Essen. . Stadt zog nach einem Jahr der Betreuung Arbeitsloser in Eigenregie eine erste Bilanz.

Trotz aller Kritik an Warteschlangen und -schleifen in den Jobcentern und Telefonleitungen, der Klage über verspätete Auszahlungen von Leistungen in zwei Fällen und einen unüberschaubaren Bearbeitungsstau – nach einem Jahr der Betreuung von Langzeitarbeitslosen in Eigenregie haben die Verantwortlichen in der Stadtverwaltung Bilanz gezogen. Allzu selbstkritisch fiel die nicht aus: Das Umschalten auf die Optionskommune war eine „Kraftaufgabe besonderer Art“, doch inzwischen „überwiegen die Erfolge“, sagte Oberbürgermeister Reinhard Paß. „Wir sind mit dem ersten Jahr sehr zufrieden“, sagte Sozialdezernent Peter Renzel. „Wir sind aber nicht zufrieden mit den Rahmenbedingungen“, mahnte Jobcenter-Chef Dietmar Gutschmidt.

42 Prozent weniger Zuschüsse

Die werden zusehends schlechter: Der Bund fuhr seine Zuschüsse binnen zwei Jahren von 81 auf 51 Millionen Euro zurück. Im laufenden Jahr droht Essen eine weitere Kürzung um weitere vier Millionen Euro für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen, mit denen die Arbeitslosen unterstützt werden, um möglichst zurück in den Jobmarkt zu finden. Vor Ort seien 92 Prozent der Mittel im vergangenen Jahr verausgabt worden. Damit liege man über dem Bundesschnitt, sagte Gutschmidt. Zum Vergleich: Die für die kurzfristig Arbeitslosen zuständige Agentur für Arbeit habe nur 77,3 Prozent ihres Geldes für die Menschen ausgegeben, die Unterstützung benötigten – der Rest floss ungenutzt zurück an den Finanzminister.

"Gelder werden nicht genutzt"

Das ist eine Arbeitsmarktpolitik, die einem Skandal gleichkommt, meinte Renzel: „Die Gelder werden nicht genutzt, aber Langzeitarbeitslose produziert“, für die schließlich wieder die Kommune aufkommen muss. 380 Euro pro Monat kostet die Stadt ein Leistungsempfänger. 82.000 Essener leben von Hartz IV. Anstatt die Mittel einzubehalten, sollten sie in ein neues Programm zur öffentlich geförderten Beschäftigung in Wirtschaftsunternehmen fließen, forderte Renzel. Dies sei eine weitere Chance, das Problem der Langzeitarbeitslosigkeit zu lösen.

Kundenstamm der Arbeitsagentur stieg um 13,2 Prozent

Das ist in Essen nach wie vor ein großes: 14.883 Menschen, die in einem der zehn Jobcenter betreut werden, waren in den vergangenen zwei Jahren mindestens 20 Monate ohne Job. Darunter sind 2.360 Jugendliche unter 25 Jahren. Die Zahl der Arbeitslosen in der Grundsicherung stieg im ersten Jahr der alleinigen Verantwortung um 2,9 Prozent auf 28.567. Zum Vergleich: Der Kundenstamm der Arbeitsagentur wuchs unter den gleichen schlechter werdenden Wirtschaftsentwicklung um 13,2 Prozent. „Bei uns landen dann die Menschen, die zwölf Monate bei der Bundesagentur durchgekaut wurden“, so Gutschmidt.

Sorge machen besonders die Aufstocker

Stadtintern ist man sich einig, dass die Entscheidung für das Wagnis Optionskommune eine richtige war. Hätte man das Ruder nicht übernommen, stünde man heute schlechter da, ist zu hören. Es ist eine Kritik an der Agentur für Arbeit. Doch die Frage, was die Stadt alleine wirklich besser machen konnte, blieb weitgehend unbeantwortet. Sechs Prozent mehr Integrationsmaßnahmen sollen es gewesen sein. Doch es fehlen belastbare Zahlen für einen Jahresvergleich, wenn es um das Kerngeschäft geht: die Vermittlung von Arbeitslosen in Jobs oder Ausbildung. Aufs vergangene Jahr gerechnet fanden 9500 Hartz IV-Empfänger einen Job. Mit Sorge sieht Renzel eine andere Entwicklung: Seit 2010 steigt die Zahl der Menschen, die arbeiten, aber dennoch nicht genug Geld zum Leben haben. 13.060 so genannte Ergänzer kennt die Statistik, fast alle sind abhängig beschäftigt und rund 63 Prozent haben ein Einkommen von 400 Euro oder weniger. Renzel bezeichnete es als große wirtschaftspolitische Herausforderung, aus Mini-Jobs Beschäftigungsverhältnisse zu kreien, die einen Lebensunterhalt ohne Grundsicherung ermöglichen.

"Fördern und fordern"

Das Prinzip „Fördern und fordern“ hinterließ Opfer: 3200 Mal bestraften die Jobcenter ihre Kunden, indem sie ihnen Leistungen kürzten – in 90 Prozent der Fälle, weil die Menschen Termine versäumten. 39 Prozent der 193 Widersprüche gegen Sanktionen hatten Erfolg.