Essen. 59.039 zu 59.036 Stimmen. Bei fast 120.000 Bürgern im Süd-Wahlkreis trennten Matthias Hauer (CDU) und Petra Hinz (SPD) nur drei Stimmen. Warum die Regelung, nur bei konkretem Verdacht noch einmal nachzuzählen, trotzdem Anwendung finden und die SPD sich nicht verkämpfen sollte.

Drei Stimmen bei fast 120.000 Bürgern, die ihre Stimme abgaben - das ist wirklich nicht viel. Einmal kurz nicht aufgepasst, und schon könnten ein paar Stimmen von links nach rechts gewandert sein, Wahlhelfer sind schließlich auch nur Menschen.

Man kann die SPD verstehen, wenn sie es nach dem Wahlkrimi im Essener Süden lieber noch mal ganz genau wissen möchte. Andererseits kennt das Wahlgesetz aus gutem Grund keine „Grenze“, ab der Stimmzettel noch einmal nachgezählt werden müssen. Denn wo sollte die liegen? Bei 5, bei 50 oder bei 500 Stimmen Differenz? Wer will das festlegen? Die Regelung, nur bei konkretem Verdacht noch einmal nachzuzählen, ist deshalb richtig. Wenn das Wahlamt relevante Fehler-Hinweise findet, dann sollte die Stadt nachzählen lassen, wenn nicht, dann wäre auch der SPD zu empfehlen, souverän zu sein statt sich zu verkämpfen.

Symbolkraft des Süd-Wahlkreises

Aber: SPD-Chef Dieter Hilser hat natürlich vollkommen Recht, wenn er die hohe Symbolkraft des Süd-Wahlkreises betont. Für die SPD war der Gewinn dieses Wahlkreises immer der entscheidende Beleg, dass man in Essen die unangefochten erste politische Kraft ist, während umgekehrt die CDU es stets als besondere Demütigung empfand, nicht mal im betont bürgerlichen Essener Süden die Nase vorn zu haben. Nach dem bundesweiten Neuzuschnitt schlug man dem Wahlkreis Frohnhausen, Holsterhausen und Altendorf zu, was die Ausgangsbasis der SPD zweifellos verbesserte, aber selbst das hat diesmal - ganz knapp - nichts genutzt.

Niemanden bei der SPD wird das trösten, aber das vielleicht knappste Wahlkreis-Ergebnis, das die Republik jemals sah, ist vor allem auch dies: eine Werbung für die Demokratie. Eine einzige sozialdemokratisch gesinnte Familie mit Sohn und Oma ist am Sonntag vielleicht lieber ins Grüne gefahren, statt zur Wahl zu gehen, und womöglich hat der Papa noch gesagt: „Wir können ja doch nichts ändern, auf unsere Stimmen wird es nicht ankommen.“ Welch ein tragischer Irrtum. Und wie beruhigend zu wissen, dass es auch in der Massendemokratie eben doch auf buchstäblich jede Stimme ankommen kann. Dazu passt, dass der innerparteiliche Stellenwert eines Abgeordneten steigt, wenn er oder sie direkt gewählt wurde, statt „nur“ über die Landesliste ins Parlament zu gelangen.

Aufblähung des Bundestages

Einer gewissen Aufblähung des Bundestags hat Essen übrigens nun einen wahren Segen von Bundestagsabgeordneten zu verdanken, wobei zwei der sieben sich sicher eher als Mülheimer verstehen, die in Borbeck mitgewählt wurden. Dafür hat es mit CDU-Sozialexpertin Jutta Eckenbach eine Borbeckerin ins Parlament geschafft, der das noch vor vorgestern absurd vorgekommen wäre. Demokratie ist letztlich eben unberechenbar.