Essen. Erstmals seit Corona fand die Weihnachtsfeier für Essener Obdachlose wieder im Saal statt. Viele der Gäste haben Schlimmes erlebt.

  • Nach zwei Jahren im Freien fand die Weihnachtsfeier für Wohnungslose wieder im Saal statt.
  • Über 100 Gäste waren dabei und ließen sich Gulaschsuppe und Waffeln schmecken.
  • Viele leiden unter Krankheiten und Einsamkeit.

Zwei Jahre lang fand die traditionelle Weihnachtsfeier für wohnungslose und ehemals wohnungslose Menschen wegen Corona im Freien statt. Jetzt gab es erstmals wieder ein Fest im Gemeindesaal von St. Gertrud in der Essener Innenstadt. Gut 100 Gäste nahmen das Angebot an, wollten Kälte und Sorgen für ein paar Stunden vergessen. Viele von ihnen haben eine bewegende Geschichte.

Einige Gäste, die an diesem Heiligabend an den weihnachtlich gedeckten Tischen Platz nehmen, haben inzwischen eine Wohnung. Die meisten aber kennen die Situation, nicht zu wissen, wo man nachts schlafen und sich gegen die Winterkälte schützen kann. Viele suchen Wärme, manchmal im wörtlichen, manchmal im übertragenen Sinn.

Essener Weihnachtsfeier für Wohnungslose hat Tradition

Wie der 71-jährige Helmhard, der die gemütliche Atmosphäre, die Gemeinschaft bei der Feier schätzt und sich die Gulaschsuppe schmecken lässt. Er hat eine Wohnung, möchte Weihnachten aber nicht allein sein und nimmt deshalb die Einladung von Diakonie und Caritas gern an.

Joachim hat in den vergangenen Jahren nicht viel Gutes erlebt. Er sucht dringend eine eigene Wohnung.
Joachim hat in den vergangenen Jahren nicht viel Gutes erlebt. Er sucht dringend eine eigene Wohnung. © FUNKE Foto Services | Dirk A. Friedrich

Noch schwieriger ist der Alltag für Joachim (50). Der Wohnungslose kommt zwar gelegentlich bei Freunden oder Kollegen unter, sucht aber dringend eine eigene Wohnung. Warum er seine Bleibe verloren hat? „Mietschulden“, sagt er. Die Geschichte dahinter ist dramatisch. Seine Verlobte sei gestorben, er habe sich danach in die Arbeit gestürzt, arbeitete bei einem Sicherheitsdienst. „Dann bin ich bei der Arbeit umgekippt.“ Herzinfarkt, Schlaganfall, Arbeitslosigkeit – Joachim hat in den vergangenen Jahren nicht viel Gutes erlebt, doch er lässt sich nicht unterkriegen.

So wie Petra (64). Ihr Leidensweg begann früh. „Als ich acht Jahre alt war, hat mich meine Mutter einfach rausgeworfen, weil sie einen anderen Mann hatte. Nicht mal von der Schule hat sie mich abgeholt“, erzählt Petra, die sich heute mit ihrem Bruder eine Wohnung teilt. Damals habe sie in einem alten Bunker in Stoppenberg geschlafen, sich allein durchgeschlagen.

Viele Gäste haben keinen Kontakt zu ihren Familien

Mit 17 sei sie das erste Mal schwanger gewesen, habe insgesamt acht Kinder von zwei Männern, vier Jungen und vier Mädchen, die bei Pflegeeltern aufwuchsen – „weil ich wegen meiner epileptischen Anfälle angeblich eine Gefahr für sie war“, sagt Petra und zuckt mit den Achseln. „Zu meinen Kindern und sechs Enkeln habe ich nur selten Kontakt, sie wollen das nicht, obwohl ich mich mit ihnen gern mal an einen Tisch gesetzt hätte, um über alles zu reden.“

Auch Gianna (58) hat Familie, allerdings ebenfalls „nur auf dem Papier“, wie sie sagt. Wegen Problemen mit Alkohol und Drogen verlor sie ihre Wohnung. „Zum Glück nur kurz, und das ist lange her. Für Frauen ist es besonders schlimm, auf der Straße zu leben, immer Angst vor Diebstahl und Vergewaltigung zu haben.“ Die Diakonie habe ihr geholfen, jetzt versuche sie selbst, anderen Betroffenen zu helfen. „Wenn ich Dinge, auch Kleidung, übrig habe, spende ich sie.“ Die Weihnachtsfeier für Wohnungslose sei eine wichtige Sache, „gegen die Einsamkeit“.

Helmhard hat eine Wohnung, schätzt aber die Gemeinschaft bei der Weihnachtsfeier.
Helmhard hat eine Wohnung, schätzt aber die Gemeinschaft bei der Weihnachtsfeier. © FUNKE Foto Services | Dirk A. Friedrich

Wie in den Vorjahren begrüßte Oberbürgermeister Thomas Kufen die Gäste, überbrachte die Weihnachtswünsche der Stadt. Es komme darauf an, in „Respekt und Würde“ zu feiern. „Passen Sie auf sich und Ihre Gesundheit auf“, so sein Appell. Diakoniepfarrer Andreas Müller und Franziskaner-Pater Hermann-Josef Schlepütz hielten eine Andacht ab, sangen mit den Gästen Weihnachtslieder.

Diakonie-Restaurant lieferte die Speisen für die Feier

Bei Gulasch- und Kartoffelsuppe, Waffeln und Punsch – angeliefert vom Diakonie-Restaurant Church – blieben die Wohnungslosen noch ein paar Stunden zusammen, bekamen eine kleine Geschenktüte mit Körperpflege-Produkten, Schokolade und mehr. RWE-Original Sandy Sandgathe bestritt das musikalische Programm, die Essener Chancen von Rot-Weiss Essen beschenkten die Gäste mit Handschuhen und, wenn gewünscht, mit Eintrittskarten fürs Stadion. Die Johanniter unterstützen die Durchführung der Feier, ebenso wie zahlreiche haupt- und ehrenamtliche Helfer.

Vertreter und Vertreterinnen von Verwaltung, Politik und Wohlfahrtsorganisationen kamen zur Weihnachtsfeier in den Gemeindesaal von St. Gertrud.
Vertreter und Vertreterinnen von Verwaltung, Politik und Wohlfahrtsorganisationen kamen zur Weihnachtsfeier in den Gemeindesaal von St. Gertrud. © FUNKE Foto Services | Dirk A. Friedrich

Um die Feier planen zu können, mussten sich die Gäste für die Teilnahme vorab in der Zentralen Beratungsstelle für wohnungslose Frauen und Männer im Diakoniezentrum Mitte an der Lindenallee eine kostenfreie Eintrittskarte ausstellen lassen. „Wir hatten in diesem Jahr über 100 Anmeldungen, 80 Prozent der Gäste sind Männer“, sagt Petra Fuhrmann, Bereichsleiterin der ambulanten Gefährdeten- und Wohnungslosenhilfe des Diakoniewerks und Organisatorin der Veranstaltung. Die Stimmung sei gut, die Menschen fühlten sich wohl, und das sei entscheidend.