Vorbild, Legende, moralische Instanz – es gibt kaum einen Wirtschaftsführer in Deutschland, der eine solche Anerkennung genießt wie Berthold Beitz. Lange wollte der Essener Patriarch mit niemandem über sein Leben sprechen, alles Drängen war vergebens – bis es dem Journalisten Joachim Käppner schließlich gelang, Beitz umzustimmen. Herausgekommen ist eine Biografie über einen großen Mann, für die Käppner mit dem Wirtschaftsbuchpreis 2011 ausgezeichnet wurde. Mit Käppner sprach Peter Hahne.
Herr Käppner, was hat Sie besonders an der Person Berthold Beitz fasziniert?
Vor allem seine Zeit im Dritten Reich. Beitz hat als junger Mann Hunderten jüdischen Zwangsarbeitern in Ostgalizien das Leben gerettet. Das hat mich sehr beeindruckt. Zweitens hat mich fasziniert, dass es im Ruhrgebiet einen Patriarchen gibt, der für viele Leute ein Vorbild ist. Berthold Beitz hat hier einen unheimlich guten Ruf – es gibt nur wenige, die eine schlechte Meinung von ihm haben.
Wie erklären Sie sich seinen Heldenmut in Boryslaw, für den er in Yad Vashem später als „Gerechter unter den Völkern“ geehrt wurde?
Es braucht einen sehr starken Willen und die Unabhängigkeit vom Urteil anderer, wenn man sich so über alle Konventionen, Zwänge und das soziale Umfeld hinwegsetzt, um Menschenleben zu retten. Berthold Beitz verfügt über die innere Freiheit, das zu tun, was er für moralisch richtig hält. Ich glaube, das ist eine Sache der charakterlichen Anlagen und der Erziehung. Das Beitzsche Elternhaus war das Gegenteil dessen, was man in dem Film „Das weiße Band“ sehen konnte, wo die Charaktere der Kinder frühzeitig gebrochen und brutalisiert wurden. Das Kind Berthold Beitz hat von seinen Eltern ein positives Menschenbild mit auf den Weg bekommen. Die Kinder fühlten sich getragen und respektiert, es gab keine Prügelorgien. Das unterscheidet sich stark von vielen anderen Elternhäusern jener Zeit.
Welches sind aus Ihrer Sicht seine größten Lebensleistungen?
Boryslaw ragt so heraus, das kann man nicht vergleichen. Sehr bedeutsam ist aber auch seine Vorreiterrolle in der Ostpolitik während des Kalten Krieges. Beitz war ein Pionier der Entspannungspolitik und Schrittmacher bei der Aussöhnung mit Polen. Die Entschädigung von Zwangsarbeitern ist aus meiner Sicht seine dritte große Lebensleistung. Beitz hat Ende der 50-er Jahre schon die Abwehrfront der deutschen Industrie durchbrochen und Alfried Krupp überzeugt. Krupp – ausgerechnet Krupp! – war der erste deutsche Konzern, der nach dem Krieg Entschädigungen an jüdische Zwangsarbeiter aus den Konzentrationslagern zahlte. Das war 1959 ein großer Schritt, der meines Erachtens bis heute nicht richtig gewürdigt wurde.
Beitz größte Leistung als Unternehmer?
Ihm ist es zu verdanken, dass es Krupp – in Form des fusionierten Konzerns ThyssenKrupp – heute überhaupt noch gibt. Er hat mit der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung Strukturen geschaffen, die eine feindliche Übernahme Thyssen-Krupps ausschließen. Das schafft Stabilität und Sicherheit für das Unternehmen und seine Beschäftigten.
Hat er auch Fehler gemacht?
Natürlich. Man sollte sich vor Verklärungen hüten. Berthold Beitz blickt auf ein sehr langes Leben zurück und hat selbstverständlich auch falsche Entscheidungen getroffen. Die schwerste Niederlage seines Lebens war meines Erachtens aber nicht die Krupp-Krise 1967, sondern 20 Jahre später Rheinhausen. Da wurde mit dem Stahlwerk die Seele von Krupp geschlossen, und das hat auch Beitz mitzuverantworten. Rückblickend muss man sagen, dass es wohl leider nötig war. Aber es bleibt die Frage, ob die Schließung nicht vorher hätte verhindert werden können. Beitz hat unter Rheinhausen sehr gelitten. Er fragt sich manchmal, ob sein Vertrauter Alfried Krupp, der 1967 verstorbene letzte Alleininhaber, ähnlich entschieden hätte wie er. Bei Rheinhausen sagt Beitz: „Nein. Alfried Krupp hätte anders entschieden.“
Taugt der Unternehmer Beitz in der heutigen Zeit noch als Vorbild?
