Essen. Heute ist Welt-Aids-Tag. In NRW sind 17 500 Menschen mit dem Virus infiziert. Christiane lebt seit 23 Jahren mit der Immunschwäche - eine lebenbejahende Frau. Angesteckt hat sie sich in ihrer Jugend bei einem, mit dem sie die Heroin-Spritze teilte.

„Schatz, wir schaffen das schon.“ Nächtelang hatte Christiane* schlaflos in ihrem Bett gelegen, die Zimmerdecke angestarrt. Wie sagt man dem Mann, den man liebt, mit dem man für immer zusammen sein möchte, dass man HIV-positiv ist? „Am Morgen nach meinem 31. Geburtstag haben wir im Garten meiner Eltern die Reste der Party weggeräumt. Da habe ich es ihm gesagt. Einfach gerade raus. Ich habe HIV.“ Und er? Er hat sie in den Arm genommen, gesagt: „Schatz, wir schaffen das schon.“ Ihre Mutter stand am Fenster und hat geweint.

Tochter ist nicht mit Virus infiziert

Seit zwölf Jahren sind Christiane und ihr Mann heute verheiratet, sie haben eine Tochter, die nicht mit dem HI-Virus infiziert ist, einen alten Hund mit Hüftleiden und ihr eigenes kleines Haus mit Garten. Im Kamin knistert leise das Feuer. „Spießer hätte ich früher zu diesem Leben gesagt“, sagt die heute 47-Jährige, eine lebensbejahende, fröhliche Frau, die einen sofort duzen möchte.

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Früher. Früher hatte Christiane mitgemacht, als sich ihre Freunde Heroin spritzten. Sie kam aus einem guten Elternhaus, hatte zwei Ausbildungen abgeschlossen, eine eigene Wohnung. Als sie ihren Job verlor, eine Maßnahme vom Arbeitsamt im Nichts endete, da war da dieser Typ, diese Droge, die sie „ganz leicht“ machte. „Ich sank ganz nach unten.“

Für zehn Monate ins Gefängnis

Weit nach unten: Sie stahl Klamotten, um ihre Sucht zu finanzieren, verkaufte die Sachen an Prostituierte, kam deshalb mit Mitte 20 für zehn Monate ins Gefängnis. Sie machte mehrere Entgiftungen mit, hat „versehentlich“, wie sie sagt, einmal überdosiert und kam ins Krankenhaus. Dort untersuchte man ihr Blut - die Diagnose: „HIV-positiv.“

Angesteckt habe sie sich bei einem, mit dem sie die Spritze teilte. „Ich wollte mit meinem Leben Schluss machen. In der Szene hieß es, wenn dich die Seuche erwischt, setz dir den goldenen Schuss.“ Doch dann stand ihr Bruder vor ihrem Krankenbett, auch die Eltern sprachen ihr gut zu: Es muss weiter gehen.

18 Monate kalter Entzug

Einen 18 Monate langen kalten Entzug hat sie nach einigen Rückschlägen hinter sich bringen können. Von heute auf morgen keine Drogen mehr genommen. Stattdessen jeden Tag 16 Pillen, dreimal täglich vier Stück, um die HI-Viren im Blut einzudämmen. „Die Nebenwirkungen waren enorm, Durchfall, Schwindel, ich fühlte mich hundeelend. Dass ich 23 Jahre mit dieser Krankheit leben würde, hätte ich damals nicht gedacht.“

Heute sind es drei Tabletten am Abend, die sie nehmen muss, ihre Blutwerte seien sehr gut, der Virus eingedämmt, aber eben unheilbar da. Und die Medikamente, die sie am Leben erhalten, schädigen ihren Körper zunehmend. Die Muskeln an Beinen und Armen bilden sich zurück, so dass sie kaum noch Schweres heben könne. Dreimal in der Woche geht sie zum Sport, hält sich fit. Trotzdem werde sie manchmal krank, ist schwerbehindert. Arbeiten kann sie nicht. „HIV schwächt das Immunsystem, viele von uns sterben an Krebs oder einer Lungenentzündung.“

"Meine Eltern waren immer für mich da"

Mit ihrer Erkrankung gehe sie zwar offen um, Freunde und Familie wissen Bescheid. „Meine Eltern waren immer für mich da.“ Ihr Vater sei einmal zum Frühstücken ins „Café“ der Essener Aidshilfe gekommen, für die sich Christiane seit einigen Jahren ehrenamtlich engagiert, auch an Tagungen teilnimmt. „Mein Vater hat auf den Tisch geklopft und sich vorgestellt. Ich war so stolz auf ihn.“

Ihre Eltern wolle sie aber auch schützen, spricht deshalb nur anonym über ihre Infektion. „Es gibt so viele Vorurteile. Viele glauben, dass man mit einem Händedruck HIV bekommt, die meisten setzen HIV und Aids gleich.“ Kaum einer würde sich über den Virus informieren; Diskriminierung sei vielmehr an der Tagesordnung. Beim Arzt, der einen zuletzt ins Behandlungszimmer ruft, beim Arbeitgeber, der niemanden einstellen will, der lange krank sein könnte.

Vorurteile waren sofort da

Von Mobbing berichtet die Aidshilfe, von unrechtmäßigen Kündigungen. Als Christiane mit ihrer heute zwölfjährigen Tochter schwanger wurde, waren die Vorurteile sofort da: „Das war schon nicht einfach.“ Natürlich habe sie mit Kondom mit ihrem Mann geschlafen, sich mit Hilfsmitteln vielmehr „selbst befruchtet, hausgemacht“, wie Christiane offen sagt. Das Risiko, ihre Tochter zu infizieren, habe auch nicht bestanden. „Ich habe Medikamente genommen, meine Tochter auch. Sie ist per Kaiserschnitt zur Welt gekommen, gestillt habe ich nicht.“

Als ihre Tochter in den Kindergarten kam, habe sie gewusst: „Ich muss noch ein paar Jahre leben.“ Fünfjahres-Schritte setze sie sich; wenn ihre Tochter auszieht, möchte sie ihr bei der Wohnungssuche helfen. „Über mein Leben könnte man ein Buch schreiben“, sagt Christiane. Eine lange Geschichte - die noch viele Kapitel haben soll.

* Name geändert