Essen. Treffen an Heiligabend: Menschen, die obdachlos sind oder waren, verbringen Weihnachten Zeit in Gemeinschaft. Für viele nicht einfach.

Zum 42. Mal trafen sich Menschen, die keine Wohnung haben oder hatten, Vertreter von Kirchen, Stadt und Sozialverbänden, um an Heiligabend ein paar Stunden gemeinsam zu feiern, essen, singen und Gemeinschaft zu erleben. Für einige ein lang vermisstes Gefühl, für andere eine echte Herausforderung.

Die Weihnachtsfeier für die Wohnungslosen hat in Essen lange Tradition

Zum zweiten Mal fand die Veranstaltung von Diakonie und Caritas im Gemeindesaal von St. Gertrud in der Essener Innenstadt statt, nachdem man sich in den Corona-Jahren im Freien getroffen hatte. Oberbürgermeister Thomas Kufen begrüßte die Gäste, die an den weihnachtlich gedeckten Tischen Platz genommen hatten.

Zum zweiten Mal fand die Weihnachtsfeier für Wohnungslose im Gemeindesaal von St. Gertrud in der Essener Innenstadt statt.
Zum zweiten Mal fand die Weihnachtsfeier für Wohnungslose im Gemeindesaal von St. Gertrud in der Essener Innenstadt statt. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Die kurze ökumenische Andacht zelebrierten Diakoniepfarrer Andreas Müller und Franziskaner-Pater Herrmann-Josef Schlepütz. Zu essen gab es in diesem Jahr Rindergulasch mit Nudeln und Rotkohl sowie eine vegetarische Variante, Getränke vom Diakonie-Restaurant Church, Kaffee und frisch gebackene Waffeln von der Johanniter-Hilfsgemeinschaft, mit den Essener Chancen vom Fußballclub Rot-Weiss Essen Hauptsponsor der Veranstaltung.

Neu in diesem Jahr: eine durch Spenden finanzierte Tombola ohne Nieten, bei der es Rucksäcke, Schals und Mützen sowie Einkaufsgutscheine zu gewinnen gab. Krankheitsbedingt ausfallen musste in diesem Jahr allerdings der Musikbeitrag von RWE-Stadionsänger Sandy Sandgathe.

130 Menschen hatten sich für die Veranstaltung angemeldet

Angemeldet hatten sich in diesem Jahr 130 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die aktuell wohnungslos sind oder aus alter Verbundenheit zu den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Hilfsorganisationen dabei sein wollten.

Petra Fuhrmann vom Diakoniewerk organisiert die Feier mit viel Herzblut.
Petra Fuhrmann vom Diakoniewerk organisiert die Feier mit viel Herzblut. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

„Das sind deutlich mehr als im Vorjahr“, sagt Petra Fuhrmann, Bereichsleiterin der ambulanten Gefährdeten- und Wohnungslosenhilfe des Diakoniewerks Essen und Organisatorin der Veranstaltung. Die Steigerung sei nicht verwunderlich, da auch die Zahl der Menschen, die aktuell durch die Beratungsstelle betreut würden, mit 800 hoch sei.

Diese Entwicklung bemerken auch andere: „Im Sommer hatten wir noch 500 Besucher im Monat, zuletzt waren es 1028“, sagt Stephan Knorr, der die Suppenküche des Caritasverbandes mit Frühstücks- und Mittagsangebot in St. Gertrud betreut und schon deutliche Veränderungen bemerkt. Andererseits sei er froh über jeden Wohnungslosen, den man mit den Hilfsangeboten erreiche, auch wenn ihre Zahl immer größer werde.

Mike  hat schwere Zeiten hinter sich.
Mike hat schwere Zeiten hinter sich. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Das liegt laut Petra Fuhrmann nicht nur an der allgemein schlechten wirtschaftlichen Lage. „Während der Coronazeit sind Räumungsklagen ausgesetzt worden, die jetzt wieder durchgesetzt werden. Zudem gibt es weniger preiswerte Wohnungen auf dem Markt, psychische Auffälligkeiten bei den Menschen nehmen zu und selbst Geflüchtete sind inzwischen wohnungslos“, sagt Petra Fuhrmann.

Die Teilnehmer haben oft Schlimmes erlebt

Umso mehr freut sie sich, dass die traditionelle Weihnachtsfeier einmal im Jahr viele unterschiedliche Menschen an einen Tisch bringt – ob mit oder ohne Wohnung. Viele der Besucherinnen und Besucher haben inzwischen wieder eine Bleibe, sind nicht mehr auf Notschlafstellen angewiesen. Einige sind nie ohne Obdach gewesen, aber eigentlich alle haben eine Geschichte, die sie geprägt hat.