Gerade heute. In Zeiten des Raubtierkapitalismus und der Bankenkrise stellt sich sein Wirken in der Rückschau noch positiver dar. Beitz hat die Macht der Banken immer abgelehnt – und sich stets für die Arbeitnehmer, den sozialen Ausgleich und die Grundprinzipien der sozialen Marktwirtschaft eingesetzt. Das heißt nicht, dass er nicht ein Unternehmer wäre, der seine Interessen notfalls knallhart durchsetzen will. Aber dennoch, diese Ideale sind aktueller denn je. Es gibt heute, auch bedingt durch den Krieg, einen Mangel an Vorbildern in der alten Generation. Bei den wenigen, die noch da sind – Helmut Schmidt, Richard von Weizsäcker, Berthold Beitz – schaut man deshalb umso begieriger, was man von ihnen lernen kann.
JOACHIM KÄPPNER: Berthold Beitz. Die Biographie. Mit einem Vorwort von Helmut Schmidt. Berlin Verlag, Berlin 2010
200 Jahre Krupp im Wandel der Zeit
1811: Der Anfang
1587 werden die Krupps in Essen das erste Mal erwähnt. Am 20. November 1811 gründet Friedrich Krupp in Essen eine Gussstahlfabrik.
1812: Die Zukunft
Alfred Krupp wird am 26.4.1812 geboren. Im selben Jahr werden der Schmelzbau und ein Hammerwerk an der Walkmühle in Altenessen errichtet.
1817: Die Qualität
Die Königliche Münze in Düsseldorf bestätigt die Qualität des Kruppschen Stahls. Krupp produziert Münzstempel, Walzen und Werkzeuge.
1835: Die erste Dampfmaschine
Alfred Krupp bestellt die erste Dampfmaschine für die Gussstahlfabrik.
1836: Die Krankenkasse
Auf freiwilliger Basis wird eine Kasse für Krankheits- und Sterbefälle gegründet.
1841: Die erste Auslandsvertretung
In Paris erhält die erste ständige Auslandsvertretung der Firma ihren Sitz.
1843: Das Besteck
Alfred Krupp entwickelt gemeinsam mit seinen Brüdern Hermann und Friedrich ein serienreifes Besteckwalzwerk.
1844: Die Goldmedaille
Auf der Berliner Gewerbeausstellung erhält Krupp für seine Produkte die Goldmedaille.
1846: Die Eisenbahn
Die Firma beginnt mit der Herstellung von Eisenbahnachsen und -federn. Den ersten Großauftrag erteilt 1849 die Köln-Mindener Eisenbahn: 2400 Trag- und 400 Stoßfedern.
1848: Die Revolution
Alfred Krupp wird Alleininhaber der Gussstahlfabrik. Während der Revolution von 1848/49 lässt er das Familiensilber einschmelzen.
1851: Die Weltausstellung
Auf der ersten Weltausstellung in London erhält Krupp die „Council Medal“, den höchsten Preis.
1853: Die Familie
Alfred Krupp heiratet Bertha Eichhoff aus Köln. Am 17. Februar 1854 wird Friedrich Alfred Krupp geboren.
1854: Das Patent
Alfred Krupp erhält ein amerikanisches Patent auf seine nahtlosen Eisenbahnradreifen. Der Schienenverkehr wird mit diesen Reifen sicherer und schneller.
1857: Die Mitarbeiter
Die Belegschaft des Unternehmens übersteigt erstmals die Marke von 1.000 Beschäftigten.
1859: Die Rüstungsproduktion
Beginn der Rüstungsproduktion in größerem Maßstab: 300 Geschützrohr-blöcke werden vom preußischen Kriegsministerium bestellt.
1861: Das Visuelle
In diesem Jahr wird die Fotoabteilung des Unternehmens gegründet. Große Werkspanoramen entstehen.
1861: Der Dampfhammer
Der von Alfred Krupp entworfene Dampfhammer „Fritz“ mit 1000 Zentnern Fallgewicht wird in Betrieb genommen.
1862: Der Stahl
Krupp baut das erste Bessemer-Stahlwerk auf dem Kontinent. Es ermöglicht Massenproduktion und Schienenherstellung.
