Essen. . Schwule, Lesben, Trans- und Bisexuelle feierten am Wochenende die zehnte Auflage des Ruhr-„Christopher Street Day“ in der Innenstadt. Mit ihrer „Kumpelparade“ forderten sie endlich eine Gleichstellung. Der CSD erinnert: In über 70 Ländern der Welt ist gelebte Homosexualität eine Straftat.

Hier bunt und schrill, da bieder und konservativ – beim Ruhr-CSD, dem „Christopher Street Day“ mitten in der Essener Innenstadt, kommen am Samstag Schwule, Lesben, Trans- und Bisexuelle aller couleur unter den Farben des Regenbogens zusammen. Und mit ihnen auch Verwandte, Freunde und heterosexuelle Pärchen, die gemeinsam mit ihnen feiern und für gleiche Rechte protestieren wollen. Über 12.000 Besucher zählt der Verein „Essen Andersrum“, ei­ner der Organisatoren.

Unter ihnen ist beispielsweise Lucie. Die 19-Jährige läuft bei der „Kumpelparade“, der Demonstration unter dem Titel „Gleiche Rechte – Nur mit uns“ vorneweg mit und schwingt mit Freundin Nina die Regenbogenfahne. „Seit über zwei Jahren sind wir zusammen“, sagt die 21-Jährige strahlend, „aber uns so zu geben, wie wir sind, das geht bei uns zu Hause nicht“.

"Denn hier kennt uns keiner"

Aus einem Dorf nahe Iserlohn sind die zwei zum CSD angereist, „denn hier kennt uns keiner. Hier können wir sein und leben, wie wir sind“. Dass ihr Umfeld das nicht akzeptieren mag, betrübt beide sehr. Lucie: „Wir haben doch Gefühle wie jeder andere Mensch. Wir sind doch ganz normal, so wie jeder.“

Dennoch fallen beide einer älteren Dame auf, die verdutzt die Parade beobachtet: „Die sehen ja gar nicht aus wie echte Lesben“, meint sie zu ihrem Mann, ehe rasch dutzende musternde Blicke aus dem CSD-Tross auf sie gerichtet sind, sie rot anläuft und sagt: „Nein, das war nicht so gemeint, wie es sich anhörte. Entschuldigung. Es ist in Ordnung, was Sie da machen .“ Los wird sie die Blicke jedoch nicht.

Am Kennedyplatz angekommen, beginnt das große Straßenfest: „Angelica Glitzer“, „Miss Jeany“, „Danielle Tompson“, „Die Terrortucken“ und zahlreiche weitere Künstler geben sich auf der Bühne die Ehre. Hier und da ziehen tratschende und lästernde Drag Queens über den Platz. Für ein Foto sind die Travestiekünstler auf Plateauschuhen immer zu haben.

"Muttis GAYle Truppe"

Christopher Street Day

CSD in Essen.
CSD in Essen. © WAZ FotoPool
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Bevor der CSD allen an den Folgen von HIV und Aids Verstorbenen mit einer Schweigeminute gedenkt und Hunderte knallbunte Luftballons gen Himmel empor steigen, wird es politisch – mit einer kommunal- und ei­ner bundespolitischen Diskussion. Mit dabei ist Thomas Mehlkopf, CDU-Fraktionschef im Bezirk IV und Vize-Bundesvorsitzender der LSU – die parteinahe Organisation Lesben und Schwuler in CDU und CSU.

„Er hat sich vor vier Wochen mit seinem Mann verlobt, Glückwunsch“, wird der Borbecker auf der Bühne begrüßt. Innerhalb der Uni­on kämpft er für das Adoptionsrecht und die Gleichstellung von Lebenspartnerschaften mit der Ehe. „Und da gibt es noch viel zu tun“, sagt Benjamin Thomas von der LSU, die ne­ben SPD, Grünen, Linken, Liberalen und Piraten auf dem CSD mit einem Stand vertreten ist. Thomas und seine Kollegen verteilen Postkarten mit der Aufschrift „Muttis GAYle Truppe“. Und provozieren mit ihrer Angela-Merkel-Reklame viele Lacher.

Dass Sozialdezernent Peter Renzel jüngst zugesagt hat, dass er noch in diesem Jahr eine zentrale Stelle für Lesben, Schwule, Bi- und Transsexuelle einrichten will (die NRZ berichtete), überrascht und freut das „Forum Essener Lesben und Schwule“. Eigentlich wollten sie beim CSD energisch für diese Stelle streiten. Doch Renzel hat ihnen zuvor gekommen, und ist so wohl einer der gefragtesten Gesprächspartner beim CSD. Wie geht’s an­gesichts des städtischen Haushalts mit der Aids-Hilfe und dem „together“, dem früheren „Café Vielfalt“ weiter? „Wir stehen dahinter“, betont etwa Linken-Fraktionsvize Janina Herff .

„Zwischen Galgen und Standesamt“

„Ich glaube, dass wir gerade für solche Projekte mehr Geld brauchen. Da werden wir hartnäckig bleiben“, betont Frank Müller. „Denn was Schwul-, Lesbisch- und Transjugendarbeit angeht“, so der SPD-Ratsherr, „steigen die Kosten immer mehr, jedoch die Fördersummen nicht“.

Kommunalpolitisch ziehen jedenfalls auf dem Podium alle Parteien an einem Strang. Ein Streitgespräch liefern sich stattdessen zwei Bundespolitiker auf der Bühne: Regina Görner und Kai Gehring – sie Vorstandsmitglied in der Bundes-CDU, er Essener Grüner, Mitglied im Deutschen Bundestag und schwul. „Ich bin verliebt in Vielfalt“, betont Gehring und schreibt schwarz-gelb ins Stammbuch: „Alle Vorschläge, die in dieser Legislaturperiode in Sachen Gleichstellung gekommen sind, kamen aus Karlsruhe vom Bundesverfassungsgericht. Sie wurden von der Bundesregierung aber nur teilweise aufgegriffen und halbherzig umgesetzt.“ Zum Beispiel, wenn es um das Adoptionsrecht geht. Görner versucht zu kontern: „Für die CDU ist das eine relativ neue Diskussion, die muss man erst führen. Aber wir stellen uns dieser Diskussion.“

Dass die gelebte Homosexualität in über 70 Ländern noch immer eine Straftat ist, beklagen beide Politiker gleichermaßen. „Wenn wir uns umsehen, ist auf dem Globus alles zwischen Galgen und Standesamt vertreten. Homophobie hat auf der ganzen Welt nichts zu suchen“, betont Gehring auch beim CSD-Empfang der Grünen. Für SPD-Bundestagskandidat Arno Klare muss mit „Gesetzen aus dem Mittelalter ebenfalls Schluss sein“. Und mit dem Antipropagandagesetz in Russland.