Essen. Der Essener Industrielle Berthold Beitz ist im Alter von 99 Jahren gestorben. Beitz war die Symbolfigur des Hauses Krupp, hatte in den 90er-Jahren den Weg für die Fusionen mit Hoesch und Thyssen geebnet. Während der NS-Zeit rettete Beitz Hunderte Juden vor dem Tod – und erhielt dafür 2011 den NRW-Staatspreis. Ein Nachruf.

Berthold Beitz ist tot. Der große alte Mann der Ruhr-Industrie, die Symbolfigur des Hauses Krupp lebt nicht mehr. Der 99-Jährige ist am Dienstag gestorben.

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Was für ein Leben ist hier zu Ende gegangen! „Liebling der Götter” - so nannte ihn einst Hermann Josef Abs, der legendäre frühere Chef der Deutschen Bank. Ein Wort, das Beitz’ langes berufliches und persönliches Wirken treffend zusammenfasst.

Auf erstaunliche Weise geriet dem Vorsitzender der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung alles Wesentliche, das er jemals anfasste, zum Guten. Immer getreu seinem Leitsatz: „Das Geheimnis des Glücks ist die Freiheit, das Geheimnis der Freiheit ist der Mut.”

Als 38-Jähriger begegnete Beitz Alfried Krupp von Bohlen und Halbach

In erster Linie ist dabei natürlich an Krupp zu denken, dem Konzern, dem Beitz seit 1953 und bis zuletzt an führender Stelle diente. Eine Spanne, die in der Wirtschaftsgeschichte einmalig sein dürfte. Als 38jähriger Versicherungsmanager war Berthold Beitz bei einem Besuch in Essen zufällig Alfried Krupp von Bohlen und Halbach begegnet. Ein Treffen, das Industriegeschichte schrieb.

Der „letzte Krupp” und Berthold Beitz verstanden sich auf Anhieb, gerade weil sie so unterschiedliche Persönlichkeiten waren: bedrückt, scheu und still der eine, offen, gelassen und selbstsicher der andere. Beitz modernisierte die etwas behäbige Essener Traditionsfirma nach innen und im Außenbild, erweiterte dank seiner politisch blütenweißen Weste ihren Aktionsradius für Exporte, befreite sie so weit es ging vom Makel des Militarismus und der NS-Nähe und durchlitt mit ihr schwerste wirtschaftliche Krisen.

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Mindestens dreimal ging es für Krupp in all den Jahrzehnten ums Überleben, dreimal machte Beitz letztlich alles richtig. Er begleitete die von den Banken ab 1967 erzwungene Umwandlung der Firma, was zunächst Macht kostete, ihm langfristig als Chef der Krupp-Stiftung aber neue bescherte

Beitz ebnete Fusionen von Krupp mit Hoesch und Thyssen

1974 fädelte er die Beteiligung des Iran ein, die dringend benötigtes Kapital in die Kassen spülte. In den 1990er Jahren schließlich ebnete er als entscheidender Mann im Hintergrund den Weg zu den Fusionen von Krupp erst mit Hoesch, schließlich mit Thyssen.

Der mit Abstand älteste deutsche Top-Manager ließ sich bis zuletzt noch immer regelmäßig in die Zentrale der Stiftung bringen, die in einem älteren, durchaus nicht prunkvollen Gebäude im Park der Villa Hügel residiert. Sein Einfluss und seine Verantwortung waren in den letzten Jahren nicht geringer geworden, im Gegenteil. Dank der bis vor wenigen Jahren oft glänzenden Ertragslage von Thyssen-Krupp konnte die Krupp-Stiftung ihren Anteil am Unternehmen auf 25,03 Prozent erhöhen. Dies geschah mit Bedacht, denn diese Sperrminorität schützt Thyssen-Krupp faktisch vor unerwünschten Übernahmen.

