Essen.. Alarmierende Studie der Hans-Böckler-Stiftung: Armut ist in den deutschen Städten und insbesondere denen des Ruhrgebiets weit verbreitet. Gegen den Trend leben besonders viele Essener von der Grundsicherung. Fast jedes dritte Kind ist betroffen.

Die Armut schreitet immer weiter voran, und gerade die Kinder bleiben auf der Strecke. Unter den 15 größten deutschen Städten ist Essen die einzige Kommune, in denen die Zahl der Menschen, die von Hartz IV oder anderen Leistungen der Grundsicherung ihr Leben bestreiten müssen, in den vergangenen fünf Jahren gemessen an der Gesamtbevölkerung gestiegen ist.

Lag sie 2007 noch bei 17,7 Prozent, erreichte sie im vergangenen 18,1 Prozent. Was nichts anderes heißt als: In dieser Stadt konnten besonders viele Menschen eben nicht vom allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwung profitieren.

Armut ist in deutschen Städten besonders weit verbreitet

Diese Eckdaten gehen aus einer gestern veröffentlichen Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung in Düsseldorf hervor, die zu dem nicht überraschenden Schluss kommt: Armut ist in den deutschen Städten und insbesondere denen des Ruhrgebiets weiter verbreitet als im Bundesdurchschnitt.

Besonders alarmierend dabei sind die Hilfequoten bei Essener Kindern: 29,9 Prozent aller unter 15-Jährigen leben in Familien, die sich ihr Leben ohne staatliche Unterstützung nicht leisten könnten. Das sind 21.526 junge Betroffene, und das ist der zweithöchste prozentuale Wert unter den verglichenen Großstädten. Nur Berlin steht mit 34,3 Prozent noch schlechter da. Bei den unter Dreijährigen ist die Entwicklung in Essen allerdings noch dramatischer: 31,8 Prozent dieser Altersgruppe – 4440 kleine Essener – sind von Armut mit all ihren Folgen betroffen. Negativ getoppt wird dieser Wert nur von zwei anderen Städten: abermals Berlin (33,7 Prozent) und Duisburg (32,4 Prozent).

Dass der Report von der Vermutung ausgeht, der Armutsanstieg sei vor allem auf milde Formen der Armut zurückzuführen, da der Anteil der Hilfebedürftigen nach dem SGB II allgemein sinkt, trifft es Essen im logischen Umkehrschluss abermals besonders hart: Da die Grundsicherungs-Einkommen zumindest von Alleinerziehenden eher unter der Armutsschwelle liegen als darüber, ist ein zunehmender Hilfebezug wie in Essen für die Wissenschaftler ein mögliches Indiz für noch „tiefere Armut“.

Exponierte Position

Gestern mit den druckfrischen Erkenntnissen des Reports konfrontiert, konnte Sozialdezernent Peter Renzel zumindest eine Erklärung für die exponiert schlechte Position Essens unter den 15 untersuchten Großstädten finden.

Dass in der „Großstadt für Kinder“ der Nachwuchs besonders stark von Armut betroffen sei, lasse sich wohl am ehesten erklären durch „große Bedarfsgemeinschaften mit sechs oder sieben Kindern“, die auf staatliche Leistungen angewiesen sind, sagte Renzel. Grundsätzlich sei die dargestellte Entwicklung bekannt, sie bedürfe aber einer genaueren Untersuchung: „Ich werde das analysieren lassen.“

Wie tief die Armut ist

Trotz der soliden wirtschaftlichen Entwicklung ist die Armutsquote in Deutschland wieder angewachsen. 2011 hatten nach den neuesten Daten des Statistischen Bundesamtes aus dem Mikrozensus 15,1 Prozent der Menschen in der Bundesrepublik weniger als 60 Prozent des so genannten bedarfsgewichteten mittleren Einkommens zur Verfügung. Dieser Wert entspricht einem Monatseinkommen von 848 Euro bei einem Alleinstehenden und markiert nach gängiger wissenschaftlicher Definition die Armutsschwelle. Im Jahr 2010 lag die Armutsquote bei 14,5 Prozent.

Noch weitaus größer ist die Armutsgefährdung in Deutschlands Metropolen, zeigt die WSI-Studie. Eric Seils, Sozialexperte im WSI, und sein Co-Autor Daniel Meyer haben für die 15 größten deutschen Städte die Armuts-Daten auf Basis des Mikrozensus ausgewertet und mit den Bezugsquoten von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II (SGB II) abgeglichen. Auf diese Weise lassen sich einerseits auch Menschen in verdeckter Armut erfassen, die aus Scham oder Unwissenheit auf Sozialtransfers verzichten. Zum anderen lässt sich zumindest grob abschätzen, wie tief die Armut der Betroffenen ist.