Essen. Die Gartenstadt Altenhof I ist bei vielen Essenern unvergessen. Zahlreiche Leser schickten uns Familienbilder und Privatfotos von der ab 1894 im heutigen Rüttenscheid errichteten und in den 1970er Jahren abgerissenen Krupp-Siedlung und schilderten ihre Erinnerungen an den Altenhof.
Anfang der 1970er Jahre wurde die ab 1894 gebaute Siedlung bis auf wenige Rest niedergerissen, um Platz zu schaffen für das neue Krupp-Krankenhaus, aber auch, weil man diese Art des Wohnens nicht mehr zeitgemäß hielt. Die einfacher gebaute Siedlung Altenhof II, die auf der anderen Seite des kleines Waldtales in Essen-Stadtwald liegt, ist bis heute erhalten. Im Waldtal verläuft heute die A 52. Im ersten Abschnitt besaß die Siedlung rund 400 Einzel- und Doppelhaushäuser, die mit sichtbarem Fachwerk betont idyllisch wirkten. Bauliches Vorbild war die Gartenstadtbewegung: es gab eine lockere Bauweise mit großen Gärten, viel öffentlichem Grün und kleinen gewundenen Wegen.
Im Folgenden berichten Leser ihrer Erinnerungen an den Altenhof I. Die Bildergalerie "Altenhof früher und heute" enthält auch Aufnahmen aus den privaten Fotoalben der Leser, die hier berichten. Ein Porträt der Siedlung, das im Rahmen der WAZ-Serie "Essen entdecken - 100 besondere Orte" erschien, finden Sie hier.
Vom Altenhof auf die Margarethenhöhe
Die Krupp-Siedlung Altenhof I in Rüttenscheid wäre heute ähnlich wie die Margarethenhöhe ein Ziel für Touristen und Architekturstudenten - wenn sie nicht Anfang der 1970er Jahre bis auf wenige Reste dem Erdboden gleich gemacht worden wäre. Vergessen wurde sie aber nicht, jedenfalls nicht von Wolfgang Sonnenschein, der 1954 als Fünfjähriger mit seinen Eltern hierhin zog und für diese Zeitung sein privates Fotoalbum öffnete. Als Jugendlicher im Altenhof - das ist erklärungsbedürftig. Tatsächlich war die Siedlung ab 1894 errichtet worden, um pensionierten Kruppianern ein kostenfreies Zuhause zu bieten. Im Jahr 1947, vereinzelt sogar schon eher, wurde dieses Prinzip aufgegeben, auch Kruppianer-Familien konnten jetzt ein Häuschen mieten. „Ende der 1960er Jahre mussten wir leider raus. Unsere Straße lag genau auf dem Baugrund des Krupp-Krankenhauses“, erinnert sich Sonnenschein. Die Familie zog auf die Margarethenhöhe. „Dort war es auch schön, aber ich habe keine Beziehung mehr dazu gefunden."
Der Altenhof im Schnee. Es sieht nicht nur idyllisch aus, folgt man Sonnenschein, der hier in den 1950er Jahren aufwuchs, dann war es wirklich so. Kleinere Konflikte gab es natürlich auch, das konnte nicht ausbleiben in einer Siedlung, die ursprünglich für Senioren gedacht war, die ein größeres Ruhebedürfnis hatten. Zudem herrschte in Krupp-Siedlungen damals generell ein strenges Regiment. „Zum Beispiel durften wir als Kinder die Rasenflächen nicht betreten“, erinnert sich Sonnenschein. Gerade im Altenhof I gab es aber relativ große Freiflächen, die zum Spielen einluden. „Und da sind wir natürlich trotz des Verbots drauf.“
Das ging solange gut, bis der Wächter kam, der in regelmäßigen Abständen in der Siedlung seine Runde drehte. Meistens waren das Invaliden, altgediente Arbeiter, die zu krank für die Fabrik waren und sich so ein Zubrot verdienten. „Der hat uns Jungs dann versucht zu packen, zu kriegen. Aber wir waren natürlich schneller.“ Wenn er wieder weg war, ging das Spiel weiter. „Manchmal rief eine Bergmannsfrau aus dem Fenster: ,Jungs seid leise, mein Mann muss schlafen’“, erinnert sich Sonnenschein. „Der Mann war gerade von der Nachtschicht gekommen, das haben wir dann schon verstanden.“
"Nach jedem Hausabriss war ich acht Tage krank"
Wie Krupp das Abräumen des Altenhofs umsetzte und die Mieter damals darunter litten:
"Leb wohl Altenhof“ - so überschrieb die Essener NRZ am 20. April 1974 wehmütig einen einfühlsamen Bericht über die Abrissarbeiten der alten Häuschen, die unter anderem dem Neubau des Krupp-Krankenhaus weichen mussten. Opfer dieser Verdrängung waren Krupp-Pensionäre wie Otto Wirtz und seine Frau Elisabeth, die beide zu diesem Zeitpunkt seit 28 Jahren im Altenhof lebten. Krupp hatte die ursprünglich alten Menschen vorbehaltene Siedlung ab 1947 auch jüngeren Kruppianer-Familien geöffnet.
