Essen. In Essen soll ein Jugendhotel für Wohnungslose entstehen. Die Hotelgäste sind oft durch alle Raster gefallen, haben Sucht und Gewalt erlebt.
Sie leben auf der Straße, nächtigen auf fremden Sofas oder in der Notschlafstelle: Jugendliche, für die der Schritt in die eigene Wohnung noch zu groß ist, die aber ein eigenes Zimmer haben wollen, einen Platz nur für sich. Nun soll in Essen ein Jugendhotel namens „Sleep4U“ entstehen, das ihnen möglichst viel Freiheit, möglichst wenig Regeln und eine Perspektive bieten soll.
Essener Jugendhotel soll auf eigene Wohnung vorbereiten
„Es geht um junge Menschen, die ein hohes Autonomiebedürfnis haben. Die ein Dach über dem Kopf brauchen, aber nicht gut in Gruppenkonzepte passen“, sagt Pelle Heemann von der Werkstatt Solidarität. Schon die gemeinsame Mahlzeit kann zu viel Verbindlichkeit bedeuten. Das geplante Jugendhotel aber soll sie auf ein eigenständiges Leben vorbereiten, darum wird es dort eine Gemeinschaftsküche mit Ess- und Aufenthaltsbereich geben: Hier können sie kochen, essen, reden, spielen – sie müssen es nicht.
Kölner Jugendhotel ist das Vorbild für Essen
Das geplante Jugendhotel von Caritas-SkF-Essen (CSE) und Werkstatt Solidarität orientiert sich am Kölner Vorbild „Klarigo“: Dieses Jugendhotel nimmt Jugendliche ab 16 Jahren sowie junge Erwachsene auf, „die nicht (mehr) durch Angebote der klassischen Heimunterbringungen und Wohngruppen erreicht werden“. Sie werden im Jugendhotel ambulant betreut, bis sie in ein Trainingsappartement oder eine eigene Wohnung umziehen können.
Die Werkstatt Solidarität Essen gGmbh betreut Jugendliche, die drohen, aus dem Standardsystem der Jugendhilfe zu fallen. Viele von ihnen haben Missbrauch erlebt oder haben Kontakt zu kriminellen Subkulturen, Drogen- und Gewalterfahrungen. Oft leben sie auf der Straße, gehen nicht zur Schule.
Die Caritas-SkF-Essen gGmbH bietet vielfältige Dienste und Einrichtungen in ganz Essen an, von Pflege bis zur Quartierentwicklung. Sie ist auch in der Jugendhilfe aktiv. Die CSE wird zu gleichen Teilen von Caritas und SkF getragen und hat mehr als 1000 Mitarbeitende.
Bisher nächtigen viele aus der Zielgruppe in der Notschlafstelle Raum 58, die die Caritas-SkF-Essen (CSE) und das CVJM Sozialwerk betreiben. Die Einrichtung in Uni-Nähe ist sehr niedrigschwellig, verlangt den Gästen wenig ab. Von hier ins eigene Zuhause oder in eine feste Jugendeinrichtung zu wechseln, glückt vielen Betroffenen nicht. „Dann kehren sie in den Raum 58 zurück. Manche leben von 14 bis 21 Jahren fast durchgängig dort“, sagt Dirk Langheinrich, Fachbereichsleiter Jugendhilfe bei der CSE.
Seit Herbst 2022 sei der darum ständig voll belegt. „So dass wir Jugendliche abweisen müssen.“ Häufig müssten sie dann draußen übernachten. Handlungsbedarf bestehe hier seit Jahren, doch die Pandemie habe eine Bremswirkung entfaltet.
Vorbild ist das Klarigo in Köln
Nun soll das Jugendhotel die Lücke zwischen Notschlafstelle und eigenem Zuhause schließen. CSE und Werkstatt Solidarität wollen es betreiben, ihr Vorbild ist das Kölner Jugendhotel Klarigo, das in einem früheren Hotel beherbergt ist. Eine „hotelähnliche Immobilie“ suchen auch die Essener, möglichst zentral mit Anbindung an Bus und Bahn.
Einen Aufruf haben sie schon gemacht, können sich erste Objekte ansehen. Das Gebäude solle Platz für zwölf Einzelzimmer oder Mini-Appartements bieten: drei für Jugendliche ab 16 Jahren, neun für junge Erwachsene bis 21, die wohnungslos sind. Ein halbes Jahr soll ihr Aufenthalt dauern, bevor sie im Idealfall in eine Wohnung ziehen.
Jugendliche üben das Leben ein
Jeder „Hotelgast“ soll eine Bezugsperson bekommen, mit der er Perspektiven für die Zeit nach dem Aufenthalt entwickelt, „das Leben einübt“, wie Pelle Heemann von der Werkstatt Solidarität formuliert. Der Beziehungsaspekt sei der Schlüssel für das Gelingen. Die Jugendlichen sollen tägliche Kontakte zum Betreuer haben, junge Erwachsenen haben mehr Freiraum.
„Sie alle sind schon oft gescheitert. Darum wollen wir ihnen eine zuverlässige Beziehung anbieten, ohne damit eine zu große Erwartungshaltung zu verbinden“, sagt Langheinrich. Natürlich gebe es Regeln, so werde Drogenkonsum im Hotel verboten sein, ergänzt Heemann: „Aber wir zwingen niemanden zum Schulbesuch und kontrollieren nicht, ob er Zähne putzt.“
Wie im Hotel wird rund um die Uhr ein Concierge an der Rezeption stehen: Den Job sollen Studierende der Sozialen Arbeit übernehmen. „Bei möglichen Konflikten sind die Sozialarbeiter sofort da“, sagt Heemann. Dafür werde man Notfallkette und Rufbereitschaft einrichten.
Mancher hat nie ein Familienleben kennengelernt
Nicht jeder „Hotelgast“ wird den Umzug in eine Wohnung schaffen, weiß Heemann. „Man wird mit Dingen konfrontiert, die jenseits der eigenen Vorstellung sind.“ Es geht um junge Menschen, die durch alle Raster gefallen sind, nie ein Familienleben kennengelernt haben, dafür aber Gewalt, Kriminalität, Drogen. „Man muss aushalten können, dass man nicht sofort etwas ändern kann. Man muss auch die Frage aushalten: Lebt der Morgen noch?“
Alles Schlimme wissen, und doch das Beste hoffen, das ist wohl die Formel für dieses Hotel, das auch vom Jugendamt unterstützt wird. Zählt man Regelplätze, Kindernotaufnahmen und Jugendschutzstellen zusammen, gibt es bereits etwa 950 Heimplätze in Essen. „Die Plätze sind durchgehend voll belegt, es müssten Weitere geschaffen werden“, hat Jugendamtsleiter Carsten Bluhm erst im Juni gesagt. Bei „Sleep4U“ steht inzwischen das Konzept, auch die perfekte Hausleitung haben sie schon im Blick. Spätestens 2024 wollen sie starten. Sollten sie rasch eine Immobilie finden, öffnen sie schon Weihnachten.