Essen. Die Feinstaub-Belastung an der Gladbecker Straße in Essen wird auch in diesem Jahr wieder die EU-Grenzwerte übersteigen. Experten suchen Lösungen, um die Verkehrsader zu entlasten. Doch nach einer ersten Testphase steht fest: Keine der möglichen Strategien dürfte auf Dauer helfen.
Mal wieder dicke Luft auf der Gladbecker Straße: Bereits an 25 Tagen wurden die Grenzwerte bei Feinstaub gerissen, daran änderten auch die vielen Regentage nichts. Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass auch dieses Jahr die erlaubten 35 Überschreitungstage, wie sie die EU festgelegt hat, nicht ausreichen werden. Wie soll es auch anders sein auf einer Straße, die täglich weit über 40.000 Fahrzeuge verkraften muss.
Aber lässt sich daran nichts ändern, kann die Stadt nicht doch an irgendeiner Schraube drehen, um den Menschen entlang der B 224 wenigstens einen Teil der Abgase und des Lärms zu ersparen? Tempo 30 vielleicht, oder eine teilweise Sperrung für den Lkw-Verkehr? Eine andere Ampelschaltung? Oder sind die Grenzen der Kommunen, die Lärm- und Luftbelastung zu verringern, mit der Umweltzone Ruhr ausgeschöpft?
Landesumweltamt NRW macht Stadt Essen wenig Hoffnung
Das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW, kurz Lanuv, macht der Stadt erst gar keine Illusionen: „Wir sehen nur einen sehr geringen Handlungsspielraum. So lange es nicht gelingt, den Individualverkehr zu verringern, wird sich an der Situation nichts ändern.“ Jede Verschärfung der Abgaswerte bei Pkw und Lkw dürfte nachhaltiger wirken, heißt es beim Landesamt. Sicher, kleinere Verbesserungen ließen sich erzielen, aber viele mögliche Eingriffe seien in ihrer Wirkung doch eher „neutral“. Das jedenfalls ist das ernüchternde Fazit des Lanuv-Fachberichts, der am Donnerstag dem Umweltausschuss vorgelegt wird.
Bei der Suche nach Auswegen hatte das NRW-Umweltministerium im Jahr 2009 das Landesamt beauftragt, ein Problemgebiet genauer zu untersuchen, dabei auch unkonventionelle Ansätze zu verfolgen: Die Auswahl viel auf den Essener Norden, auf ein Gebiet zwischen Grillostraße im Süden, A 42 im Norden, Bottroper Straße im Westen und Altenessener Straße im Osten, mittendrin die Gladbecker Straße, die Hafenstraße, die größten zusammenhängenden Industrie- und Gewerbeflächen Essens. Ein Gebiet, in dem alle Pkw und Lkw, die sich hier bewegen, zusammen auf rund 707.444 Kilometer Fahrleistung jährlich kommen. Wobei davon nur knapp sechs Prozent auf Lkw entfallen.
Unkonventionelle Maßnahmen bei Verkehrsprojekt bleiben ohne Erfolg
So untersuchte das Landesamt beispielsweise, ob sich etwa über Pförtnerampeln auf der B 224 etwas verändern lässt, ob eine Sperrung der A 42-Anschlussstellen Altenessen, Essen-Nord oder Bottrop für den Lkw-Verkehr hilft, ob ein Routenkonzept für Lkw, das vor allem auf die Bottroper Straße abzielt, die Lärm- und Luftwerte verbessert, ob eine neue A 42-Anschlussstelle an der Hafenstraße womöglich die Lösung seien könnte, oder doch eher Tempo 30 auf der Gladbecker. Kann man hier die Ampelphasen weiter optimieren, oder soll man die Ampeln nachts gleich ganz abschalten?