1863: Die Siedlung
Die Werkssiedlung „Westend“ entsteht am südlichen Rand des Fabrikgeländes. Sie besteht aus 136 Wohneinheiten.
1868: Der Konsum
Der drei Jahre zuvor von Werksangehörigen gegründete Arbeiter-Konsumverein wird von der Firma übernommen und zur Konsumanstalt.
1869: Die Technologie
Der erste Siemens-Martin-Stahlofen in Deutschland wird auf der Gussstahlfabrik in Betrieb genommen.
1870: Das Krankenhaus
Die Kruppschen Krankenanstalten entstehen als Lazarett für Verwundete im deutsch-französischen Krieg.
1872: Das Grundgesetz
Das „Generalregulativ“ regelt Pflichten und Rechte der Mitarbeiter und legt Grundzüge der Geschäftsführung und der betrieblichen Sozialpolitik dar.
1872: Die Expansion
Die Steinkohlenzeche „Hannover“ in Bochum und die Johanneshütte in Duisburg werden erworben.
1873: Die Villa
1873 wird die Villa Hügel fertig gestellt. Das neue Domizil der Krupps hat 269 Zimmer.
1875: Die Marke
Drei übereinander gelegte nahtlose Eisenbahnradreifen werden vom Königlichen Kreisgericht in Essen als Wort/Bildmarke der Firma Krupp eingetragen.
1875: Die Frauen
Krupp gründet zwei Industrieschulen. Hier können Frauen und schulpflichtige Mädchen Handarbeiten für häusliche oder berufliche Zwecke lernen.
1883: Die Forschung
Mit der Errichtung eines zweiten Chemischen Laboratoriums durch Friedrich Alfred Krupp beginnt die wissenschaftlich orientierte Stahlforschung.
1886: Der Besuch
Der chinesische Vizekönig Li Hong-Zhang stattet dem deutschen Unternehmen einen Besuch ab.
1890: Die Stipendien
Gründung der Krupp-Stipendien-Stiftung. Die Stipendien werden für begabte Söhne der Mitarbeiter ausgelobt für eine bessere technische Ausbildung.
1892: Die Übernahme
Krupp übernimmt per Betriebsüberlassungsvertrag das Grusonwerk in Magdeburg.
1893: Die Erfindung
Rudolf Diesel, MAN und Krupp beschließen in einem Konsortialvertrag, Diesels Erfindung auszuwerten, um einen Dieselmotor zu entwickeln.
1896: Die Hütte
Für die neue Friedrich-Alfred-Hütte in Rheinhausen werden zunächst drei Hochöfen, ein Hafen, ein Wasserwerk und Werksbahnanlagen geplant.
1896: Die Werft
Krupp übernimmt am 19. August die Germaniawerft in Kiel.
1896: Der Kaiser
Kaiser Wilhelm II. besucht am 27. Oktober Krupp.
1899: Die Bücher
Die Kruppsche Bücherhalle wird eröffnet, und der Kruppsche Bildungsverein entsteht.
1902: Das U-Boot
Bau des ersten deutschen Versuchs-U-Bootes „Forelle“ auf der Kruppschen Germaniawerft.
1903: Die Aktiengesellschaft
Am 30. Juni wird die Firma Fried. Krupp in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Bertha Krupp ist Eigentümerin.
1905: Die Geschichte
Im Juni wird die „Geschichtliche Abteilung“ als erstes Unternehmensarchiv Deutschlands gegründet.
1906: Die Hochzeit
Bertha Krupp heiratet den Diplomaten Gustav von Bohlen und Halbach.
1906: Die Margarethenhöhe
Aus Anlass der Heirat ihrer Tochter stiftet Margarethe Krupp Land und finanzielle Mittel zum Bau der Siedlung Margarethenhöhe.
1912: Das Patent
Die nichtrostenden säure- und hitzebeständigen Chrom-Nickel-Stähle aus den Krupp-Laboratorien werden patentiert („Nirosta“).
1912: Das Fest
Im August wird das 100-jährige Bestehen der Firma Krupp unter Anwesenheit von Kaiser Wilhelm II. gefeiert.
1914: Das Geschütz
Die „Dicke Berta“ kommt im Ersten Weltkrieg zum Einsatz.
1919: Die Lokomotive
Krupp entwickelt seine ersten Lastkraftwagen. Zugleich wird am 6. Dezember die erste in Essen gebaute Lokomotive ausgeliefert.
