Essen. Wenn Eltern wiederholt Vorsorgetermine beim Kinderarzt ignorieren, soll das Jugendamt nachhaken. Warum Essen diese Praxis jetzt eingestellt hat.

Anfang Juni löste der Fall von drei Kleinkindern, die aus einer Wohnung in Schonnebeck befreit werden mussten, eine Diskussion über einen wirksameren Kinderschutz aus. Der Essener Kinderarzt Ralf Kownatzki schlug vor, Eltern nur das Kindergeld auszuzahlen, wenn sie an den Vorsorgeuntersuchungen für ihre Kinder teilnehmen. Schon jetzt müsste das Jugendamt tätig werden, wenn Familien die U-Untersuchungen wiederholt nicht wahrnehmen.

Doch die Stadt Essen hat diese Praxis in diesem Jahr „vorübergehend eingestellt“: Das Vorgehen habe keine Hinweise auf Kindeswohlgefährdungen erbracht, sagt die Sprecherin des Jugendamtes Stefanie Kutschker.

Kinder von null bis drei Jahren besonders gefährdet

Auch in Essen werden laut Jugendamt Kinder im Alter von null bis zu drei Jahren am häufigsten vom Jugendamt in Obhut genommen, weil sie bei ihren Eltern in Gefahr sind. Die Babys und Kleinkinder sind oft noch nicht bei der Tagesmutter oder in der Kita; daher sei der Kinderarzt der Erste, dem etwas auffallen könne, argumentiert Kownatzki. Zumal die U-Termine in diesem Alter sehr engmaschig sind. Die ärztliche Wächter-Funktion werde aber erschwert, weil die betroffenen Eltern immer wieder den Arzt wechseln und ein Austausch unter Kollegen aus Datenschutzgründen kaum möglich sei.

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Völlig aus dem Blick gerieten naturgemäß jene Kinder, die dem Arzt erst gar nicht vorgestellt werden. Die hier vorgesehene Kontrolle durch die Jugendämter sei personalintensiv und manche Ämter seien damit offenbar überfordert, glaubt Ralf Kownatzki, der auch Vorsitzender des ärztlichen Kinderschutzvereins Riskid ist.

Keine Hinweise auf Kindeswohlgefährdung

Tatsächlich hatte das Essener Jugendamt in den vergangenen Jahren mit jährlich etwa 2500 Meldungen über unterlassene Vorsorgeuntersuchungen zu tun. Davon habe man jeweils rund 150 an den Allgemeinen Sozialen Dienst weitergegeben, erklärt Jugendamtssprecherin Kutschker. Etwa 25 Prozent hätten sich als Fehlmeldungen erwiesen. „In der Regel haben ca. 70 Prozent der Angeschriebenen auf unsere Briefe reagiert – viele mit Unverständnis, weil die Untersuchung ja nicht verpflichtend ist oder weil es Gründe gab, warum die Untersuchung nicht im vorgesehenen Zeitfenster stattgefunden hat.“

Seit diesem Jahr habe das Essener Jugendamt die Verfahrensweise eingestellt, vorübergehend. Denn: „In keinem einzigen Fall in den letzten 12 Jahren wurde durch das Verfahren eigenständig ein Hinweis auf eine mögliche Kindeswohlgefährdung festgestellt.“ Ralf Kownatzki hat in seiner jahrzehntelangen Praxis offenbar andere Erfahrungen gemacht und glaubt, dass bei den Terminen Warnsignale auffallen können. Er hatte daher jüngst vorgeschlagen: „Man müsste einfach die Auszahlung des Kindergeldes an die Teilnahme an den U-Untersuchungen koppeln.“