Essen. Eigentlich wollte der Auszubildende nur eine Lehre beginnen, um aus Hartz IV herauszukommen. Doch als er sein kleines Lehrgeld noch mit staatlicher Unterstützung aufbessern wollte, geriet er in einen Zuständigkeitsstreit zwischen Arbeitsagentur und Jobcenter. Die WAZ half.

Manuela Jahnke sitzt vor einem Haufen voller Briefe, Bescheide und Anträge. „Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll“. Tränen der Hilflosigkeit und der Wut steigen in ihr auf. Seit Wochen führt sie für ihren Sohn Thomas einen Kampf mit Jobcenter und Arbeitsagentur in Essen. Sie wurde hin und her geschickt. Wer nun für den Fall ihres Sohnes zuständig ist? Sie weiß es nicht.

Thomas war bis Ende Juli arbeitslos, bekam Hartz IV. Nach einer Bäckerlehre wurde er nicht übernommen, lebte seit fast sechs Jahren von Arbeitslosengeld II. Obwohl zwar Bäcker gesucht werden, erhielt er auf seine Bewerbungen Absagen. Ihm blieben Ein-Euro-Jobs oder Trainingsmaßnahmen, die das Jobcenter vermittelte.

Seit Lehrbeginn völlig mittellos

Doch Thomas wollte raus aus der Hartz-IV-Laufbahn. Er suchte sich auf eigene Faust eine neue Lehrstelle. Mit Erfolg: Seit 1. August hat er einen Ausbildungsplatz als Lagerlogistiker. Die Arbeit macht ihm Spaß. „Danach hat er auch gute Chancen, übernommen zu werden“, glaubt seine Mutter.

Doch seit Lehrbeginn ist Thomas völlig mittellos. Das erste Lehrlingsgeld kommt erst Ende des Monats oder Anfang September. Doch die 690 Euro brutto, die er nun verdient, reichen ohnehin nicht. Allein für die Miete zahlt der 26-Jährige fast 300 Euro, dazu kommen Strom, Fahrkosten zur Schule.

„Davon kann man doch nicht leben“, klagt Manuela Jahnke, die ihren Sohn zwar gerne unterstützen würde, es selbst aber nicht kann, beteuert sie. Als er noch Hartz IV bekam, hatte Thomas zumindest 800 Euro pro Monat, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.

Kein Hartz IV und keine Beihilfe 

Das Jobcenter stellte jedoch mit Beginn der Lehre die Hartz-IV-Zahlungen ein. Ein Antrag auf Weiterbewilligung wurde abgelehnt. Stattdessen verwies das Jobcenter Thomas an die Arbeitsagentur. Die sei nun für ihn zuständig. Um sein Lehrlingsgeld aufzubessern, könne er Berufsausbildungsbeihilfe beantragen, riet man ihm.

8 Jahre "Weg mit Hartz IV"

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Doch die Arbeitsagentur Essen lehnte die Berufsausbildungsbeihilfe ab. Begründung: „Die Förderung der 2. Ausbildung ist nicht möglich, weil eine Eingliederung im Erstberuf noch möglich ist.“ Manuela Jahnke fiel aus allen Wolken. Schließlich hatte das Jobcenter der Agentur per Schreiben bestätigt, dass alle bisherigen Vermittlungsbemühungen erfolglos geblieben sind, und dass man die Integrationschancen nach erfolgreicher Ausbildung als positiv bewerte. Und nun? „Eine Behörde verweist auf die andere, und mein Sohn weiß nicht, wovon er leben soll“, schimpft sie. „Muss er am Ende seine Lehre wieder abbrechen und am besten wieder von Hartz IV leben? Das kann doch nicht sein!“

WAZ schaltet sich ein

Als sich die WAZ-Redaktion in den Fall einschaltet, geht es schnell: Die Arbeitsagentur Essen bleibt zwar dabei: Berufsausbildungsbeihilfe bekommt Thomas nicht. „Das ist eine Ermessensleistung, und wir müssen hier nach Gesetz entscheiden“, unterstreicht Sprecherin Katja Hübner. Derzeit gebe es 50 offene Bäckerstellen in und um Essen, deshalb seien grundsätzlich die Vermittlungschancen gut, heißt es. Allerdings, so betont Hübner, könne Thomas sein Lehrlingsgeld mit Hartz IV aufstocken. Das Jobcenter Essen habe signalisiert, dass die Chancen dafür „sehr gut“ stünden. Die Bearbeitung soll deshalb nun schnell und unbürokratisch laufen.

