120 Jahre Nahverkehr in Essen – Evag-Buch zum Jubiläum
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Essen. . Am 23. August 1893 fuhr die erste elektrische Straßenbahn vom Essener Hauptbahnhof nach Altenessen und Borbeck. Das Jubiläum ist Anlass für ein bildstarkes Buch, das jetzt im Klartext-Verlag erschienen ist: „Auf Schienen – 120 Jahre Nahverkehr in Essen“.
Harter Sparzwang, großer Bedarf an Sanierungs-Investitionen, und die potenziell kostensparende Kooperation mit Mülheim und Duisburg hat auch schon bessere Zeiten erlebt. Kein Zweifel: Die Rahmenbedingungen, unter denen die Evag in diesem Jahr 120 Jahre Nahverkehr in Essen feiert, könnten angenehmere sein. Am 23. August 1893 fuhr die erste elektrische Straßenbahn vom Essener Hauptbahnhof nach Altenessen und Borbeck. Das Jubiläum ist Anlass für ein bildstarkes Buch, das jetzt im Klartext-Verlag erschienen ist: „Auf Schienen - 120 Jahre Nahverkehr in Essen“.
Der Nahverkehr in Essen - das verwundert nicht - ist untrennbar verbunden mit der Geschichte der Stadt, teilt ihre Höhen und Tiefen. Der Optimismus und die wirtschaftliche Kraft der späten Kaiserzeit führte um 1900 zu einem Ausbau des Netzes in einem Tempo, das heute schwer vorstellbar ist. Erstmals wurde der „kleine Mann“ mobil, es entstanden jene Strecken, die vielfach noch heute in Betrieb sind, was erneut zeigt: Stadtplaner sollten in Jahrhunderten denken.
Sammelsurium verschiedener Systeme im Essener Nahverkehr
Der Erste Weltkrieg und die krisenhafte Weimarer Republik ließen dann vieles stagnieren, der Zweite Weltkrieg zerstörte auch die Infrastruktur des Essener Nahverkehrs in einem unvorstellbaren Maß. Wer heute von Katastrophen redet, ist gut beraten, diese historische Dimension nicht zu vergessen – sie relativiert manches.
Die 1950er Jahre brachten dann eine neue Blüte, die in den späten 1960er Jahren endete, als die Evag die Konkurrenz durch das Auto immer stärker zu spüren bekam. Es begann die Phase der Defizite, die „Mutter“ Stadt ausgleichen musste. Längst haben wir uns daran gewöhnt, dass der Öffentliche Personennahverkehr kostendeckend anscheinend nicht zu führen ist, obwohl dies über immerhin rund sieben Jahrzehnte durchaus anders war. Aus einem potenziell profitablen Wirtschaftszweig - dem Transport von Menschen von A nach B - wurde jedenfalls die „Daseinsvorsorge“.
Kritiker bemängeln bis heute: Im eher breit als dicht besiedelten Ruhrgebiet habe der nicht zwingend nötige U-Bahnbau der 1970er und 1980er Jahre die Vorherrschaft des Autos zementiert, da die Straßenbahn über weite Strecken die Straße verließ. Gleichzeitig bindet der pure Erhalt des inzwischen in die Jahre gekommenen U-Bahnsystems finanzielle Mittel, die für Weiterentwicklungen nicht zur Verfügung stehen. Auf jeden Fall aber führte die U-Bahn dazu, dass im Essener Nahverkehr bis heute ein Sammelsurium verschiedener Systeme nebeneinander existiert, was weder sonderlich komfortabel noch für die Evag preiswert ist. Der ursprünglich geplante komplette Ersatz der guten alten Straßenbahn durch U-Bahnen und Busse ließ sich weder finanziell noch politisch umsetzen.
Der Hauptbahnhof in Essen in historischen Bildern
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Die U-Bahn war nicht zu Ende gedacht. Aber wie auch immer: Die großen Sprünge sind vorbei, in Essen und anderswo ist man vollauf damit beschäftigt, das Erreichte zu sichern. Ob’s gelingt, ist offen. Dass in der linientechnisch eng mit Essen verbundenen Nachbarstadt Mülheim ernsthaft über das Ende von Straßen- und Stadtbahn nachgedacht wird, ist nicht die ideale Begleitmusik zum 120-jährigen Jubiläum.