Es war eine traurige Reportage für den damaligen Lokalchef Hans G. Kösters. „Ich möchte wieder ein Haus im Grünen, wo ich werkeln kann. Und auf dem Akkordeon spielen, ohne dass ein Nachbar an die Wand klopft“, klagte Wirtz . Ehefrau Elisabeth hatte die Abbrucharbeiten um sie herum schlecht verkraftet: „Nach jedem Hausabriss war ich acht Tage magenkrank“, berichtete sie dem Reporter. Krupp hatte die Siedlung langsam über Jahre entmietet, während Nachbarn weiter dort wohnten. Abgerissen wurden auch mindestens 100 Häuser, die dem Krankenhaus gar nicht im Wege gestanden hätten - einfach weil man diese Form des Wohnens für nicht mehr zeitgemäß hielt. Die Menschen dort sahen das anders, aber sie ergaben sich in ihr Schicksal. Noch. Schon einige Jahre später wäre eine derart rabiate Lösung, wenn überhaupt, nur unter schweren Protesten möglich gewesen - und inzwischen längst gar nicht mehr. Jedenfalls nicht bei einem Flächendenkmal wie dem Altenhof. (F.S.)
"Der Altenhof war unsere große Abenteuer- und Spielwiese"
Leserin Barbara Reichardberichtet: „Wir Kinder wohnten zwar alle nicht im Altenhof I, sondern in der Gummert- und Josefinenstraße, der Altenhof war jedoch unsere große Abenteuer- und Spielwiese. Auf dem Gussmannplatz liefen wir mit unseren Rollschuhen am Kruppschen Konsum vorbei bis hinab zur Ruine der Altenhof-Kapelle. Oder wir veranstalteten Straßenrennen, die natürlich von den ruhebedürftigen Bewohnern nicht geschätzt wurden, da unsere Rollschuhe noch Eisenräder hatten. Im August und September, wenn die Äpfel und Birnen reif waren, kletterten wir von den Gleisen der Werksbahn Zeche Langenbrahm in die Gärten und es war ein besonderer Reiz, nicht erwischt zu werden. Im Winter fuhren wir mit unseren Schlitten über die Hauptwiese zum Kruppwald hinunter, in dessen Teichen wir im Sommer Molche und Kaulquappen fischten.
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Auch sonst veranstalteten wir allerlei Unfug. Wobei die schimpfenden Bewohner unseren Tatendrang noch befeuerten. Da mein Vater an der Rüttenscheider Straße ein Geschäft hatte, wandten sich die genervten Bewohner regelmäßig mit ihren Beschwerden über die Tochter an ihn. Ich durfte mir dann abends diese Vorwürfe anhören. Das hörte erst auf, als sich eine Frau während meiner Ferien im Kinderheim über mich ereiferte. Mein Vater teilte ihr mit, dass ich nicht der Übeltäter sein könne, da ich bereits seit zwei Wochen verreist sei. Seitdem hatte ich Ruhe. Eine ständige Redewendung meines Vaters bei schlechten schulischen Schulleistungen war übrigens: ,Dann wirst Du eben Fischverkäuferin im Kruppschen Konsum!’
Wenn ich heute durch dieses Gebiet gehe, bedauere ich den Verlust für die Kinder. Unsere Tage damals schienen endlos in der Gemeinschaft vieler Kinder in Bewegung und Freiheit, ohne Aufsicht durch die Eltern.“
Erinnerungen an einen Kaiserbesuch im Altenhof
Klaus Wieprecht erinnert sich an einen Kaiserbesuch im Altenhof - und besitzt alte Familienbilder:
"Ich kann mich erinnern, dass ich im Altenhof I als Kind im Jahr 1954 in Begleitung meiner Oma und meiner Eltern den äthiopischen Kaiser Haile Selassie gesehen habe“, berichtet Leser Klaus Wieprecht. Und: „Ich war sehr enttäuscht, habe ich mir doch unter einem Kaiser jemanden in rotem Hermelin vorgestellt und nicht jemanden in grünem Loden-Mantel, wie ihn die Kriegs-Invaliden in meiner Nachbarschaft trugen.“
Klaus Wieprecht erinnert sich richtig. Als der äthiopische Monarch die Firma Krupp besuchte, führte ihn Alfried Krupp von Bohlen und Halbach bewusst in den Altenhof, um Haile Selassie einen Eindruck von den sozialen Taten der Familie und des Unternehmens zu vermitteln. Friedrich Alfred Krupp, Alfrieds Großvater, hatte die Siedlung ab 1894 bauen lassen, um dort verdiente Kruppianer kostenlos ihren Lebensabend verbringen zu lassen. Geführt wurde der Kaiser allerdings in eines der Häuser, die nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs von Grund auf neu wieder aufgebaut wurden. Die ganz alten Häuser erschienen wohl schon nicht mehr repräsentativ genug.
