Essen. Stadt und soziale Träger sind erleichtert über das OVG-Rotlichturteil. Denn das monatelange Prostitutionsverbot hatte unliebsame Nebenwirkungen.

Das monatelange Corona-Prostitutionsverbot hat Sexarbeiterinnen in Essen massiv in die Illegalität getrieben: Die Stadt hat seit Mitte März knapp 100 Verstöße geahndet. Die Dunkelziffer allerdings dürfte weitaus höher liegen. Damit haben sich all die anfänglichen Befürchtungen der Gesundheits- und Sozialexperten bestätigt: Ungeachtet des pandemiegetriebenen Vetos lief das Geschäft mit dem käuflichen Sex weiter, es wurde lediglich aus dem öffentlichen Raum verdrängt, weil sich die Frauen, die ihren einzigen Lebensunterhalt weiterhin verdienen mussten, Kontrollen und Strafen entzogen haben. Für Berater und Helfer, die sich seitdem um deren Sicherheit sorgten, waren viele von ihnen von heute auf morgen schlicht nicht mehr erreichbar.

Deshalb sind Stadtdirektor Peter Renzel in seiner Funktion als Gesundheitsdezernent und Maike von Ackern, Leiterin der Beratungsstelle Freiraum, heilfroh darüber, dass das Oberverwaltungsgericht nach nunmehr einem halben Jahr zumindest vorläufig grünes Licht fürs Rotlicht gegeben hat, nachdem das Thema im Gesundheitsministerium von einer Tischkante zur anderen geschoben worden war.

Die Stadt arbeitet an einem coronakompatiblen Konzept

Das Bordell an der Stahlstraße kann seinen Betrieb unter Hygieneauflagen nun wieder aufnehmen und die Absperrungen am Straßenstrich entlang der Gladbecker Straße sind am Freitagnachmittag abgebaut worden - erst einmal unabhängig davon, welche neue Coronaschutzverordnung das Land auf Grundlage des Gerichtsentscheids nun formulieren wird. Während man am Freitag weiter auf die Vorgaben aus Düsseldorf wartete, arbeitete die Stadt an einem coronakompatiblen Konzept.

„Es hat illegale Prostitution quer durch die Stadt gegeben“, sagt Peter Renzel rückblickend: „Jetzt hoffen wir auf eine neue Verordnung, die dazu beiträgt, dass wir wieder nah bei den Frauen sein können, um sie wirksam zu beraten und zu unterstützen“ Maike van Ackern, Leiterin der Beratungsstelle „Freiraum“, ist nach dem Gerichtsentscheid erleichtert: „Viele sind in die Illegalität abgerutscht, unter schlimmsten Voraussetzungen.“ Das Einzige, was die Helferinnen letztlich noch tun konnten, so van Ackern, war, für die Betroffenen „unfassbar viele Anträge auf Arbeitslosengeld II auszufüllen“.

Auch die Bordelle an der Stahlstraße werden ihren Betrieb wieder aufnehmen.
Auch die Bordelle an der Stahlstraße werden ihren Betrieb wieder aufnehmen. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

„Das Verbot hatte für viele Betroffene schwerwiegende Folgen“

Den Befund, dass der Beratungsstelle in der Zeit des Prostitutionsverbots keine Fälle von Übergriffen oder Gewalt gegen Prostituierte bekannt geworden sind, hält die Expertin für wenig aussagekräftig: Denn ein Opfer, das bei den Behörden vorstellig geworden wäre, hätte mit viel Ärger und einer Strafe in Höhe von 5000 Euro rechnen müssen.

Vor diesem Hintergrund heißt es auch seitens der Essener Sozialgesellschaft „cse“, die die Beratungsstelle betreibt, ganz klar: „Das Verbot hatte für viele Betroffene schwerwiegende finanzielle und damit existenzgefährdende Folgen. Es ist weiterhin wichtig, Sexarbeit nicht in die Illegalität abrutschen zu lassen, um Frauen in prekären Lebensbedingungen nicht länger zu gefährden und ihnen den Zugang zu Unterstützung und Begleitung zu ermöglichen.“

Der Straßenstrich an der B224 nimmt eine Sonderstellung ein

Während den Betreibern der Häuser an der Stahlstraße wie denen von Tattoostudios oder Massagesalons auch relativ leicht Hygieneauflagen über eine neue Coronaschutzverordnung gemacht werden können, an der das Landesgesundheitsministerium indes noch arbeitet, nimmt der Straßenstrich an der Gladbecker eine Sonderstellung ein: Es handelt sich um einen öffentlichen Raum, für den wie auf alle anderen Straßen und Plätzen keine Pandemievorschriften gelten.

Dennoch sind sich die Verantwortlichen darüber im Klaren, dass sie handeln müssen, „um die Frauen unter Coronabedingungen schützen sowie die seit über zehn Jahren herrschende Ordnung und Sicherheit in und außerhalb des Sperrbezirks wieder herstellen zu können“, sagt Peter Renzel. Gleichzeitig müsse aber auch Sorge dafür getragen werden, dass die Infektionszahlen durch die Prostitution nicht steigen. Zumal die drogenabhängigen Frauen einem gefährlichen Gesundheitsrisiko ausgesetzt sind.

„Gewisse Sexpraktiken werden einfach wegfallen“

Ein Konzept sei in Arbeit, das auch der Landesregierung unterbreitet wurde - nicht zuletzt, um nach einer Öffnung des beschützten Kreisverkehrs auf dem ehemaligen Kirmesplatzes nach wenigen Tagen nicht wieder die Schließung anordnen zu müssen, nur weil die Besonderheiten des Essener Straßenstrichs womöglich nicht zu vereinbaren wären mit der neuen Coronaschutzverordnung. Doch unabhängig davon, wie die aussieht, ist für Maike van Ackern schon jetzt klar: „Gewisse Sexpraktiken werden einfach wegfallen.“