Essen. Wie die Kandidaten Hinz (SPD) und Hauer (CDU) die Zitterpartie im Südwahlkreis erlebten.

Nein, verrückt haben sie sich beide nicht gemacht. Nicht Petra Hinz in Rot, nicht Matthias Hauer in Schwarz. Sie tragen die Farben ihrer jeweiligen politischen Heimat an diesem Wahlabend, den sie wenige Meter voneinander getrennt in stickigen Räumen des Rathauses erleben. Beide geben sie sich demonstrativ entspannt. Sollten sie Nervosität verspüren, dringt sie nicht nach außen durch Damen-Kostüm und Herren-Jackett. Sie hat die Erfahrung im Rücken, dass die SPD im Süden schon so oft die Nase vorn hatte. Er hat von Beginn der Auszählung an Zahlen vor Augen, die ihm eins signalisieren: Dass das Abschneiden für die CDU im Wahlkreis 120 „deutlich besser als beim letzten Mal“ ausfällt. Und wenn’s dennoch nicht klappt mit dem Einzug in den Bundestag? „Ich habe einen Job, der mir Spaß macht“, sagt Hauer als wollte er sich selbst ein wenig beruhigen, bevor die Gewissheit siegen wird.

Rechtsanwalt, ledig, römisch-katholisch und 1,90 Meter groß ist der Mann, der noch ein wenig über sich hinauswächst an diesem nicht nur für ihn, sondern auch für die Essener CDU historischen Wahlabend. So nah dran waren sie noch nie. Seit 30 Jahren schon hält die Vorherrschaft der Genossen im Süden. Das war lange vor der Zeit so, in der Hauer den Wehrdienst kennengelernt hat. Ein Parteisoldat ist er bis heute, sagen sie. Einer, der sich hochgedient hat. Nicht nur brav.

Matthias Hauer ist moderater geworden

Doch vorbei sind die Zeiten, als Matthias Hauer als Lautsprecher mit „Law and order“-Parolen in der Jungen Union auf sich aufmerksam machte. Der 35-Jährige, er ist moderater geworden, bescheinigen ihm seine Parteiverbündeten, er gibt sich bedeckter, reifer. Der Essener aus dem tiefen Süden, der das Merkel-Ergebnis im Bund am Wahlabend so brav beklatscht im Kreise seiner vielen fleißigen Wahlhelfer, die lauter jubeln als er, könnte aus der Ferne betrachtet auch als seriöser Mitfünfziger durchgehen, dem ein wenig das Feuer zu fehlen scheint. „Hallo Matthias“, begrüßt CDU-Fraktionschef Thomas Kufen den Kandidaten, „hast du heute deinen Sonntagsanzug an?“ „Klar“, sagt Hauer, „ist ja auch Sonntag.“ Recht hat er.

„Ja, das wird ein spannender Abend, Matthias“, ruft ihm CDU-Ratsfrau Jutta Eckenbach nach der ersten Hochrechnung fast aufmunternd zu. Hauer nickt, er hat’s geahnt und doch nicht wirklich damit gerechnet. Schon wieder klingelt sein Handy. Er ist ein Vernetzter, der weiß, dass ihm der Stimmenfang geglückt ist, selbst wenn’s am Ende nicht reichen sollte.

Was auch Petra Hinz (SPD) im Rathaus-Raum gegenüber, wo sich der innerste Zirkel der Sozialdemokraten trifft, für sich in Anspruch nimmt. „Ich rechne damit, zwei, drei Prozent zuzulegen,“, gibt sich die Abgeordnete überzeugt, die seit 2005 im Bundestag sitzt, seit 34 Jahren Mitglied der SPD und 51 ist. Hinz, rotes Kostüm, schwarze Schuhe mit Absätzen, silberne Kette, wippt mit den Beinen, dann verschränkt sie die Arme vor dem Körper. Zeigt der Monitor vor ihr ein neues Ergebnis aus ihrem Wahlkreis, bildet sich ein Anflug von Anspannung in ihrem Gesicht aus. Doch nur kurze Zeit spitzt sie den Mund, bevor die gespielte Gelassenheit wieder Regie führt.

"Sehr großen Zuspruch im Wahlkreis"

„Es ist erstaunlich, dass so viele davon ausgehen, dass es in meinem Wahlkreis ein Kopf-an-Kopf-Rennen gibt“, sagt Hinz und lacht. Denn die knapp 3000 Stimmen bei der vergangenen Bundestagswahl, „das ist doch kein knapper Vorsprung“. Erst 300 Stimmen Unterschied, „das ist knapp.“ Doch für sie, das soll jeder glauben, so lange es geht, ist das Mandat sicher. „Ich habe sehr großen Zuspruch in meinem Wahlkreis“, betont Hinz und lehnt sich weit aus dem Fenster: „Ich rechne damit, zwei, drei Prozent zuzulegen.“ Die gestiegene Wahlbeteiligung in Essen empfinde sie als „gut für uns Sozialdemokraten“ und als gut für ihr Ergebnis.

Hinz verharrt hinterm Monitor, lässt sich die Ergebnisse der Wahllokale zeigen. Raus, in den großen Fraktionsraum, da wo die Parteibasis den Wahlabend bei Pils und Schnittchen verfolgt, traut sie sich erst später. In den Bundestag wollte Petra Hinz schon früh, seitdem sie Willy Brandt 1969 in der Grugahalle erlebt hatte. Matthias Hauer war da noch nicht von dieser Welt. Jetzt ist er im Bundestag.