den Anfängen gab es einen Angehörigenkreis, sie sprachen über den Schicksalsschlag. Die Beratungsstelle befand sich in einer Bredeneyer Jugendstilvilla, „die Atmosphäre war aufgeheizt und hysterisch“, erinnert sich Ingrid Hafner. Auch die Kirche sei gespalten gewesen: Ein Lager betrachtete Aids als Geißel Gottes, das andere wollte sich für Betroffene einsetzten. „Als Beratungsstelle hatten wir durchaus Startschwierigkeiten.“ Doch die Kirche habe mit dem Angebot ein Zeichen gesetzt, das ist bis heute wichtig.

Seit 2008 beraten sie in der Stadtmitte, seitdem ist der Orts-Caritasverband Träger. Vieles habe sich normalisiert, geblieben sind aber Diskriminierungen der Betroffenen, die mitunter persönlich und moralisch abgewertet werden, sagt Ingrid Hafner. Damit habe HIV unter den Krankheiten eine Sonderstellung. Betroffene verlieren nach wie vor Arbeitsplatz, Freunde oder den Kontakt zur Familie.

Der Familie nie etwas gesagt

Bernd R. hat sich in seiner Familie nicht geoutet. „Ich glaube, mein Vater weiß es“, sagt er und berichtet vom Spießrutenlauf in seinem früheren Job bei einer Krankenkasse, bis hin zur separaten Toilette, die „meinem Schutz dienen sollte“. Vier Jahre nach dem Testergebnis wurde er Rentner. Heute lebt er in einer Partnerschaft, berät selbst Betroffene, weil er selbst weiß, „wie wichtig diese Arbeit und die Vielfalt der Angebote ist“, sagt der 53-Jährige, dem die Ärzte damals an Silvester noch 14 Wochen zu leben gaben.