Essen. . Der Sicherheitszaun um den Buchenwald im Kamptal in Schönebeck wird vorerst nicht gebaut. Das bestätigte der städtische Grün und Gruga-Betrieb. Ein aktuelles Grundsatzurteil des Bundesgerichtshof stellt die Notwendigkeit der 90 000-Euro-Investition stark in Frage.
Vor Gericht und auf hoher See sind wir in Gottes Hand. Künftig auch wieder im Wald, möchte man hinzufügen. Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe jedenfalls urteilte Anfang dieses Monats, dass die Benutzung des Waldes auf eigene Gefahr geschieht. „Dem Waldbesitzer, der das Betreten des Waldes dulden muss, sollen dadurch keine besonderen Sorgfalts- und Verkehrssicherungspflichten erwachsen. Er haftet deshalb nicht für waldtypische Gefahren“, heißt es weiter.
Die Gefahr eines Astabbruchs sei grundsätzlich „eine waldtypische Gefahr“. (Az. VI ZR 311/11) Damit kassierte der BGH ein bundesweit beachtetes Urteil des Saarbrücker Oberlandesgerichtes vom November 2011 wieder ein, das einer Spaziergängerin, die im Wald unvermittelt von einem Eichenast getroffen und schwer verletzt worden war, Schmerzensgeld zugesprochen hatte – und das beinahe bis hinein ins wunderschöne Schönebecker Kamptal fatal gewirkt hätte.
Kosten von 90.000 Euro
Denn die Saarbrücker OLG-Richter hatten die waldtypischen Gefahren gänzlich anders beurteilt. Deshalb sah die Stadt Essen im Frühjahr nach reiflicher juristischer Prüfung keine andere Möglichkeit, als der Politik einen gut 90.000 Euro teuren, rund 540 Meter langen, mindestens zwei Meter hohen, stabilen Schutzzaun für das kleine Buchenwäldchen im Kamptal vorzuschlagen. Die Stadt sei hier in der Verkehrssicherungspflicht, die Kommune hafte für den Schaden, unabhängig davon, ob Schilder auf die Gefahr hinweisen, argumentierte Grün und Gruga. Denn gerade diese 40 Buchen neigten zum plötzlichen Astbruch, gefährdeten damit Spaziergänger, spielende Kinder, Dirtbiker.
Und jetzt? „Wir haben erst einmal alle Ausschreibungen und Aufträge gestoppt, es wird im Buchenwäldchen kein Zaun gezogen, bevor wir die neue rechtliche Lage nicht intensiv geprüft haben“, erklärte Essens Umweltdezernentin Simone Raskob. Der „Baustopp“ gelte im übrigen auch für die geplanten Grundstückskäufe am Zaunrand. Das allein hätte rund 60.000 Euro ausgemacht. Geld, das dem Naturschutzfond der Stadt erhalten bleibt und nun andernorts im Grünbereich für sinnvollere Sonderprojekte eingesetzt werden kann.
Sorge um Zukunft der Buchen
Wann die neue Beurteilung waldtypischer Gefahren seitens des Rechtsamtes vorliegen wird, dazu gab es gestern im Rathaus nur Schulterzucken: Karlsruhe hat der Stadt in einem kurzen Fax lediglich mitgeteilt, dass es über die Presseerklärung hinaus „keine weiteren verfügbaren Informationen“ gibt: „Wann die Entscheidung genau fertig gestellt sein wird, lässt sich leider nicht sagen.“ Von weiteren An- oder Rückfragen sei abzusehen, bis die schriftliche Begründung vorliege. Ob die Stadt also auf den Zaunbau tatsächlich verzichten kann, steht zwar noch nicht endgültig fest, „aber danach sieht es doch sehr aus“, meint jedenfalls der Schönebecker CDU-Ortsverbandsvorsitzende Klaus Diekmann. „Ehrlich, das Urteil hat mich vom Stuhl gehauen. Aber wenn es so ist, werde ich auch ganz klar sagen, dass wir keinen Zaun bauen. Da stehen wir zu unserer Verantwortung.“
Immerhin hatte Diekmann den Zaun auf zwei Bürgerversammlungen vehement verteidigt, auch um den Schutz des im Ruhrgebiet einzigartigen Naturraums in der Schönebecker Schweiz sicherzustellen. Eine Gutachterin und die städtischen Waldexperten hatten darauf immer wieder hingewiesen: „Sonst wird der Buchenbestand im Kamptal nicht zu retten sein.“ Dass der Zaun aber vor allem uneinsichtige Dirtbiker oder Spaziergänger vor den bedrohten Buchen schützen sollte, hatte Diekmann wie viele in Schönebeck am gesunden Menschenverstand verzweifeln lassen.
Schutz muss auf anderem Weg gewährleistet werden
Allerdings auch an der richterlichen Urteilsfindung in Saarbrücken: „Das BGH-Urteil jedenfalls ist mehr als nachvollziehbar, und ich bin froh, dass die Richter ein realitätsnahes Urteil getroffen haben“, kommt auch Rolf Fliß, umweltpolitischer Sprecher der Grünen, zu einem neuen Lagebild: „Natürlich wird der Zaun jetzt erstmal nicht gebaut. Die Beschlüsse werden wir alle wieder einkassieren und sobald die Rechtslage klar ist, neu nachdenken und entscheiden.“ Bereits auf der nächsten Sitzung des zuständigen Umweltausschusses am 6. November will Fliß das Thema ansprechen.
Der Schutz des Buchenwäldchens, da sind sich alle einig, müsse nun eben wieder auf klassischem Wege erfolgen: durch Schilder, Hecken, verstärkte Kontrollen. Und letztendlich müsse natürlich jeder selber entscheiden, ob er sich den „waldtypischen Gefahren“ aussetzt. Wie das eben so ist, im Wald, vor Gericht und auf hoher See.