Essen. Erst mit der Auszählung des letzten Wahlbezirks um 23.06 Uhr stand das Ergebnis fest. Muss heute nachgezählt werden? Lange Gesichter bei SPD, Grünen und Linken. Und echter Katzenjammer bei der FDP.

Dass es auf jede Stimme ankommt – 1.000 Mal hat man das gehört und gelesen, aber an so einem Wahlabend wird einem erst richtig bewusst: Es stimmt. Bis in die Nacht hinein lieferten sich Petra Hinz von der SPD und ihr Herausforderer Matthias Hauer von der CDU ein schier atemberaubendes Kopf-an-Kopf-Rennen im Mitte-Süd-Wahlkreis. Bis um 23.06 Uhr der letzte, der 190. in Mitte-Süd ausgezählte Wahlbezirk die Entscheidung brachte. Und danach lag CDU-Mann Hauer mit 59.039 zu 59.036 Stimmen vorn.

„So etwas habe ich noch nicht erlebt“, sagte Rüdiger Lohse vom Wahlamt angesichts des knappen Wahlausgangs – und wird Monatg früh zunächst die Niederschriften einer Überprüfung unterziehen: auf der Suche nach möglichen Zahlendrehern oder Pannen. Zudem, so Lohse, werde er das städtische Rechtsamt und den Landeswahlleiter kontaktieren. Bloß keine Fehler machen bei einer Wahldrama mit solchen Folgen.

Verlierern schon Appetit vergangen

Während die CDU im Siegestaumel durch die Nacht zog, war dem großen Verlierer des Abends zu dieser späten Stunde schon längst der Appetit vergangen: Eine kleine liberale Schar hatte ab 18 Uhr gedankenverloren die für sie katastrophalen Hochrechnungen auf dem Fernseher verfolgt und dabei ganz die Nahrungsaufnahme vergessen. So eröffnete Kellner Philippos im Restaurant Hügoloss das bereitgestellte Büffet kurzerhand selbst: Gyros, Fritten und – das unvermeidliche Tzatziki. Dabei stank dieser Abend der FDP auch so gewaltig.

Umso größer die Begeisterung bei den alten Partnern von der CDU, die im Rathaus beim Blick nach Berlin wenigstens gedanklich an der absoluten Mehrheit schnupperten.

Konnte das nicht auch das Signal sein, nach drei Jahrzehnten erstmals bei einer Bundestagswahl wieder den Süden zurückzuerobern? Noch 2009 hatte Sozialdemokratin Petra Hinz (51) das Direktmandat mit deutlichem Abstand von 3.786 Erststimmen (= 2,5 %-Punkten) verteidigt. Gewandet im knallroten Kostüm verbreitete Hinz immer wieder tapfer Optimismus. Kopf-an-Kopf-Rennen? „Ich verstehe die ganze Aufregung nicht.“

Wie viel weniger die Genossen im Norden: Von dort zieht SPD-Mann Dirk Heidenblut mit deutlichem Vorsprung vor Jutta Eckenbach in den Bundestag ein, und auch in Essen-Borbeck, das gemeinsam mit Mülheim einen Wahlkreis bildet, musste Sozialdemokrat Arno Klare sich keine Sorgen um seinen Sitz im Reichstag machen.

"Ein herber Rückschlag"

Ebenfalls im nächsten Bundestag vertreten: der grüne Abgeordnete Kai Gehring, der das Abschneiden seiner Partei ernüchtert kommentierte: „Gemessen an alten Umfragen ist das enttäuschend und ein herber Rückschlag. Wir hätten uns ein zweistelliges Ergebnis gewünscht.

Zu geringe Gewinne bei der SPD, Verluste bei Grünen und Linken – da blieb dem „anderen“ Lager angesichts des Wahltriumphs in Schwarz nur Schadenfreude über die FDP: Von einem „historischen Abend“, sprach etwa Hans Peter Leymann-Kurtz (Linke): „Die FDP ist raus. Dass ich das noch erleben darf...“

Ähnlich die Reaktionen bei der SPD, während das Abschneiden der „Alternative für Deutschland“ für ein Raunen im Saal sorgte: Sich binnen eines halben Jahres an die Fünf-Prozent-Hürde herangerobbt zu haben, dies sorgte allseits für Erstaunen, bisweilen auch Entsetzen. Ob es am Ende reichte, um in den Bundestag einzuziehen, war den Freien Demokraten da schon egal. Ihre Zeiten auf dem politischen Hügel sind einstweilen vorbei.