Essen. Wegen Arbeiten an der Brücke über den Rhein-Herne-Kanal sollte die Autobahn nur wenige Tage gesperrt werden. Wie daraus Monate werden konnten.

Seit fast drei Monaten ist die A42 zwischen der Anschlussstelle Bottrop-Süd und dem Autobahnkreuz Essen-Nord nun schon gesperrt. Stau ist seitdem an der Tagesordnung auf den Umleitungsstrecken und auf vielen anderen Straßen. Die Nerven liegen blank bei all jenen, die sonst über die Autobahn fahren und bei Anwohnern, die noch mehr Lärm und Abgasen ausgesetzt sind als sonst. Wie konnte es so weit kommen? Was genau ist geschehen? Eine Chronologie der Ereignisse:

Als die für die A42 zuständige Autobahn GmbH Westfalen Anfang Dezember vergangenen Jahres mitteilt, dass die Autobahn aufgrund von „Ertüchtigungsarbeiten“ an der Brücke über den Rhein-Herne-Kanal vorübergehend gesperrt werden muss, klingt das zunächst nach Routine. Frei nach dem Motto: lästig, aber unvermeidbar. Sechs Tage soll das Ganze dauern. Lkw mit mehr als 40 Tonnen dürfen die Brücke bereits nicht mehr befahren.

Die Hauptuntersuchung an der A42-Brücke war um ein Jahr vorgezogen worden

Die Autobahnbrücke ist fast 55 Jahre alt, immer wieder wurde in den vergangenen Jahren daran geschweißt und gewerkelt. 85.000 Fahrzeuge rollen laut Autobahn GmbH täglich über das Bauwerk, das für diese Belastung nicht ausgelegt sei. Erst später erfährt die Öffentlichkeit, dass die Hauptuntersuchung, die sonst alle sechs Jahre durchgeführt wird, im Oktober um ein Jahr vorgezogen wurde. Warum? Die Autobahn GmbH spricht von Erfahrungswerten. Ein Mitarbeiter der Behörde nennt es Bauchgefühl.

Die Brücke über den Rhein-Herne-Kanal wurde 1970 eröffnet. Für die heutige Verkehrslast sei das Bauwerk nicht ausgelegt.
Die Brücke über den Rhein-Herne-Kanal wurde 1970 eröffnet. Für die heutige Verkehrslast sei das Bauwerk nicht ausgelegt. © FUNKE Foto Services | Michael Gohl

Zahlreiche Autobahnbrücken in NRW sind in keinem guten Zustand. „Wenn es heißt, eine Brücke wird für Untersuchungen gesperrt, muss man schon hellhörig werden“, sagt Stauforscher Michael Schreckenberg von der Universität Duisburg-Essen in Gespräch mit der Redaktion. Denn da ist das Kind bereits in den Brunnen gefallen. Die A42 bleibt gesperrt, weil die Schäden an der Brücke gravierender sind, als es den Anschein hatte. Der Autobahn GmbH wirft Schreckenberg vor, planlos zu agieren.

Hinter den Kulissen wird seit Jahren der Bau einer neuen Brücke geplant

Hinter den Kulissen wird längst geplant. Die Brücke soll im Rahmen des sechsspurigen Ausbaus der A42 durch einen Neubau ersetzt werden. Schon 2005 beschrieb ein Gutachten Schäden an dem Bauwerk. Der Autor, der Stahlbauexperte Professor Gerhard Hanswille, attestierte der Brücke damals nur noch eine geringe Lebensdauer und empfahl, die Fahrbahnplatte instand zu setzen. Seitdem wurde an der Brücke immer wieder geschweißt, die Fahrbahn wurde erneuert. Seit 2018 läuft das Planfeststellungsverfahren für den sechsspurigen Ausbau der Autobahn.

Die Brückenhänger bereiten den Ingenieuren der Autobahn GmbH Kopfschmerzen. An den Übergängen zu den Brückenbögen wurden zahlreiche Roststellen festgestellt.
Die Brückenhänger bereiten den Ingenieuren der Autobahn GmbH Kopfschmerzen. An den Übergängen zu den Brückenbögen wurden zahlreiche Roststellen festgestellt. © FUNKE Foto Services | Lars Fröhlich

Es sind die Brückenhänger, die den Ingenieuren Kopfschmerzen bereiten. Die insgesamt 56 Verstrebungen übertragen die Last von der Brückenplatte auf die Brückenbögen. Schon 2009 waren Risse festgestellt worden, die betreffenden Hänger wurden laut Autobahn GmbH seinerzeit instandgesetzt. Nun stellt sich heraus, dass die Schäden offensichtlich viel massiver sind und bis ins Innere der Bögen reichen. Der zuständige Projektleiter traut seinen Augen nicht, als ihm seine Mitarbeiter Aufnahmen von schadhaften Hängern vorlegten.