1926: Der Werkstoff
Unter dem Namen WIDIA bringt Krupp ein gesintertes Hartmetall auf den Markt, das sich als Werkstoff für Werkzeuge hervorragend eignet.
1928: Die Schmiedepresse
Krupp baut in Essen-Borbeck die damals größte Schmiedepresse der Welt mit 15.000 t Presskraft.
1939: Der Krieg
Krupp ist Teil der Kriegswirtschaft des NS-Regimes.
1940: Die Zerstörung
Beginn der Luftangriffe auf die Gussstahlfabrik. Am Ende sind über 30 % der Essener Werke zerstört.
1943: Die Firma
Die Fried. Krupp AG wird per Erlass Hitlers in eine Einzelfirma umgewandelt. Der Inhaber heißt nun Alfried Krupp von Bohlen und Halbach.
1948: Das Urteil
Ein amerik. Militärgericht verurteilt Alfried Krupp u. a. wegen der Zwangsarbeiterbeschäftigung zu zwölf Jahren Haft und Vermögensbeschlagnahme.
1951: Die Freilassung
Der amerikanische Hochkommissar John McCloy begnadigt Alfried Krupp. Er wird am 3. Februar aus der Haft entlassen.
1953: Die Vollmacht
Berthold Beitz wird Generalbevollmächtigter von Alfried Krupp von Bohlen und Halbach.
1953: Die Ausstellung
In der Villa Hügel, die seit 1945 nicht mehr als Wohnsitz der Familie genutzt wird, wird die erste Kunstausstellung gezeigt.
1953: Der Vertrag
Die indische Regierung und die Firma Krupp unterzeichnen einen Vertrag über den Bau eines Hüttenwerks im indischen Rourkela.
1958: Der Osthandel
Krupp nimmt erstmals an der Posener Messe teil, Berthold Beitz reist auf Einladung des Ministerpräsidenten Mikojan in die Sowjetunion.
1960: Die Tauchkugel
J. Piccard und D. Walsh erreichen mit einer von Krupp hergestellten Tauchkugel als Erste den tiefsten Punkt des Meeres, ca. 11.000 m unter dem Meeresspiegel.
1961: Das Ausland
Das brasilianische Werk Krupp Metalúrgica Campo Limpo wird eingeweiht. Es stellt vor allem Kurbelwellen und Achsen für den Automobilbau her.
1963: Der Empfang
Der sowjetische Staats- und Parteichef Nikita Chruschtschow empfängt Berthold Beitz in Moskau.
1967: Die Umwandlung
Alfried Krupp gibt bekannt, die Firma in eine Kapitalgesellschaft umzuwandeln. Die Anteile sollen von einer gemeinnützigen Stiftung gehalten werden.
1968: Die Stiftung
Die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung nimmt ihre Arbeit auf.
1971: Das Radioteleskop
Das seinerzeit größte bewegliche Radioteleskop der Welt wird in Effelsberg in der Eifel in Betrieb genommen.
1972: Das Dach
Krupp Industrie- und Stahlbau errichtet das Dach des Olympiastadions in München.
1973: Die Begegnung
An der Spitze einer deutschen Wirtschaftsdelegation trifft Berthold Beitz den chinesischen Ministerpräsidenten Chou Enlai.
1976: Die Beteiligung
Der Staat Iran beteiligt sich mit 25,01 % am Stammkapital der Fried. Krupp GmbH. 2003 wird diese Beteiligung auf unter 5 % zurückgeführt.
1987: Der Protest
Die Stilllegung des Hüttenwerks in Rheinhausen wird beschlossen. Die Beschäftigten demonstrieren mit zahlreichen Aktionen.
1992: Die Mehrheit
Krupp erwirbt 1991 die Mehrheit an der Hoesch AG in Dortmund. Per Verschmelzung wird 1992 die Fried. Krupp AG Hoesch-Krupp gegründet.
1999: Die Fusion
Die Thyssen AG und die Fried. Krupp AG Hoesch-Krupp fusionieren zur ThyssenKrupp AG.
2010: Die Kunst
Eröffnung des von der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung finanzierten Neubaus des Museum Folkwang in Essen.
2010: Das Quartier
Das ThyssenKrupp Quartier wird am 17. Juni in Essen eröffnet. Der Konzern verlegt seinen
Hauptsitz von Düsseldorf nach Essen.
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