1913 verfügte Essen über 74 Kilometer Streckennetz und 350 Fahrzeuge
Erste Pläne für eine Straßenbahn in der aufstrebenden Industriestadt Essen wurden schon 1878 geschmiedet, doch dauerte es dann noch 15 Jahre, bis tatsächlich eine Bahn fuhr. Im Nachhinein war die Verspätung so schlecht nicht, denn als Essen mit dem Bau begann, war die „Elektrische“ technisch so weit ausgereift, dass man gleich dieses fortschrittliche System zum Zuge kommen ließ. Zuvor war über eine dampfgetriebene und sogar über eine von Pferden gezogene Bahn debattiert worden, wie sie in anderen Großstädten verkehrten. In Essen konnte man diese Phase überspringen.
Im Gründungsjahr 1893 betrug der Fahrpreis zwischen zehn und 35 Pfennigen – je nach Streckenabschnitt. Kinder bis zu sechs Jahren durften „auf dem Schoße“ – wie es in den Tarifbestimmungen hieß – kostenlos mitgenommen werden. 1913 verfügte Essen über 350 Fahrzeuge, bediente ein Streckennetz von 74 Kilometern und man zählte rund 48 Millionen Beförderungsfälle. Zum Vergleich: 1894 verkehrten 24 Triebwagen und 17 Beiwagen im Essener Schienennetz, etwa 3,4 Millionen Menschen waren befördert worden.
Konferenzsaal auf sechs Rädern
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Straßenbahnen überquerten schon damals Stadtgrenzen
Es entstand ein strahlenförmiges Netz, das umliegende Gemeinden wie Borbeck, Altenessen oder Rüttenscheid mit der Stadt Essen verband. Diese waren größtenteils noch selbstständig und im Landkreis Essen vereint. Die Verbindungen mit Essen als Fixpunkt waren ein starkes Signal in Richtung Eingemeindung. Die Straßenbahn brachte die alte Stadt in der Mitte und ihre späteren Stadtteile buchstäblich einander näher. Entgegen allem Kirchturmsdenken wurden auch die heutigen Stadtgrenzen von der Straßenbahn durchbrochen – bis heute fährt etwa die 107 nach Horst, heute ein Stadtteil von Gelsenkirchen.
„120 Jahre Nahverkehr in Essen“ – Evag-Buch unterm Strich lesenswert
Viele schöne Bilder und rührend-nette Erlebnisse von jungen und älteren Fahrgästen – der frisch erschienene Jubiläumsband zu 120 Jahren Nahverkehr in Essen ist über weite Strecken kurzweilig und kann sich optisch sehen lassen. Schon vor geraumer Zeit hatte die Evag ihre Kunden gebeten, doch von ganz persönlichen Erinnerungen zu erzählen, die sich in Bussen und Bahnen abgespielt hatten. Da wird dann geflirtet und geflucht, von netten Fahrern wird berichtet, aber auch von solchen, die vorwitzige Pennäler durch Sperren der Türen bis zur Endstation zwangsbeförderten. In der Tat: Die alten Evag-Fahrer hielten strikt auf Ordnung. Wenn jemand beispielsweise meinte, die Füße auf die Sitzbank legen zu müssen, konnte die Fahrt ganz schnell enden.
Bei aller Liebe zu Dönekes, etwas mehr historische Reflexion hätte dem Buch ganz gut getan. Weitgehend ausgespart etwa werden die Entwicklung der Evag in den letzten Jahrzehnten und die mitunter sprunghaft sich wandelnde verkehrspolitische Diskussion. Dafür verliert sich das Buch manchmal in technischen Details, die wiederum entbehrlich erscheinen und nur den Spezialisten interessieren. Insgesamt wirkt der Textteil etwas zufallsgetrieben statt systematisch.
Die Bilder allerdings, von denen auf dieser Panoramaseite eine kleine Auswahl erscheint, machen dann manches wieder wett. (F.S.)
EVAG (Hrsg.): Auf Schienen - 120 Jahre Nahverkehr in Essen, Klartext-Verlag, 192 Seiten, Euro 19,95.
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