Essen. . Das Wachstum ist ohne weitere Mittel nicht zu stemmen, so Ulrich Radtke, Rektor der Uni Duisburg-Essen im NRZ-Interview.

Ulrich Radtke hat sich angewöhnt, morgens vom Essener Hauptbahnhof zum Campus zu laufen, einmal quer durch die Innenstadt – um zu sehen, „was sich so tut“. Inzwischen kommt der Rektor der Universität Duisburg-Essen auf seinem Weg zur Arbeit auch an der Baustelle für das neue Hörsaalzentrum vorbei. Die Uni wächst. Doch der räumliche Ausbau hält längst nicht Schritt mit der Zunahme an Studenten, die die Uni Duisburg-Essen so wie viele Hochschulen im Lande derzeit erlebt. Geburtenstarke Jahrgänge, der Wegfall der Wehrpflicht und die Abschaffung der Studiengebühren sorgen schon jetzt für einen deutlich erhöhten Zulauf, 2013 kommt der doppelte Abitur-Jahrgang hinzu. Den Ansturm bewältigen und gleichzeitig das Niveau halten – geht das überhaupt? Ein Gespräch mit Ulrich Radtke.

Uni Duisburg-Essen aufgestiegen

NRZ: Herr Professor Radtke, Sie haben kürzlich gesagt, die Uni Duisburg-Essen sei von der dritten in die zweite Liga aufgestiegen. Woran machen Sie das fest?

Ulrich Radtke: Habe ich das? Ich mag diese Ligen eigentlich nicht. Eine Uni ist kein homogener Körper, der geschlossen in der ersten, zweiten oder dritten Liga spielt. Wir haben durchaus Mannschaften bei uns, die erstklassig sind.

Zum Beispiel?

Radtke: Gerade sind die Anglisten in einem Forschungsrating des Wissenschaftsrates positiv bewertet worden. Auch Physik und Mathematik stehen bestens da, in der Medizin haben wir extrem gute Leute. Ich nenne ungern nur einzelne, es gibt in jedem Bereich exzellente Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.

Mit Aufbau der Strukturen beschäftigt

Beim Exzellenz-Wettbewerb ist die Uni dennoch leer ausgegangen.

Radtke: Wir waren viel zu jung, um dabei erfolgreich zu sein. Als die Exzellenz-Initiative begann, war die Uni Duisburg-Essen gerade vier Jahre alt und mit dem Aufbau ihrer Strukturen beschäftigt. Ganz abgesehen davon hilft diese Form von Wettbewerb der deutschen Bildungslandschaft nicht weiter. Auch die so genannten Exzellenzuniversitäten bekommen schließlich nicht dauerhaft mehr Geld, um international konkurrenzfähig zu sein. Dafür zerstört man auf diese Weise das, was wir in Deutschland vorweisen können, nämlich eine große Gruppe von 40 oder 50 starken Universitäten. Sie dürfen sich nicht untereinander das Wasser abgraben.

Wollen Sie denn keinen Wettbewerb?

Radtke: Wir müssen differenzieren. Ich finde Wettbewerb zwischen Wissenschaftlern gut, von mir aus auch zwischen Fächern oder Fächergruppen, wie es zum Beispiel die Graduiertenkollegs und die Exzellenz-Cluster vorsehen. Dieser pauschale Vergleich aber, den die Exzellenz-Initiative mit ihrer dritten Profillinie forciert hat, ist nicht förderlich. Wenn die einen mehr Geld bekommen und bei den anderen wildern können, ist das fatal.

Leidet die Uni Duisburg-Essen darunter personell?

Radtke: Viele Universitäten leiden darunter. Hinzu kommt ja, dass wir im Moment sehr viel mehr Studierende haben. Zwar sind Sondermittel ins System geflossen, damit wir weitere Stellen schaffen können. Aber es wird langsam eng auf dem Markt. Die Unis, die durch die Exzellenz-Initiative Geld bekommen haben, versuchen ganz gezielt, bei anderen Hochschulen Wissenschaftler abzuwerben. Es gibt einen harten Wettbewerb um die guten Köpfe. Ich sage das ganz bewusst, auch wenn man damit schnell in die Neid-Ecke gestellt wird.

Mehr als 39.000 Studenten

Die Zahl der Studenten steigt massiv. Die Uni Duisburg-Essen hat derzeit mehr als 39.000 Studenten. Vor nur vier Jahren waren es 31.500. Ist es überhaupt möglich, ein solch sprunghaftes Wachstum gesund zu gestalten?

