Essen. Die katholische CSE lehnt ein Sexkauf-Verbot ab: Prostituierte seien oft keine Opfer. Doch eine neue Studie sagt: Viele erleiden Zwang und Gewalt.
Mit ungewöhnlicher Entschiedenheit hat sich die Caritas-SkF-Essen gGmbH (CSE) jetzt dagegen ausgesprochen, Prostitution zu verbieten. Der katholische Träger reagierte damit auf die Forderung des zuständigen Ausschusses des Europaparlaments: Der spricht sich für ein Verbot nach dem „Nordischen Modell“ aus, um betroffene Frauen besser zu schützen. „Wir lehnen ein Sexkauf-Verbot vehement ab“, sagen nun die Verantwortlichen beim CSE.
Die Europaparlamentarier hatten argumentiert, dass es innerhalb der EU einheitliche Regeln geben müsse, um Prostitution und den damit häufig verbundenen Menschenhandel wirksam zu bekämpfen. Vorbild könnten Schweden und Frankreich sein, die Prostitution verbieten und vor allem die Freier bestrafen – nicht die Frauen.
Essener Sozialträger betreut und berät Prostituierte
„Als CSE setzen wir uns dafür ein, Bedingungen zu schaffen, in denen die Sexarbeiterinnen ihren Job möglichst gefahrlos für Leib und Leben tun können und so bestmöglich vor Gewalt geschützt sind“, sagt CSE-Geschäftsführer Andreas Bierod. In den Beratungsstellen „Freiraum“ und „Nachtfalter“, betreue man Prostituierte sowie Opfer von Menschenhandel. Im Schnitt berate jede Stelle 60 Frauen im Jahr. Die Teams profitierten dabei von einer guten Vernetzung ins Milieu.
Ein Verbot verlagere Sexarbeit ins Dunkelfeld, fürchtet Maike van Ackern, Abteilungsleitung Mädchen und Frauen in besonderen Lebenslagen bei der CSE. Für Beratung, niederschwellige Hilfen, oder Gesundheitsangebote seien Betroffene dann „kaum zu erreichen“.
Prostituierte nicht in Privatwohnungen und Gewerbegebiete verdrängen
In der Folge würden sich Sexarbeiterinnen zurückziehen und ihre Dienste in Privatwohnungen, Gewerbegebieten oder im Internet anbieten. So seien sie den Kunden schutzlos ausgeliefert. „Den Menschen, die durch ein Sexkauf-Verbot geschützt werden sollen, schadet dieses Verbot am meisten“, folgert SkF-Vorständin Annegret Flügel.
Ähnlich hatte die rot-grüne Bundesregierung ihr liberales Prostitutionsgesetz begründet, das sie 2002 verabschiedete. Seither ist Prostitution in Deutschland nicht mehr sittenwidrig, sondern ein normales Gewerbe. Das Gesetz sollte die rechtliche und soziale Lage der Prostituierten verbessern. Kritiker meinen, dass es teilweise den gegenteiligen Effekt habe. „Deutschland hat sich zum Bordell Europas entwickelt“, sagt etwa die CSU-Bundestagsabgeordnete Dorothee Bär.
Dass ein Sexkauf-Verbot einen effektiveren Kampf gegen Zwangsprostitution ermögliche, glaubt man bei der CSE nicht. Menschenhandel sei bereits strafbar (Paragraf 232 StGB). Und: „Es gibt in Deutschland gute und funktionierende Strukturen, um ihn zu bekämpfen.“ Sie müssten weiter ausgebaut werden. „Die bisherigen Regelungen haben sich bewährt“, fasst Annegret Flügel vom SkF zusammen.
Studie: Deutsches Prostitutionsgesetz beachtet Menschenwürde zu wenig
Eine jüngst vorgestellte Studie zu den Prostitutionsgesetzen kommt dagegen zu dem Ergebnis, dass diese die Stellung der Bordellbetreiber, der Sexindustrie und der Freier gestärkt hätten. „Sexkauf. Eine rechtliche und rechtsethische Untersuchung der Prostitution“ heißt die Arbeit, von Elke Mack und Ulrich Rommelfanger. Die deutsche Gesetzgebung habe die Menschenwürde nicht ausreichend beachtet, sagt Verfassungsrechtler Rommelfanger.
Sexarbeit sichere Einkommen, sagt die katholische CSE
CSE und SkF tun sich dagegen schwer damit, Prostituierte von vornherein als Opfer zu sehen. Man lehne es ab, „Sexarbeiterinnen unter Generalverdacht zu stellen, von Menschenhandel betroffen zu sein“. Sexarbeit sei vielfältig, heißt es in der Stellungnahme der beiden Verbände: „Sexualassistenten, Tantra Massage, Escort Services und viele weitere Bereiche sind oft eigenständig als Gewerbe angemeldet und sichern ein Einkommen, von dem Steuern und Versicherungen gezahlt werden.“
Auch Elke Mack räumt ein, dass es Frauen gebe, die sich freiwillig prostituieren. Doch unter den geschätzt 250.000 bis 400.000 Prostituierten in Deutschland seien sie die Ausnahme, sagt die Professorin für Christliche Sozialwissenschaften und Christliche Sozialethik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Erfurt. „Das ist eine kleine Minderheit von zwei bis fünf Prozent.“ Das Gros der Prostituierten stamme aus sehr armen Verhältnissen, die meisten seien Ausländerinnen.
Wissenschaftlerin fand „brutalste Aussagen“ von Freiern
In der FAZ vom 12. August 2023 bestritt Mack, dass ein Sexkauf-Verbot das Dunkelfeld vergrößern würde: „Im Gegenteil: Wir haben jetzt ein extremes Dunkelfeld.“ Die Folgen der aktuellen Praxis seien fatal: „Es finden schwere Grund- und Menschenrechtsverletzungen statt.“ In Freier-Foren habe sie „brutalste Aussagen“ gefunden; viele Männer glaubten offenbar, das Recht zu haben, Prostituierten Gewalt anzutun: „Für mich ist eine Hure schlichtweg ein Stück, das mich zu befriedigen hat“, heißt es da.
CSE und SkF malen ein positiveres Bild der Freier: Häufig gäben die den Zwangsprostituierten „erste Perspektiven, vermitteln sie an Fachberatungsstellen oder machen erste Aussagen bei der Polizei“. Käme es zum Sexkauf-Verbot, fielen diese Hinweisgeber weg, weil sie Angst haben müssten, selbst kriminalisiert zu werden.
Prostitution seit zwei Jahrzehnten nicht mehr sittenwidrig
2002 trat mit dem „Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten“ (Prostitutionsgesetz) in Deutschland eine der europaweit liberalsten Regelungen in Kraft. Seither ist Prostitution nicht mehr sittenwidrig. Das Verbot des „Menschenhandels zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung“ (§232 Strafgesetzbuch) blieb bestehen.
2016 wurde das Gesetz durch das Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG) nachgebessert, um Betroffene besser vor Ausbeutung, Menschenhandel und Zwang zu schützen. Obwohl seither eine Anmeldepflicht für Prostituierte besteht, melden sich nur wenige an. Kritiker sagen, die Regelung habe viele in die Illegalität gedrängt.