Projektleiter Andreas Brandt und die Fachleute von Lanuv und Stadt mussten jedoch feststellen, dass der Verkehr aller Voraussicht nach nur auf andere Straßen verdrängt wird – wo er dann seinerseits die Situation verschlechtert. „Wer den Verkehr von der Gladbecker Straße holt, belastet zwangsläufig die Altenessener- und die Bottroper Straße“, sagt Brandt. „Natürlich könnte man den Lkw-Verkehr komplett auf die Hafenstraße führen, doch dann wird es dort eben zu hohen Luft- und Lärmbelastungen kommen.“
Lösung auf Gladbecker Straße könnte Situation verschlechtern
Dazu kommt die ernüchternde Erkenntnis der Untersuchung: Sobald der Individualverkehr auf der Gladbecker Straße besser läuft, wird die Strecke attraktiver und zieht weiteren Verkehr an. Es klinge absurd, sagt Brandt: „Die Situation würde sich sehr schnell wieder verschlechtern.“ Dabei sind es gerade die vielen Pkw auf der B 224, die für die miserablen Luftwerte sorgen.
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Nicht anders sieht es bei einer Totalabschaltung in der Nacht aus: Die Gladbecker würde in noch stärkerem Maße zur Rennstrecke, warnen die städtischen Fachleute: „Das geht auf gar keinen Fall.“ Dann lieber Tempo 30 – obwohl auch dies die Schadstoffwerte nur marginal senken dürfte. Nachhaltig könnten lediglich radikale Schritte helfen. Beispiel Lkw-Verkehr: Eine Totalsperrung an Tagen mit schwachen Winden oder Windstille könnte tatsächlich zehn Überschreitungstage einsparen, Brüssels Vorgaben wären erfüllt. Aber zu welchem Preis, mit welchem Aufwand? Wer sollte bei welcher Wetterprognose entscheiden? Nein, heißt es auch beim Lanuv, das kann keine Lösung sein.
Bus- und Bahnnetz für Pkw-Fahrer unattraktiv
Letztendlich, und das ist auch die Erkenntnis im Landesamt, muss ein umfassendes Mobilitätskonzept her, eine Stärkung des Bus- und Bahnverkehrs. Andere Städte wie Aachen seien da deutlich weiter, während es in Essen manchmal an Kleinigkeiten scheitert. Nur ein Beispiel dafür ist die Stadtbahn-Linie U11: Häufig stehen die Bahnen von Gelsenkirchen kommend auf der Karnaper Straße im Stau hinter den Pkw. Während der Individualverkehr abfließt, fährt die U-Bahn die ersten Verspätungsminuten ein. Nach zwei Haltestellen sind beide Waggons komplett vollgestopft mit Schülern.
So steigt kein Autofahrer auf die U-Bahn um. Wozu auch? Mit dem Pkw geht’s schneller und bequemer nach Essen. „Wir müssen den Verkehr in den Spitzen verringern“, sagt Lanuv-Fachbereichsleiter Brandt. Und so könne beispielsweise für den Lkw-Verkehr nur ein überregionales Konzept die Lösung sein: „Die A 40-Sperrung hat uns gezeigt, dass es geht. Und es geht besser, als viele prognostiziert haben.“ Darauf hatte im Interview auch Essens scheidender Planungsamtsleiter Thomas Franke verwiesen.
A 52 durch Essens Norden hilft Gladbecker Straße nicht
Auch wenn bei der Stadt Ernüchterung herrscht über den Lanuv-Bericht, zeigt er nach Meinung vieler Umwelt- und Verkehrsexperten auch, dass das Heil nicht in einer sicher eine Milliarde Euro teuren A 52-Schneise quer durch den Norden liegen kann, die massiv den Transitverkehr anlocken, aber in keiner Weise helfen würde, die Probleme auf der Gladbecker zu lösen. „Nein, es kann nur um ein Mobilitätskonzept für das mittlere Ruhrgebiet gehen“, sagt auch Dieter Küpper, Sprecher des Runden Umwelttisch Essen (Rute).
Bei den Verkehrs- und Umweltverbänden blickt man deshalb mit verhaltenem Optimismus auf den 8. Juli: Der Rute ist in Düsseldorf vor Ort, wenn NRW-Verkehrsminister Michael Groschek „ein ausgewogenes Paket von Maßnahmen des öffentlichen Verkehrs, des Individualverkehrs und des Radverkehrs“ vorstellen will, an dem der Rute mitgewirkt hat. Das Aus für die A 52? „Wir sind sehr gespannt“, sagt Rute-Moderator Küpper. Aber doch ein wichtiger Schritt hin zu besserer Luft auf der Gladbecker.