Essen. Eine ungewöhnliche Häufung an Unfällen macht der Essener Verkehrs-AG (Evag) zu schaffen. Bei den Straßenbahnen ist die Fahrzeugreserve bereits aufgebraucht - das Nahverkehrsunternehmen fährt buchstäblich auf der letzten Felge. Fahrgäste bekommen das zu spüren.
Puh, noch mal Glück gehabt: Die A-Säule hat nichts abgekriegt, die Frontscheibe haben sie auf Lager und den Blechschaden - den kriegen sie schon wieder hin. Es hätte schlimmer kommen können, meint Martin Dreps. Der Mann ist Kummer gewohnt. Martin Dreps ist bei der Evag verantwortlich für den Bereich Fahrzeugtechnik. Hiobsbotschaften nimmt er inzwischen hin wie andere Leute die Aussicht auf weitere Tiefausläufer im Wetterbericht. Tendenz: stürmisch.
Ja, da hat sich einiges zusammengebraut in den vergangenen Wochen und Monaten. Neun Straßenbahnen mussten nach diversen Unfällen in die Werkstatt. Selbst altgediente Hasen im Unternehmen können sich nicht erinnern, dass es eine solche schwarze Serie schon einmal gegeben hätte. Erst am Samstag erwischte es eine Tram bei der Rückfahrt zum Betriebshof, glücklicherweise waren keine Fahrgäste an Bord.
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Hauptwerkstatt erinnert an Intensivstation
So erinnert die Hauptwerkstatt an der Schweriner Straße längst an eine Intensivstation. Operiert wird am offenen Herzen; keinen anderen Schluss lässt das Bulletin zu, das Martin Dreps erstellt hat. In Zahlen liest sich das so: 88 Straßenbahnen nennt die Evag ihr eigen, 70 müssen im Liniennetz unterwegs sein, damit der Fahrplan hält, was er verspricht. Bleibt eine Reserve von 18 Schienenfahrzeugen zum Löcherstopfen.
Normalerweise sollte dieses Polster reichen, heißt es. Aber was ist schon normal? Sieben Bahnen musste die Evag nach besagten Unfällen vorübergehend aus dem Verkehr ziehen, ein gutes Dutzend leidet an diversen technischen Krankheiten: Bremsen defekt, Elektrostörung, Motor defekt ... Nichts, was sich nicht beheben ließe, nur nicht immer auf die Schnelle. Bei den U-Stadtbahnen fällt die Diagnose nur unwesentlich freundlicher aus. Von 52 Fahrzeugen sind fünf derzeit nicht zu gebrauchen.
Die Evag fährt buchstäblich auf der letzten Felge. „Die Reserve ist aufgebraucht“, räumt Martin Dreps ein. Der Fuhrpark ist eben nicht mehr der Jüngste, einige Bahnen haben mehr als 30 Jahre auf dem Blechbuckel. Die Witterung tue ihr Übriges, Feuchtigkeit und Salz setzen den luftgekühlten Motoren zu.
Löcher im Netz
Das reißt Löcher ins Netz. Da fährt die „103“ in Richtung Steele schon mal nur bis zu Hollestraße, da endet die „101“ in Richtung Bredeney auch mal am Hauptbahnhof, da müssen E-Wagen, die sonst im Berufsverkehr eingesetzt werden, im Linienbetrieb aushelfen. Improvisationstalent ist gefragt, nicht nur in der Leitstelle. In Krefeld, Bielefeld und Halle habe man angefragt, ob deren Verkehrsbetriebe nicht mit Fahrzeugen aushelfen könnten. Die Antwort: Auf Ersatzteile könne die Evag gerne zurückgreifen.
Dort hält man sich zugute, dass die Mitarbeiter der Werkstätten ihr Handwerk beherrschen. Und man ist froh darüber, nicht auf Unternehmensberater vertraut zu haben, die empfahlen, auf eine aufwendige Lagerhaltung zu verzichten und defekte Teile lieber gleich beim Hersteller reparieren zu lassen. Ausbauen und austauschen - damit wird es nicht getan sein. Auch nicht, wenn ab 2014 die ersten von 27 modernen Niederflurbahnen anrollen. Auf altgediente M-Wagen mit Treppenstufen kann die Evag nicht verzichten, so lange auf der „Südstrecke“ Bahnsteige mit unterschiedlichem Höhenniveau angefahren werden müssen. Den guten Rat des Fahrgastverbandes Pro Bahn, eine größere Fahrzeugreserve bereitzustellen, den, so Dreps, wird das Unternehmen annehmen.