Essen. . 99 sowjetische Kriegsgefangene, die auf der Zeche Graf Beust arbeiten mussten, starben im Dezember 1944 bei einem alliierten Luftangriff. Jahrzehntelang wusste man nur die Zahl der Opfer. Nun sind ihre Namen bekannt und sollen bald an der Gedenkstätte auf der Gerlingstraße zu lesen sein.
Den Hochbunker an der Eisernen Hand durften sie nicht benutzen, also suchten sie – bewacht von einem deutschen Unteroffizier – woanders Schutz vor den allierten Bomben. In einen Luftschutzstollen der Zeche Graf Beust, den sie eigens ausgehoben hatten, flüchteten letztlich die 99 sowjetischen Kriegsgefangenen am Abend des 12. Dezember 1944. Doch der Unterschlupf verwandelte sich für die auf dem Pütt als Zwangsarbeiter eingesetzten Soldaten und ihren Bewacher in eine tödliche Falle: Nach einem Bombentreffer stürzten Teile des Schachtes ein, die Männer wurden verschüttet und erstickten qualvoll. Keiner überlebte.
Zu rund 30 Opfern konnten die Zechenarbeiter vordringen, um sie zu bergen, darunter der deutsche Unteroffizier. Letzter bekam ein ordentliches Begräbnis auf einem Friedhof. Da die anderen Verschütteten schier unerreichbar waren, brachten die Retter auch die 30 toten Körper wieder zurück in den Stollen und mauerten ihn zu. Nach dem Krieg entstand an der Stelle erst ein provisorisches Denkmal mit einer Holztafel, 1964 weihte die Stadt eine Kriegsgräberstätte für die 99 Namenlosen ein. Seither erinnert eine steinerne Inschrift und Skulptur an ihr Schicksal. Doch nun, nach 69 Jahren, sind ihre Namen bekannt.
Anfrage der Botschaft
„Ich habe Anfang März eine Kopie eines Schreibens des russischen Generalkonsulats in Bonn bekommen, das um Auskünfte zu der Kriegsgräberstätte bat“, berichtet Martin Bach vom städtischen Institut für Denkmalschutz, in dessen Verantwortung der eingestürzte Luftschutzstollen an der Gerlingstraße unter anderem liegt, weil er seit 2008 geschützt ist. Der Konservator dokumentiert seit 2009 die Informationen rund um die Anlage an der ehemaligen Zeche Graf Beust und veröffentlicht sie aktualisiert auf der Internetseite der Stadt. Zeitgleich, so Bach, habe auch das Stadtarchiv die Anfrage der russischen Botschaft erhalten. Leiter Klaus Wisotzky übergab daraufhin ein Verzeichnis mit den Namen der Kriegsgefangenen, die der Zechen-Eigentümer 1949 für die Friedhofsverwaltung erstellt hatte. Der Haken: Die eingedeutschten Namen der Opfer fanden keine Entsprechung in der russischen Sprache und ihrer kyrillischen Schrift.
Die Freiheit - früher und heute
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An das Rätsel der Transskribierung, so der Fachbegriff für die sprachliche Umwandlung, machte sich im Anschluss Michail Leontjew. Der Abgeordnete aus der Duma der Region Moskau und seine Assistentin waren dabei erfolgreich und konnten die Namen den vermissten Sowjetsoldaten auf Listen im Internet zuordnen. Ihre Recherchen bei russischen Dienststellen waren zuvor auch der Ausgangspunkt für das Interesse der Botschaft gewesen. Die russischen Diplomaten lieferten Martin Bach nun eine endgültige Liste – auf Deutsch und auf Russisch.
Damit die Opfer endlich ihre Namen bekommen
„Jahrzehntelang war nur die Zahl der Opfer bekannt, nun haben wir auch die Namen“, freut sich Wolfgang Held von der Landesgeschäftsstelle des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Der gemeinnützige Verein pflegt in Essen auf dem Südwestfriedhof, dem Parkfriedhof und dem Terrassenfriedhof tausende Gräber von Gefallenen der beiden Weltkriege, von Kriegsgefangenen und Opfern der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Auf seine Initiative hin werden künftig auch die russischen Opfer auf der Zeche Graf Beust im Einzelnen in Erinnerung gerufen: „Im Frühjahr 2014 sollen zwei Platten, auf denen alle 99 Namen stehen, an der Gedenkstätte angebracht werden.“ Damit die Opfer endlich ihre Namen bekommen.
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