Essen. Die Schreikind-Ambulanz hat 2022 noch mehr Zulauf erlebt. Die Beratung helfe Eltern und schütze die Kinder, sagt die Ärztliche Beratungsstelle.
Sie waren Pioniere – und sie werden immer noch dringend gebraucht: Vor 40 Jahren wurde in Essen die Ärztliche Beratungsstelle (ÄB) gegen Vernachlässigung und Misshandlung von Kindern e.V. gegründet. Bis heute ermutigt das Team Eltern, Nachbarn, Erzieher und Lehrer, sich zu melden, wenn sie fürchten, dass ein Kind Gewalt ausgesetzt oder gefährdet ist: „Vertrauen Sie Ihrem Bauchgefühl.“
Essener Beratungsstelle arbeitet mit den Eltern zusammen
Die Beratungsstelle behandelt die Informationen vertraulich: Es gilt die Schweigepflicht und zunächst die Zusage, weder Polizei noch Jugendamt einzuschalten, sagt Dr. Ulrich Kohns, Vorstandsvorsitzender der Beratungsstelle und pensionierter Kinder- und Jugendarzt. Wichtig sei, dass die Menschen kommen, sonst könne man keine Hilfe für die Kinder leisten. „Wir wollen, dass es aufhört“, sei das Gebot. Es gehe darum, körperliche, seelische oder sexuelle Gewalt zu beenden – oder besser zu verhindern.
Als sie 1983 gegründet wurde, war die Beratungsstelle die erste Einrichtung dieser Art in Deutschland zum Thema Kindesmisshandlung. Sie bot eine multidisziplinäre Betreuung und ein Angebot, das sich aus Hilfe zur Selbsthilfe, Früherkennung und Prävention zusammensetzt. „Unser erster Auftrag ist es, das Kind zu schützen“, sagt die Sozialwissenschaftlerin und systemische Familientherapeutin Ute Kalvelis. Das sei häufig gemeinsam mit der Familie möglich. Sie ergänzt aber, dass in manchen Fällen der Gang zum Jugendamt am Ende unvermeidbar sei: „Wenn wir unseren Schutzauftrag für das Kind nicht wahrnehmen können, müssen wir weitere Schritte einleiten.“
Eltern lernen angemessenen und liebevollen Umgang mit den Schreibabys
Beispielhaft für den präventiven Ansatz der Beratungsstelle ist die 2001 von Kohns gegründete Schreikind-Ambulanz: Das Projekt soll Kinder vor Gewalt schützen und Eltern befähigen, liebevoll und angemessen mit ihren „Schreibabys“ umzugehen. Die Anlaufstelle erfreut sich großer Resonanz: Im Jahr 2022 betreuten Ute Kalvelis und die ehrenamtlichen Unterstützer insgesamt 185 Familien mit 209 Kindern. Davon wandte sich der Großteil – 119 Familien mit 154 Kindern – an die Schreikind-Ambulanz.
Die Zahl der Beratungsfälle sei damit im Vergleich zum Vorjahr erneut gestiegen, sagt Kohns. „Wir könnten noch viel mehr Familien behandeln, aber uns fehlen die Ressourcen.“ Die Ärztliche Beratungsstelle ist zur Finanzierung auf Fördermittel und Spenden angewiesen.
Eltern lernen, eine sichere Bindung zum Kind aufzubauen
Das gilt auch für das neue Präventionsprojekt, das die Beratungsstelle im Jahr 2021 gestartet hat: „Bindungsentwicklung – die ersten 1000 Tage“. Es unterstützt Eltern dabei, eine emotional sichere Bindung zu ihren Kindern aufzubauen. So sollen Probleme bei der Persönlichkeitsentwicklung und der psychischen Gesundheit vermieden werden.
Schon seit 1983 gibt es eine Kooperationsvereinbarung zwischen der Ärztlichen Beratungsstelle (ÄB) und dem Essener Kinderschutzbund. Außerdem ist Ulrich Kohns auch stellvertretender Vorstandsvorsitzender des hiesigen Kinderschutzbundes. Auf der Feier zum 40-jährigen Bestehen der ÄB wurde Kohns nun für seine Verdienste mit dem silbernen Ehrenzeichen des Deutschen Kinderschutzbundes geehrt.
Therapieangebote im Essener Norden fehlten
Da im Essener Norden Therapieangebote für Kinder fehlten, habe Kohns für den Kinderschutzbund maßgeblich das Konzept für das Zentrum für Kindesentwicklung mitentwickelt. Mit dem 1998 eröffneten Zentrum habe er den Grundstein für den Fachbereich Kindesentwicklung gelegt. Der Vorsitzende des Kinderschutzbundes Essen, Ulrich Spie, dankte Kohns für seinen Einsatz für den Kinderschutz und dafür, dass er den Ausbau von Angeboten mit großer Expertise mitgestaltet habe, „so dass wir heute Vorreiter für viele Kinderschutzthemen in Deutschland sind“.
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