Essen. Rund 300 zumeist gesunde Pappeln will die Stadt Essen fällen lassen. Es hagelt Kritik, aber Grün und Gruga fühlt sich bestätigt: Ein großer Ast ist erst kürzlich auf ein einen vorbeifahrenden Wagen gestürzt. Die beiden Insassen wurden dabei verletzt.
Die Stadt will an ihrer Absicht festhalten, rund 300 in der Regel gesunde Hybrid-Pappeln im Stadtgebiet zu fällen. In ihrer Haltung sieht sich Grün und Gruga vor allem auch durch einen Unfall an der Twentmannstraße in Altenessen bestätigt: Am vergangenen Freitag brach dort in Höhe der Zeche Helene ansatzlos ein großer Pappel-Ast ab und traf einen vorbeifahrenden Wagen. Die beiden Insassen wurden dabei verletzt, wie schwer, dazu konnten gestern weder Polizei noch Feuerwehr nähere Angaben machen. Pkw-Fahrer und Beifahrer seien jedoch erst einmal in ein Krankenhaus gebracht worden. „Uns wird übertriebenes Sicherheitsdenken vorgeworfen“, sagte Berndt Schmidt-Knop, zweiter Betriebsleiter bei Grün und Gruga, „das ist eindeutig nicht der Fall“. Bei den Pappeln, die gefällt werden sollen, handelt es sich ausschließlich um über 40 Jahre alte Hybridpappeln, die, äußerlich gesund, ansatzlos zum Grünastbruch neigen. Dies zeige leider auch der Unfall in Altenessen. „Wir wollen diese Bäume nur in sicherheitsrelevanten Bereichen entfernen.“
Alles andere als die Baumfällmeister
300 Pappeln fällen? Da hört für viele der Spaß auf, da mangelt es nicht an Kritik: Wo andere Städte mit Gelassenheit reagierten, greife Essen zur Axt. Die Forstabteilung bestehe aus „Baumfällmeistern“, zur Hysterie neigend. Dazu die Vorwürfe, mit dem Holz schnelle Kasse zu machen, an derlei Unterstellungen und Beschimpfungen mangelt es in den Internet-Foren nicht. Selbst in den Bezirksvertretungen gab es böse Worte. Irgendwann reicht’s. Andererseits: Vielleicht hätte Grün und Gruga eine gezielte Information der Öffentlichkeit im Vorfeld geholfen, manchen Ärger zu vermeiden. Im Umweltausschuss nutzten gestern jedenfalls Berndt Schmidt-Knop, zweiter Betriebsleiter von Grün und Gruga, und Roland Haering, Leiter der zuständigen Fachabteilung Waldungen und Baumpflege, die Chance, den Ratsfraktionen detailliert die Entscheidungsprozesse zu erläutern.
Holzschuhe für die Fabriken
Zum Beispiel die grundsätzlichen Probleme mit der Hybridpappel, „die heute kein Menschen mehr als Straßenbaum pflanzen würde“, wie Roland Haering erklärte. Nach dem Krieg sei auf die Pappel als schnell wachsender Baum gesetzt worden, zum einen, um den nahezu baumlosen Städten wenigstens wieder etwas Grün zu verleihen, zum anderen, weil aus dem Pappelholz feuerfeste Holzschuhe für die Fabriken hergestellt wurden, „deshalb stehen am Niederrhein auch so viele Pappeln“. Eine „Verkehrsgefährdung“ kannte die Rechtssprechung damals noch nicht – schon gar nicht in den heutigen Dimensionen.
Und keinesfalls mit den Folgen, für die das Urteil des Saarbrücker Oberlandesgerichts aus dem Jahre 2010 verantwortlich zeichnet. Das stellte jedenfalls die Hybridpappel unter den Generalverdacht, auch in gesundem Zustand, ansatzlos, ohne Windeinwirkung, zum Astbruch zu neigen. „Dieses Urteil hat in die Haftungsfrage eine ganz neue Qualität gebracht“, sagte Roland Haering. Bisher galt sie nur für sichtbar erkrankte Bäume, beispielsweise für die von Massaria befallenen Platanen oder die Rosskastanien.
Die Fällaktionen erklären
Ab 2011, als die ersten Kommentare zum OLG-Urteil vorlagen, habe sich Grün und Gruga mit der Materie auseinander gesetzt, das Gespräch mit dem kommunalen Rückversicherer gesucht, das Rechtsamt und die Kanzlei Heinemann & Partner eingeschaltet. Aus deren fachlicher Beurteilung habe man schließlich das Handlungskonzept entwickelt, Hybridpappeln ab einem Alter von 40 Jahren in sicherheitsrelevanten Bereichen von Kitas, Schulen, Kindergärten, an Spielplätzen, aber auch an Rad- und Fußwegen zu entfernen. Dies habe die Stadt bundesweit in die Diskussion nach dem OLG-Urteil eingespeist, dabei sei die Essener Linie als „Richtschnur“ anerkannt worden. Um wirklich sicher zu gehen, schaltete Grün und Gruga im Juni noch einmal einen Sachverständigen ein, der das geplante Vorgehen bestätigte. Von 1100 Pappeln in den nun ausgewählten Bereichen habe man sich bei rund 280 zur Fällung entschieden. „Wir haben uns bei einzelnen Bäumen darauf beschränkt, die Äste zum Weg hin abzuschneiden. Dies alles sei für Grün und Gruga mit einem hohen Aufwand verbunden: „Wir machen es uns nicht leicht.“ Bei den Platanen beispielsweise habe man vor den baumpflegerischen Arbeiten ebenfalls noch einmal einen Gutachter eingeschaltet: „Der dann feststellte, dass nicht 75 sondern 95 Prozent aller Bäume befallen seien.“
Gleichwohl will Berndt Schmidt-Knop, auch um die Wogen weiter zu glätten, verstärkt die Fällaktionen erklären: Möglichst zeitnah soll das Gespräch mit den Naturschutzverbänden gesucht werden. Nur wird es an der eingeschlagenen Linie keine Veränderungen geben: „Wir müssen handeln, eine andere Chance lässt uns das Saarbrücker Urteil nicht.“ Ob es bei den 300 Pappeln bleibt – selbst das ist nicht gewiss: „Wir werden uns alle Bereiche anschauen, in denen wir Hybridpappeln stehen haben.“
Immerhin: Die Ratsfraktionen im Umweltausschuss lobten das Vorgehen von Grün und Gruga. CDU, SPD, Grüne und EBB sprachen von einem „verantwortungsvollen und besonnenen Vorgehen“. Allerdings kam im Ausschuss auch die Frage auf, welche Art überhaupt noch als Straßenbaum geeignet sei. „Die Pappel“, sagte Roland Haering, „jedenfalls nicht“.