Essen. . Die Stiftung als Großaktionär von Thyssen-Krupp tritt zukünftig ein Stück in den Hintergrund. Der Kulturwandel hält Einzug ins Verhältnis der Stiftung unter Berthold Beitz zum Unternehmen. An diesem Dienstag wird Ex-Henkel-Chef Lehner vom Aufsichtsrat an Stelle von Gerhard Cromme gewählt.

Die Erneuerung, hat sie einmal die erste Hürde genommen, entfaltet eine eigene Dynamik. Und es scheint so, als falle die Geschwindigkeit umso höher aus, je länger die Zeit der Erstarrung währte. Bei Thyssen-Krupp, dem schwer angeschlagenen Revier-Konzern, bricht sich die Erneuerung explosionsartig Bahn. In Wellen fegte sie erst im Dezember drei Vorstände von der Brücke, im Februar riss sie den Aufsichtsratschef Gerhard Cromme weg. Und nun ist der Hügel an der Reihe. Die Kulturrevolution macht nicht halt vor der Krupp-Stiftung. Und Berthold Beitz, Vorsitzender und Verwalter des Erbes von Alfried Krupp, legt im hohen Alter von 99 Jahren selbst Hand an, „so lange ich es kann und noch klar im Kopf bin“.

An diesem Dienstag, wenn Ex-Henkel-Chef Ulrich Lehner (66) vom Aufsichtsrat an die Stelle von Cromme (70) gewählt wird, ist der erste Schritt in die Neuzeit gemacht. Lehner hat anders als Cromme kein Amt mehr in der Stiftung. Und so soll es auch bleiben. Mehr noch. Künftig soll möglichst kein Aufsichtsrat bei Thyssen-Krupp mehr dem Kuratorium angehören, sagte Beitz der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ). Was für ein Wandel: Cromme war zugleich Vize-Chef im Kuratorium und Kronprinz von Beitz an der Spitze der Stiftung. „Nach Beitz wird es keinen Beitz mehr geben.“

Kritik an Beitz wächst

Es deutet viel darauf hin, dass schon bald ein weiterer Schritt der Trennung von Unternehmen und Stiftung folgt. Beobachter erwarten, dass die Stiftung das von Aktionärsvertretern vielfach kritisierte Entsenderecht aufgibt, wonach die Stiftung statt zwei einen dritten Vertreter in das Aufsichtsgremium schicken darf. Was eigentlich einem Anteilsbesitz von 33 Prozent entspricht und nicht den tatsächlichen 25,3 Prozent. „Es wäre ein Signal, das Sonderrecht ist international unüblich und nicht vermittelbar“, sagt Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer der Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz. „Es wäre gut, wenn die alten Zöpfe abgeschnitten werden.“

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Alte Zöpfe, gewachsen in der Tradition der letzten großen Industrie-Dynastie Deutschlands, nach dem Tode von Alfried Krupp von Bohlen und Halbach bewahrt durch Berthold Beitz, dem Alfried „die Firma“ anvertraut hat. Nun, wo die einstigen Vertrauten wie Vorstand Jürgen Claassen und Cromme wie Dominosteine gekippt sind, wächst die Kritik an Beitz. Die Frage nach seiner Verantwortung für den Zustand des Unternehmens, Fehlinvestitionen in Übersee und die Kultur einer über Jahre gewachsenen „blinden Loyalität“ (Vorstandschef Hiesinger) – sie wird jetzt öfter gestellt.

Am lautesten freilich von Friedrich von Bohlen und Halbach (50), einem Neffen von Alfried Krupp, der Ende der 90er Jahre gerichtlich mehr Mitsprache für seine Familie in der Stiftung durchsetzen wollte, aber scheiterte. „Wenn jemand zu verantworten hat, wie negativ sich der Konzern entwickelt hat, dann einzig Berthold Beitz.“

Hier die Verantwortung zu ergründen, ist schwer. Tüngler sagt, sicher habe der Vertreter des Großaktionärs alles gewusst, zumal dann, wenn er als Ehrenvorsitzender bei mancher Aufsichtsratssitzung dabei war. Analyst Marc Gabriel sagt, bei der Suche nach Verantwortlichen müsse beim regulären Aufsichtsrat Schluss sein.

Wer hier welche Entwicklung treibt, wer Getriebener ist, wann welche Zünder die Dinge in Bewegung gesetzt haben – schwer zu sagen in dem Gemisch aus Managementversagen, Korruption und Kartellabsprachen. Einen Anfang markiert die Berufung von Hiesinger als Vorstandschef, ein Anti-Ruhrbaron, der nichts am Hut hat mit der Einstecktuch-Armada, die sich über manche Fürstentümer des Konzerns hergemacht hat, mehr das persönliche Fortkommen als das Ganze im Sinn. Hiesinger hat das Desaster in Brasilien erstmals vernünftig in Zahlen gefasst. Beitz sagte der SZ, Cromme und seine Leute hätten ihn „lange nicht informiert, wie schlecht die Lage des Konzerns wirklich ist“.

Eine Kapitalerhöhung ist möglich

Eingemauert von Vertrauten? Claassen und Cromme haben entschieden, welche Post und welche Botschaften Beitz zu Gesicht bekam. Andererseits soll es Beitz gewesen sein, der den Vertrag von Ekkehard Schulz als Vorstandschef noch mal für zwei Jahre bis Anfang 2011 verlängert wissen wollte. Unter Schulz nahm das Brasilien-Desaster seinen Anfang.

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Ab heute tritt die Stiftung ein wenig in den Hintergrund. Thyssen-Krupp wird damit mehr den Interessen des Kapitalmarktes folgen. Was große Bedeutung erlangen kann, wenn die Übersee-Stahlwerke nicht zum Buchwert von 3,9 Milliarden Euro zu verkaufen und erneut Wertberichtigungen fällig sind. Eine Kapitalerhöhung ist nicht ausgeschlossen. Ein Verlust der Sperrminorität der Stiftung könnte folgen. Auch dem würde sich Beitz nicht verweigern, wenn es „zum Wohle der Firma ist“. Was zeigt: Die Renovierung auf Villa Hügel ist in vollem Gange.