Die Fehlinvestitionen von Thyssen-Krupp in Brasilien und den USA, die weiter anhaltende existenzielle Krise des Konzerns waren auch für Berthold Beitz persönlich ein harter Schlag. Als Folge dieser Krise endete das über Jahrzehnte enge Vertrauensverhältnis zum langjährigen Aufsichtsratsvorsitzenden Gerhard Cromme.

Beitz versteht sich in wirtschaftlichen Fragen durchaus als Hüter der Krupp-Tradition. Es galt, „erwerbswirtschaftliche Überlegungen - so wichtig sie auch sind - nie isoliert zu sehen vom Gebot der Sozialverpflichtung des persönlichen Eigentums”. So hat es der letzte Alleineigentümer Alfried Krupp kurz vor seinem Tod 1967 formuliert, so führte es Beitz fort. Schmerzliche Entscheidungen wie die Schließung des Hüttenwerks in Rheinhausen schloss das allerdings nicht aus.

Beitz rettete während der NS-Zeit Hunderte Juden vor dem Tod 

Geboren wurde Berthold Beitz am 26. September 1913 in Pommern im heutigen Polen als Sohn eines Ulanen-Wachtmeisters und späteren Reichsbank-Sekretärs. Er lernte das Bankfach, dann kam der Zweite Weltkrieg. Als Manager einer Erdölfirma arbeitete er von 1941 bis 1944 im ostpolnischen Galizien, wo Beitz mit Unterstützung seiner Frau großen Mut bewies. Der junge Manager rettete Hunderte Juden vor dem Tod, indem er ihre Arbeitskraft als unentbehrlich darstellte, was in vielen Fällen erkennbar ein Vorwand war.

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Mit Glück, Mut und sicherem Auftreten entging Beitz den Nachstellungen der NS-Behörden, als diese seine humanitäre Grundhaltung durchschauten. Beitz hat es nicht zuletzt dank dieser prägenden und wichtigen Phase in seinem Leben verstanden, den Namen Krupp vom gröbsten historischen Ballast zu befreien. Vor allem wendete er die durch den Nürnberger Kriegsverbrecherprozess und die Haftzeit verdunkelte Erinnerung an Alfried Krupp ins Positive.

Dass vor einigen Jahren der neue Philharmonie-Saal in Essen nach Alfried Krupp benannt wurde, ist nicht nur dem Sponsorengeld der Stiftung zu verdanken, sondern auch der unermüdlichen Imagearbeit des treuen Männerfreundes Berthold Beitz. „Ich habe die Aufgabe, den letzten Willen von Alfried Krupp zu erfüllen, und das wird auch des Rest meines Lebens bestimmen“, sagt Beitz einmal.

Beitz war Förderer des Sports, Kunst und Wissenschaft

Beitz hat Wort gehalten, bis zuletzt. Dass Thyssen-Krupp mit seiner Zentrale 2010 an jene Stelle in Essen zurückkehren wird, wo vor 200 Jahren die Krupp-Story begann, dass Beitz der Stadt Essen das neue Folkwang-Museum spendiert, dass er sich als Förderer des Sports, der Kunst und der Wissenschaften einen Namen machte - all dies wäre vermutlich ganz im Sinne des letzten Krupp gewesen.

Anfangs galt Beitz im Ruhrgebiet und in der Montanindustrie eher als Außenseiter. Er liebte Jazz, moderne Kunst und lockere Sprüche, was in den 1950er Jahren nicht zur Grundausstattung von Konzernlenkern gehörte. Niemand hätte sich damals vorstellen können, dass ausgerechnet der Ruhr-Novize Beitz später zur letzten, hochbetagten Symbolfigur der patriarchalisch geprägten Ruhr-Industrie werden würde, einer Epoche und Denkungsart, an die heute viele mit nostalgischen Gefühlen zurückdenken.

Allein das sichert ihm Respekt und - ja, auch Verehrung – und das mit Sicherheit über seinen Tod hinaus. Mit seiner Frau Else, den drei Töchter, Enkeln und Urenkel trauern Tausende um diesen großen Mann, dessen Lebensspanne das ganze tragische 20. Jahrhundert umfasst. Es wird solche wie ihn nicht mehr geben.