Warum Thomas und seine Mutter sich erst im Zuständigkeitsdschungel verirren mussten? Katja Hübner räumt ein, dass die Zusammenarbeit zwischen Agentur und Jobcenter noch nicht reibungslos laufe, seit das Jobcenter unter der Regie der Stadt läuft. „Für den jungen Mann tut uns das natürlich leid.“

Hartz IV - Fluch oder Segen?

"Hartz IV bedeutet für mich, kein Brot Zuhause zu haben - und keins kaufen zu können." Chris, Hartz IV-Empfänger © JSR
"Hartz IV bedeutet für mich, sechs Jahre lang kein Kino mehr von innen gesehen zu haben." Clarissa, Hartz IV-Empfängerin © JSR
"Hartz IV bedeutet für mich, dass ich Zuhause bei meinem Baby bleiben kann." Maria da Silva, Hartz IV-Empfängerin © JSR
"Hartz IV bedeutet für mich, von einer Ecke zu anderen geschickt werden, immer hin und her, von einem Jobcenter zum nächsten. Keiner fühlt sich zuständig." Mandy, Hartz IV-Empfängerin © JSR
"Hartz IV bedeutet für mich, seit zwei Jahren an Ort und Stelle zu hocken. Denn Geld für den Urlaub ist nicht drin." Tina, Hartz-IV Empfängerin © JSR
"Hartz IV bedeutet für meinen Vater, dass er jeden Job annehmen muss, den er kriegen kann - sonst kürzt man ihm die Leistungen." Marcel, Sohn eines Hartz IV-Empfängers © JSR
"Hartz IV bedeutet für meine Frau, meine vier Kinder und mich, dass schon am 6. eines Monats kein Geld mehr da ist." Hassan Ebrahim, Hartz IV-Empfänger © JSR
"Hartz IV bedeutet für meinen Sohn Jason und mich, dass wir seit zwei Jahren Straßenbahn fahren müssen. Ein Auto können wir uns vom Regelsatz nicht leisten." Mike Herlitz, Hartz IV-Empfänger © JSR
"Hartz IV bedeutet für mich, dass ich seit vier Jahren nicht mehr shoppen war. Ich trage mit 49 Jahren noch immer die Sachen von meinen Geschwistern auf." Sonja Beckmann, Hartz IV-Empfängerin © JSR
"Hartz IV bedeutet für mich, dass ich meinem Baby Taylor gebrauchte Anziehsachen kaufen muss. Auch Schwimmen wäre mal wieder schön. Ich kann mich kaum noch daran erinnern, wie es ist, ins Wasser zu springen." Jasmin Kettlitz, Hartz IV-Empfängerin © JSR
"Hartz IV bedeutet für mich, dass ich für eine Waschmaschine betteln muss. So etwas braucht man doch mit Baby. Es ist erniedrigend." Samia, Hartz IV-Empfängerin © JSR
"Hartz IV bedeutet für mich, dass wir uns die Geburtstagsparties für unsere beiden Töchter vom Munde absparen müssen." Dirk Grigoleit, Hartz IV-Empfänger © JSR
"Arbeitslosengeld II bedeutet für mich, regelmäßig zur Essener "Tafel" zu gehen. Dabei gehe ich sogar arbeiten - doch es reicht einfach nicht." © JSR
"Hartz IV bedeutet für mich nur einmal im Jahr zum Friseur zu gehen. Das letzte Mal war ich im Dezember - ein Weihnachtsgeschenk." Heike, Hartz IV-Empfängerin © JSR
"Hartz IV bedeutet für mich, sich den neuen Fahrradschlauch zusammen zu sparen. Und so lange muss man halt laufen, denn öffentliche Verkehrsmittel: viel zu teuer." Frank Neuhaus, Hartz IV-Empfänger © JSR
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