Radtke: Das ist eine erhebliche Herausforderung. Personal ist dabei das eine Problem, das andere sind die Räumlichkeiten. Wir haben viele Flächen angemietet, darunter die Kinosäle am Berliner Platz. Trotzdem werden alle noch ein bisschen enger zusammenrücken müssen. Die Schätzungen der Politik zur Entwicklung der Erstsemesterzahlen waren viel zu niedrig, und die zusätzlichen Studienplätze sind einfach nicht ausfinanziert. Wir bekommen 6.000 Euro pro zusätzlichem Student, das ist aber nicht das, was der Student uns „kostet“. Es fehlt definitiv Geld.

Wie viel?

Radtke: Etwa 80 Millionen Euro bis 2015. Bundesweit sind es laut Hochschulrektorenkonferenz sechs Milliarden. Und die Zahl der Studierenden wird so bald nicht wieder abnehmen. Mehr als die Hälfte eines Jahrgangs hat heute die Hochschulzugangsberechtigung. Da muss man sich überlegen: Will man die jungen Leute genau so gut und intensiv ausbilden wie früher? Das ist die Entscheidung, die die Gesellschaft nun treffen muss.

Planungssicherheit wird gebraucht 

Klingt da ein Plädoyer für die Wiedereinführung von Studiengebühren an?

Radtke: Es ist – wie gesagt – eine gesellschaftliche Frage, ob man das in die individuelle Verantwortung oder in die Verantwortung der Allgemeinheit legt. Für beides gibt es gute Argumente. Eine Meister-Ausbildung oder die Kindergartengebühren muss ich auch selbst bezahlen. Andererseits könnte man sagen: Wir möchten vielen jungen Leuten ein Studium ermöglichen, und da sind Studienbeiträge schädlich. Ich will das nicht bewerten. Was wir als Universitäten nicht gut finden, ist dieses Hin und Her. Wir brauchen Planungssicherheit.

Neben Geld vom Staat und gegebenenfalls Studiengebühren gibt es noch die Drittmittel. Der Deutsche Fundraising-Verband hat Sie gerade als ersten Hochschulrektor zum „Fundraiser of the year“ gewählt. Für einen Wissenschaftler eine ungetrübte Freude?

Radtke: Ich weiß nicht, warum Drittmittel in der Wahrnehmung oft so negativ belegt sind. Wir spielen bei der Einwerbung in der ersten Liga, und das finde ich gut. Drittmittel sind im Wesentlichen Personalmittel für Nachwuchswissenschaftler. Ein Großteil wird durch öffentliche Einrichtungen vergeben, sei es die Deutsche Forschungsgemeinschaft oder die Europäische Union, das sind demokratische Organisationen. Auch die Kooperationen, die wir mit der Industrie haben, nehmen uns nichts von unserer wissenschaftlichen Freiheit. Diese Kontakte sind sinnvoll, denn unsere Studenten müssen später irgendwo arbeiten.

Mehr Mittel fürs Personal – trotzdem ist die Zahl der befristeten Arbeitsverträge an den Unis in NRW zuletzt gestiegen.

Radtke: Wir werden da von der Politik gescholten für etwas, was sie uns andererseits nicht ermöglicht. Ich setze mich ja dafür ein, dass Wissenschaftler nicht in wirtschaftlich prekären Verhältnissen forschen und lehren müssen, sondern auf ordentlichen Stellen. Mit den Sondermitteln des Landes für den Ausbau der Universitäten dürfen wir aber nur befristet einstellen, obwohl das eine langfristige Aufgabe werden wird. Die Politik soll endlich Farbe bekennen und uns die entsprechenden Gelder dauerhaft geben, nicht immer nur projektbezogen.

Medienturm als "Tor zur Stadt"

Geld gab’s immerhin für das neue Hörsaalzentrum. Die Pläne für den Medienturm, der einmal das „Tor zur Stadt“ bilden soll, liegen dagegen auf Eis. Wie zuversichtlich sind Sie, dass aus dem Törchen Hörsaalzentrum noch ein richtiges Tor wird?

Radtke: Das Hörsaalzentrum kann das Tor sein. Es wird jeden Tag von vielen Tausenden genutzt werden. Wir haben uns sehr dafür stark gemacht, dass es an diese Stelle kommt und nicht auf den Parkplatz am anderen Ende des Campus. Es liegt jetzt in den Händen der Stadt und zum Beispiel der Gastronomie, die vielen Studierenden, die dort unterwegs sind, auf sich aufmerksam zu machen.

Haben Sie den Medienturm aufgegeben?

Radtke: Wir setzen uns weiterhin für ein Bibliotheks- und Medienzentrum ein. Die alte Bibliothek am Campus Essen ist weder einladend noch für die Zukunft ausgerichtet. Man braucht ein Kommunikationszentrum, in dem wesentlich mehr Studierende als bisher auf alle Medien zugreifen, sich mit der Welt und untereinander vernetzen können. Ob das Realität wird, hängt wie so vieles im Moment von den Landesfinanzen ab und davon, welche Prioritäten gesetzt werden.