Essen. Das Essener Industriellen-Ehepaar Beitz erhält den NRW-Staatspreis aus den Händen von NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Zwischen 1942 und 1943 rettete der spätere Krupp-Manager Beitz gemeinsam mit seiner Frau Else rund 150 Juden, die als Zwangsarbeiter beschäftigt waren, das Leben.
Wer Berthold Beitz in seinem von der mächtigen Parklandschaft der Essener Villa Hügel umsäumten Büro besucht, betritt ein faszinierendes persönliches Archiv der Zeitgeschichte. Fotos, Andenken, Widmungen von weltweit bedeutenden Persönlichkeiten gleich mehrerer Jahrzehnte, ob aus Politik, Wirtschaft oder Sport, sind dort unprätentiös arrangiert. Bemerkt Beitz den staunenden Blick des Besuchers, kann es vorkommen, dass er unvermittelt aufsteht, beiläufig die Sakkoknöpfe schließt, lautlos über dicke Teppiche zum Regal läuft, einen Bilderrahmen greift und freundlich den historischen Zusammenhang erläutert.
Nur über all die Auszeichnungen und Urkunden, die man dem inzwischen 98-Jährigen im Laufe seines langen Lebens verliehen hat, verlor er nie gerne viele Worte. Das sollen andere machen. Es sind ja genug Laudationes gehalten worden auf diesen bedeutenden Industriellen, der als treuer Testamentsvollstrecker Alfried Krupps seit mehr als einem halben Jahrhundert maßgeblich die Geschicke des heutigen Industriekonzerns Thyssen-Krupp lenkt und mit der Krupp-Stiftung mehr als 600 Millionen Euro für gemeinnützige Zwecke ausgeschüttet hat.
Alte, Kranke und Kinder aus Todeszügen der SS gezogen
Dennoch dürfte es am Montagabend im Gartensaal der Villa Hügel alles andere als routiniert zugehen, wenn Ministerpräsidentin Hannelore Kraft den NRW-Staatspreis an Beitz und seine Ehefrau Else verleihen wird. Mit der höchsten Auszeichnung des Landes würdigt Kraft vor allem ein Lebenskapitel der Beitz’, über das sie lange Zeit nicht sprechen wollten oder konnten.
Als nicht einmal 30-jähriger Shell-Manager hatte Beitz während des Zweiten Weltkrieges in den besetzten Ölgebieten im polnischen Boryslaw mehreren hundert verfolgten Juden das Leben gerettet, indem er Alte, Kranke und Kinder aus den Todeszügen der SS zog und kurzerhand zu unabkömmlichen Raffineriearbeitern erklärte. Wichtigste Helferin und Vertraute bei dieser auch für die junge Familie Beitz lebensgefährlichen Rettungsaktion war Else.
Bereits in Israel geehrt
„Ohne deine Liebe hätte ich diese Zeit nicht überstehen können“, sagte Beitz einmal zu seiner Frau im Februar 2010 bei der Verleihung der Moses-Mendelssohn-Medaille in Essen. Es war ein seltener Moment der öffentlichen Rührung. Danach bat er den Pianisten Boris Bloch, „As time goes by“ aus dem Film Casablanca zu spielen. Der Fußball-Reporter Marcel Reif will Montag nach Essen kommen, um dem Ehepaar Beitz noch einmal persönlich zu danken – sein Vater gehörte zu den Geretteten.
Für das mutige Aufbegehren gegen den Mordapparat der Nazis sind Berthold und Else Beitz bereits vor Jahren von der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem mit dem Ehrentitel „Gerechte der Völker“ bedacht worden.
„Ich war kein Held, ich habe einfach als Mensch gehandelt“, hat Beitz alle Belobigungen stets abgewehrt. Dennoch bewertet der Journalist Joachim Käppner, der zuletzt eine sehr lesenswerte Biografie über den Krupp-Patriarchen veröffentlicht hat und beim NRW-Staatspreis die Laudatio halten wird, die drei Jahre in Polen als prägendste Zeit für das Leben des Ehepaars.
Beitz, der „Liebling der Götter“
Fast auf den Tag 72 Jahre sind Berthold und Else Beitz verheiratet. Als kaufmännischer Angestellter bei der Deutschen Shell hatte er seine blonde Kollegin Else Hochheim 1938 beim Tennis in Hamburg kennengelernt. Da ahnte noch niemand, dass aus Beitz einmal der „Liebling der Götter“ werden würde, wie ihn der Banker Hermann Josef Abs einmal nannte.
Und aus Else Beitz eine Frau, die über Jahrzehnte mit großer Leichtigkeit ihren Mann durch die Welt der Wirtschaft und Politik begleitete. Als die Kinder aus dem Haus waren, holte sie nach, was die Umstände ihr in jüngeren Jahren verwehrten: Abitur, Studium, Promotion mit 73 Jahren. „Ein wirklich erarbeiteter Doktortitel und kein Ehrendoktor, wie Berthold Beitz und ich ihn haben“, frotzelte einmal Altkanzler Helmut Schmidt, der enge Freund der Familie.
Beitz wird von Biograf Käppner als überzeugter Familienmensch beschrieben, der es nie goutiert habe, wenn sich Top-Manager alle paar Jahre eine jüngere Frau suchen. Für Beitz „ein Zeichen von Halt- und Charakterlosigkeit“.
Besondere Beziehung zum Bundesland
Berthold Beitz will unbedingt, dass seine Frau heute Abend persönlich aus den Händen der Ministerpräsidentin den Staatspreis entgegennehmen kann. Sie leidet an Demenz, ihr Zustand schwankt. Die Krankheit, die immer häufigere Abwesenheit seiner wichtigsten, lebenslangen Begleiterin macht Beitz zu schaffen. Obwohl er nicht zu privaten Erzählungen neigt, will er die Erkrankung seiner Frau nicht verstecken.
Mit dem Staatspreis NRW ist auch die besondere Beziehung der Familie Beitz mit diesem Bundesland regierungsamtlich besiegelt. Beitz, der von Alfried Krupp einst bewusst als Revierfremder ohne Kontakt zu den Ruhrbaronen geholt worden war, ist heute ein bemerkenswerter Kenner des Ruhrgebiets und seiner Schwächen.
Für die 25 000 Euro Preisgeld hat er persönlich eine Verwendung ausgewählt: Sie gehen an eine Hauptschule im nördlichen Essener Stadtteil Bochold. Dorthin, wo Leistung viel zu selten gewürdigt wird.