Von einem dieser alten Häuser besitzt Klaus Wieprecht ein Aquarell, das nach einem alten Foto gemalt wurde. In diesem Haus lebte einst als Krupp-Rentner sein Urgroßvater Georg Burchhardt mit seiner Frau Rosalie. Beide stammten aus Thüringen, 1836 bzw. 1837 geboren, beide lebten bis zu ihrem Tod Anfang der 1920er Jahre im Altenhof in Essen.
Birnen in den Gärten der Krupp-Pensionäre geklaut
Unsere erste Sonderseite mit Privatfotos der abgerissenen Krupp-Siedlung Altenhof I. in Rüttenscheid hat viele ehemalige Bewohner bewegt. Einer von ihnen ist Werner Freise, der mit seinen Eltern als Fünfjähriger in ein Haus an der Ecke Gummertstraße/Ursulastraße zog und für den der gegenüberliegende Altenhof ein riesiger Spielplatz war. Der heute 86-jährige Grafiker, der in Kettwig lebt, erzählt:
„Ab Januar 1933 wohnten wir, meine Eltern meine drei Schwestern: Lotte, Ursel, Margret und ich in der Ursulastraße 46. Es gab viele etwa gleichaltrige Kinder, mit denen wir zusammen spielen konnten. Wir gründeten einen Rollschuhklub und waren immer sehr aktiv. Gegenüber, im Altenhof, wohnten die alten Krupp-Pensionäre, die viel Kindergeschrei und Lärm aushalten mussten, obwohl wir natürlich in der Mittagszeit ruhig waren. Meistens wurden ja auch nach dem Mittagessen Schularbeiten gemacht.
Im Altenhof haben wir im Herbst Birnen geklaut, in den Gärten der Krupp-Pensionäre gab es sehr viel Obstbäume. Oder wir sausten mit unseren Rollschuhen oder mit dem Fahrrad durch den Altenhof. Dort gab es einen Aufseher, der für Ruhe und Ordnung zu sorgen hatte. Wir nannten ihn „Knabbel”. Er schimpfte immer hinter uns her und versuchte seinen Spazierstock zwischen die Radspeichen zu werfen. Aber er kriegte uns nie: Wenn der Ruf ertönte „Knabbel kommt”, brachte sich alles in Sicherheit. Auf dem kleinen Platz vor der evangelischen Kapelle gab es manchmal für die Krupp-Rentner Platzkonzerte der Polizeikapelle. Unser liebster Spielplatz im Altenhof war die „Runde Bank”. Mitten im Altenhof stand eine große Kastanie, um deren Stamm eine Bank gebaut war. Gleich daneben stand auf einem großen Stein die Plastik „Der Schmied und seine Familie”. Die Mädchen spielten Mutter und Kind und wir Jungen konnten auf der angrenzenden Wiese Ball spielen. Wenn wir nicht als Vater in das Spiel einbezogen wurden.
Die Ursulastraße war eine breite Straße, an einer Seite mit einem Grünstreifen und jungen Bäumen. Auf dem Stück neben dem Altenhof war eine herrliche Allee mit großen, alten Linden. Hier spielten wir „Pinneken kloppen“. Ein Stück Holz wurde an beiden Enden zugespitzt und auf den Boden gelegt. Mit einem Stock musste man dann auf das angespitzte Ende schlagen, sodass das Pinneken durch die Luft flog. Abends, wenn die Laternen angingen, mussten wir nach Hause.
Im Altenhof gab es einen Kruppschen Konsum. Dort konnten die Rentner oder Mitarbeiter der Firma Krupp günstiger Lebensmittel einkaufen. Dazu benötigte man einen Konsumausweis. Manchmal haben wir auch mit einer geliehenen Karte preiswert eingekauft. Für uns Kinder war das Einkaufen eine Strapaze, endlos musste man anstehen, Selbstbedienungsläden gab es ja noch nicht.
1937 wurde ich Pimpf. Vor dem Krieg wurde viel für das Winterhilfswerk WHW gesammelt. Wir Pimpfe mussten mit einer Sammelbüchse die kleinen WHW-Abzeichen verkaufen. Auch für den VDA (Verein Deutscher im Ausland) wurde gesammelt. Im Altenhof war es ziemlich schwer von den Krupp-Rentnern die Groschen zu bekommen.“