Essen. . Es hat einen Zweck: „Hartz IV, das muss weg“, singen die Montagsdemonstranten auch in Essen nun schon im 8. Jahr. An jedem Montag formiert sich ein buntes Bündnis an der Porschekanzel. An diesem Montag folgt die 399. Auflage. Das Kabinett ist gewechselt, Hartz IV ist geblieben, die Montagsdemo bleibt nimmermüd.

Teilnahmslos wirkt Alfred Krupp auf seinem Sockel vor der Marktkirche, den Blick von dem bunten Trüppchen zu seinem Füßen hat er leicht abgewandt. Irgendwann zwischen der Wutrede der als „Oma von Katernberg“ angekündigten Margret Rabe, die „Unser Kampf geht weiter“ ins Mikrofon schmettert, und Straßensänger Daniel, der John Lennons „Imagine“ oder Tracy Chapmans „Talkin’ Bout a Revolution“ intoniert, tritt der Frauenverband Courage zum Geburtstagsständchen an: Ein Kinderlied von Rolf Zuckowski ist die Vorlage, den Text haben die Frauen abgewandelt: „Montag, Montag, Montag, das ist nicht egal, denn wir sind ja jetzt schon in dem 8. Jahr.“ Die 398. Montagsdemo ist am vergangenen Montag über die Bühne gegangen. An diesem Montag folgt die 399. Und die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass auch die 400. nicht die letzte sein wird. Kein Ende in Sicht.

Das Kabinett ist gewechselt

Miriam Urbat ist die Sprecherin der Essener Montagsdemonstration.
Miriam Urbat ist die Sprecherin der Essener Montagsdemonstration. © WAZ FotoPool

Miriam Urbat, die Sprecherin der Essener Montagsdemo, steht seit acht Jahren bei Wind und Wetter, außer an hohen Feiertagen, auf der Porschekanzel am Fuß der Marktkirche in der Innenstadt. Die Sachbearbeiterin hat den Protest 2004 mit ins Leben gerufen. Auch acht Jahre später wettert Urbat noch gegen die „Zerschlagung des Sozialversicherungssystems“ und klagt: „Das Lohnniveau ist so gering geworden, dass Millionen Menschen nicht mehr von ihrem Einkommen leben können.“ Urbat erinnert sich an die Anfänge der Demo: „Hier waren 1000 Menschen versammelt.“ „Es hat keinen Zweck. Hartz IV, das muss weg, und mit ihm das Berliner Kabinett“, haben sie gesungen. Sie singen es noch. Das Kabinett ist gewechselt, Hartz IV ist geblieben, die Montagsdemo hält stand.

Muffins zum Geburtstag

„Die Montagsdemonstration hat viel zur Aufklärung beigetragen. Es ist eine Gegenöffentlichkeit entstanden. Wir sind stolz darauf, dass wir es nicht eingestellt haben und ich glaube: Irgendwann werden auch wieder mehr Leute kommen.“ - Hannes Mast.
„Die Montagsdemonstration hat viel zur Aufklärung beigetragen. Es ist eine Gegenöffentlichkeit entstanden. Wir sind stolz darauf, dass wir es nicht eingestellt haben und ich glaube: Irgendwann werden auch wieder mehr Leute kommen.“ - Hannes Mast. © WAZ FotoPool

Wo einst 1000 Menschen standen, stehen heute 30 bis 40. „Es konnte keine Massenbewegung bleiben“, sagt Miriam Urbat. Zum achten Geburtstag gibt es Muffins und Streuselkuchen, Frikadellen und Gürkchen. „Weltweit für eine lebenswerte Zukunft“ ist das Motto der 398. Auflage. Die Demonstranten bilden einen fast geschlossenen Kreis. Kaum ein Passant hält inne. „Die Menschen finden die Montagsdemo gut“, glaubt Urbat. Die Essener nehmen sie aber nur wahr, wenn es zwischendurch etwas lauter unter der Marktkirche wird. Die Begrüßungsansprache hält Urbat selbst: „Werden wir die 1000 noch voll machen, bis die Hartz-Gesetze weg sind?“, fragt sie rhetorisch und liefert die Antwort gleich nach: „Hellseher sind wir nicht, aber unermüdliche Kämpfer.“

Missstände gibt es genug

„Soziale Ungerechtigkeit kann jeden treffen. Ich finde es wichtig, dass wir schon als Jugendliche lernen, gemeinsam für eine bessere Welt zu kämpfen und unseren Beitrag dafür zu leisten.“ - Gitta Wester.
„Soziale Ungerechtigkeit kann jeden treffen. Ich finde es wichtig, dass wir schon als Jugendliche lernen, gemeinsam für eine bessere Welt zu kämpfen und unseren Beitrag dafür zu leisten.“ - Gitta Wester. © WAZ FotoPool

In den Reden am offenen Mikrofon geht es um konkrete Schicksale wie das der in Essen gestrandeten polnischen Bauarbeiter, die über Wochen auf ihren Lohn gewartet haben. Oder um die von einer Abschiebung bedrohte Nicole Semek. Und es geht immer auch um das große Ganze: gegen Atomkraft, für Demokratie, gegen Hartz IV in Deutschland, gegen Hinrichtungen im Iran, für einen gesetzlichen Mindestlohn von mindestens zehn Euro, für Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich. Im lauen Wind weht die Fahne der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands, daneben die des Bündnisses „Essen steht auf“. Für Demokratie und Freiheit. Gegen Sozialabbau in Deutschland, für den Frieden auf der Erde und die Rettung der Umwelt. Missstände auf der Welt gibt es genug. „Ich brauche mich nicht groß zu motivieren“, sagt Bodo Urbat am Rande, der Mann der Sprecherin. „Wir sind das soziale Gewissen dieser Republik“, sagt Roland Meister in seiner Rede am offenen Mikro.

Auf nach Berlin

Sie ziehen nur noch selten durch die Straßen, wenn das Mikro nach einer guten Stunde geschlossen wird, je nachdem wie viele Teilnehmer sich gerade eingefunden haben. Am Montag zerstreuen sie sich und geben den Platz wieder frei. Ein Koordinierungskreis der Montagsdemonstranten ermittelt noch das Motto für die 399. Auflage am 20. August um 18 Uhr an der Porschekanzel: „Auf nach Berlin - 100 Gründe für die Demonstration gegen die Politik der Regierung“. Es soll für die große Herbstdemonstration am 6. Oktober in Berlin mobilisiert werden. Vor der Marktkirche mobilisiert sich die Gruppe selbst. Das Ständchen des Courage-Trüppchens hallt nach: „Heute kann es regnen, stürmen oder schneien, doch wir werden wieder auf der Straße sein.“ Bald hat an diesem Tag Alfred Krupp auf seinem Sockel den Platz vor seinen Füßen wieder für sich. Bis zum nächsten Montag.

8 Jahre "Weg mit Hartz IV"

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