Eine Razzia hat gezeigt: Zuhälter zwingen Frauen aus Osteuropa auf dem Essener Straßenstrich zur Prostitution. Hilfe leisten Beratungsstellen wie der "Nachtfalter", die betroffenen Frauen Wege aus dem Teufelskreis zeigen

Mit vor Kälte schlotternden Knien steht die junge Frau am Straßenrand. Gerade mal mit einer transparenten Strumpfhose, einem leichten Oberteil und einem Rock bekleidet, der diese Bezeichnung nicht verdient, ist das Lächeln auf ihrem Gesicht gefroren. Es regnet. Bloß nichts anmerken lassen, denn sonst laufen die Geschäfte schlecht. "Roxana" spricht nur gebrochen Deutsch. Ob sie hier freiwillig steht, weiß niemand. Und ob sie tatsächlich Roxana heißt, steht zu bezweifeln.

Die junge Frau ist Bulgarin und eine der Schützlinge, mit denen es Evelyn Gebhard von der Beratungsstelle "Nachtfalter" bei ihren Streetwork-Aktionen regelmäßig zu tun hat. In Begleitung einer bulgarischen Kulturmittlerin fährt sie einmal wöchentlich den Strich ab, um den Prostituierten etwas zu geben, was Institutionen wie Polizei und Ordnungsamt nicht leisten können: Ein wenig Zuspruch, ein paar stärkende Worte, wenn das harte Geschäft mit der Ware Sex einmal zu sehr an die Substanz geht. Ferner sorgen Beide für gesundheitliche Prävention durch die kostenlose Verteilung von Kondomen oder die Aufklärung über Geschlechtskrankheiten.

"Man muss den Frauen auf Augenhöhe begegnen, wenn man ihr Vertrauen gewinnen will", so die Sozialarbeiterin. "Nur durch ständige Präsenz und einen respektvollen Umgang mit den Betroffenen schafft man die Voraussetzungen, dass potenzielle Opfer von Menschenhandel sich uns anvertrauen."

Beratungsstellen wie der "Nachtfalter" spielen eine Schlüsselrolle in der Bekämpfung von Zwangsprostitution und Menschenhandel. Spätestens seit der EU-Osterweiterung ist dies auch im Ruhrgebiet ein Problem. "Die offenen Grenzen entziehen sich unserer Kontrolle", beklagt Kriminalhauptkommissar Detlef Büttner von der Polizei Essen, der schwerpunktmäßig im Rotlicht-Milieu ermittelt. "Wir brauchen Gesetzesentwürfe, die uns eine ordnungsrechtliche Handhabe ermöglichen. Da ist die Politik gefragt", sagt er. Dass es Zwangsprostitution nur in dunklen Hinterzimmern von Clubs und Bordellen gäbe, hält er für eine Mär. Oft seien die Opfer dermaßen eingeschüchtert, dass sie auch am hellichten Tag inmitten vieler Menschen sich nicht zu ihrer Situation äußerten.

Christine Noll, Leiterin des "Nachtfalters", kann dies nur bestätigen, doch sei die Sachlage weitaus komplexer. "Zwischen Menschenhandel und freiwilliger Prostitution gibt es viele Grauzonen", weiß sie aus Erfahrung. Das Vorgehen der Täter ist planmäßig und perfide: Oft werden junge Frauen aus wirtschaftlich schwachen Herkunftsländern unter Vorspiegelung falscher Tatsachen nach Deutschland gebracht. Versprochen hat man ihnen viel: Einen guten Job, sozialen Aufstieg und nicht selten die große Liebe. Später werden die Opfer in der Regel ihrer Papiere beraubt, systematisch eingeschüchtert und mit körperlicher und psychischer Gewalt gefügig gemacht.

Hier setzt die Arbeit der Beratungsstellen ein, die mit derPolizei kooperieren. Bei den Streetwork-Touren sind muttersprachliche Kulturmittlerinnen nicht wegzudenken. Im Gegensatz zu einer einfachen Übersetzerin kennen sie die kulturellen Gepflogenheiten in den Heimatländern der Frauen und knüpfen schnell zu ihnen Kontakt. "Stellen Sie sich vor, Sie werden in ein fremdes Land verschleppt, dessen Sprache Sie nicht sprechen und plötzlich treffen Sie eine Deutsche", erklärt Noll. "Allerdings müssen die Frauen sich selbst bei uns Hilfe holen. Wir können ihnen nur immer wieder signalisieren, dass wir für sie da sind."

Roxana verschwindet indes im Auto eines Freiers. Ihr Zuhälter wirft ihr bereits strenge Blicke zu, da sie zu viel Zeit mit den Sozialarbeiterinnen verbringt. Das Geschäft muss weiterlaufen. Irgendwie.