Essen und Bottrop wurden von der andauernden Vollsperrung kalt erwischt

Die komplette Berichterstattung zur A42-Sperrung mit Hintergründen, Interview und Fotos finden Sie hier: waz.de/thema/a42-sperrung/

Anders als angekündigt, gibt die Autobahn GmbH die marode Brücke nach sechs Tagen nicht frei und sorgt zusätzlich für Verwirrung, als die Sperrung zunächst nur bis zum darauffolgenden Dienstag verlängert wird. Für die behördliche Anordnung sei das Datum willkürlich gewählt worden, heißt es. Nicht nur in den Rathäusern von Essen und Bottrop löst dies Kopfschütteln aus. Beide Städte werden kalt erwischt davon, dass die Vollsperrung viel länger dauern soll.

Pendlern und Anwohnern im Essener Norden geht es nicht anders. Die Ruhrwirtschaft schlägt Alarm. Ein Spediteur spricht gegenüber der Redaktion von einer Katastrophe. Nicht nur die Umleitungsstrecke ist heillos überlastet; insbesondere auf der Vogelheimer Straße geht nachmittags gar nichts mir. Auf vielen Straßen sieht es nicht anders aus. Was tun? Für die Verantwortlichen im städtischen Verkehrsdezernat ist es eine Operation am offenen Herzen.

Lkw werden durch den Stadthafen und weiter über die Daniel-Eckhardt-Straße in Richtung Autobahnkreuz Essen-Nord geleitet.
Lkw werden durch den Stadthafen und weiter über die Daniel-Eckhardt-Straße in Richtung Autobahnkreuz Essen-Nord geleitet. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

Essen und Bottrop drängen auf die Freigabe der beiden Autobahnauffahrten für Pkw

An der völlig überlasteten Kreuzung Vogelheimer Straße/Gladbecker Straße wird die Verkehrsführung so geändert, dass der Stau in Richtung Autobahn schneller abfließen kann. Lkw werden durch den Stadthafen gelenkt. Offiziell war dies bislang verboten, da die Straße durch den Hafen keine öffentliche ist. Trotzdem wählten bereits viele diesen Weg.

Auf der Vogelheimer Straße wurde die Verkehrsführung geändert, damit der Stau schneller abfließt. Wer aus Richtung Altenessen kommt, muss links abbiegen.
Auf der Vogelheimer Straße wurde die Verkehrsführung geändert, damit der Stau schneller abfließt. Wer aus Richtung Altenessen kommt, muss links abbiegen. © WAZ | schy

Wie lange soll das so weitergehen? Die Autobahn GmbH will sich lange nicht festlegen, lässt am Montag, 4. März, dann aber wissen, dass die Brücke voraussichtlich Ende März zumindest wieder für Pkw freigegeben werden soll. Die Autobahngesellschaft hatte dies im Januar vor dem Verkehrsausschuss des Landtages in Aussicht gestellt, dort war ebenfalls von März die Rede. Im Rathaus ging man von Mitte April aus.

Fahrzeuge ab einem Gewicht von mehr als 3,5 Tonnen dürfen nicht mehr über die marode Brücke fahren. Die Autobahn GmbH will dies mit Lkw-Waagen sicherstellen, die vor der Anschlussstelle Bottrop-Süd und vor dem Autobahnkreuz Essen-Nord installiert werden. Fahrzeuge, die zu schwer sind, könnten dort von der Autobahn abfahren. Die Auffahrten in Richtung Brücke blieben gesperrt, auch für Pkw.

Essen und Bottrop sind damit nicht einverstanden. Beide Städte wollen verhindern, dass sich Pendler über innerstädtische Straßen quälen müssen, um die A42-Brücke zu umfahren und drängen darauf, dass auch die Auffahrten geöffnet werden. Ein Verkehrsgutachter soll dazu Vorschläge machen. Bis Ende März hat er dafür Zeit.

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