Asa stammt aus Georgien und lebt seit 26 Jahren in Deutschland. Sie ist der Diakonie sehr dankbar für die Unterstützung.
Asa stammt aus Georgien und lebt seit 26 Jahren in Deutschland. Sie ist der Diakonie sehr dankbar für die Unterstützung. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Wie Bernd. Der 72-Jährige und der Essener Sozialdezernent Peter Renzel begrüßen sich bei der Weihnachtsfeier besonders herzlich. Die beiden kennen sich seit über 40 Jahren, kommen aus demselben Pfadfinderstamm in St. Antonius in Frohnhausen. Bernd wird von der Diakonie betreut. Er hat sein ganzes Leben in Heimen verbracht, im Franz-Sales-Haus, der katholischen Einrichtung für Menschen mit geistiger Behinderung, und beim CVJM (Christlicher Verein junger Menschen).

Das Leben in den Einrichtungen sei okay gewesen, auch wenn es hätte besser sein können, blickt er grundsätzlich zufrieden zurück. Eine Eigenschaft, die sein Pfadfinder-Kollege Peter Renzel sehr an ihm schätzt. „Bernd war immer dabei, wenn wir zum Beispiel zusammen zur Fortbildung nach Rummenohl gefahren sind, war er Teil der Gemeinschaft“, erinnert sich der Sozialdezernent. „Ich hatte eine Lernbehinderung, habe später im Lager gearbeit“, erklärt Bernd. Zu Hause habe es damals keine Fördermöglichkeiten gegeben.

Rudi lebt mit seiner kranken Ex-Freundin zusammen und kümmert sich um sie.
Rudi lebt mit seiner kranken Ex-Freundin zusammen und kümmert sich um sie. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Dramatisch klingt die Geschichte von Mike. Der 41-Jährige sitzt beim Weihnachtsessen mit Parka und Mütze, wirkt ein bisschen wie auf dem Sprung. Der gelernte Maurer hatte seine Wohnung durch die Trennung von seiner Frau verloren, wie er sagt. Zwei Jahre sei er wohnungslos gewesen, das sei jetzt vorbei. Allerdings habe er psychische und gesundheitliche Probleme, deshalb könne er derzeit nicht arbeiten.

In der Vergangenheit ist vieles schiefgelaufen

In der Vergangenheit sei einiges schiefgelaufen, erzählt er von Problemen im Rocker- und Drogenmilieu. Irgendwann habe man ihn in den Rücken gestochen. Der Lichtblick: In der Klinik habe er durch eine Mitpatientin seinen jetzigen Vermieter kennengelernt.

Ein paar Tische weiter sitzt Asa, gut angezogen, sorgfältig zurechtgemacht. Die 73-Jährige strahlt Zufriedenheit aus und ist voll des Lobes für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Diakonie. Sie hätten sie bei der Suche nach einer kleinen Wohnung unterstützt, als sie ihre große, zu teure Wohnung, in der sie mit ihrer Familie gewohnt habe, aufgeben wollte. „Die kleine Wohnung zu finden, war nicht einfach“, ist sie dankbar für die Unterstützung.

Asa stammt aus Georgien, lebt aber seit 26 Jahren in Deutschland, hat als Putzfrau gearbeitet, wie sie berichtet. Sie habe drei erwachsene Kinder, sei stolz auf sie und die zehn Enkel.

Rudi (55) hat die Wohnungslosigkeit ebenfalls hinter sich gelassen. Seine Wohnung habe er damals verloren, weil die Partnerin die Miete nicht bezahlt habe. Heute lebe er mit seiner schwer erkrankten Ex-Freundin in einer Wohngemeinschaft und kümmere sich um sie.

Monika hat keinen Kontakt mehr zu ihren Kindern in England.
Monika hat keinen Kontakt mehr zu ihren Kindern in England. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Monika (64) dagegen ist ganz allein. Zu ihren in England lebenden Kindern sei der Kontakt abgebrochen. Sie sei krank, dürfe nicht arbeiten und habe große Schwierigkeiten gehabt, eine Wohnung zu finden, habe zwischenzeitlich bei einer Freundin oder in der Einrichtung an der Hoffnungstraße übernachtet.

Ein bisschen Wärme und Gemeinschaft im Saal von St. Gertrud

Für sie alle, so unterschiedlich ihre Lebenswege und Schicksale auch sind, gab es im Saal von St. Gertrud für einige Stunden ein kleines bisschen Weihnachten, bevor sie alle wieder ihrer Wege gingen – vielleicht bis zum Wiedersehen im nächsten Jahr.

[Essen-Newsletter hier gratis abonnieren | Folgen Sie uns auch auf Facebook, Instagram & WhatsApp | Auf einen Blick: Polizei- und Feuerwehr-Artikel + Innenstadt-Schwerpunkt + Rot-Weiss Essen + Lokalsport | Nachrichten aus: Süd + Rüttenscheid + Nord + Ost + Kettwig und Werden + Borbeck und West | Alle Artikel aus Essen]