Düsseldorf. Das Gesetz sollte Prostituierte schützen, stattdessen schreckt es sie ab. Der Landtag beschäftigt sich heute mit den Sorgen von Sexarbeiterinnen.
Die Kritik am Prostituiertenschutzgesetz nimmt in NRW zu. Vor der Landtagsdebatte über eine Stärkung der Prostituiertenberatung am heutigen Donnerstag erinnerten Sozialarbeiterinnen, die Prostituierte im Ruhrgebiet beraten, an die vielen Probleme, die das Gesetz in der Szene ausgelöst habe. Zum Teil würde die Diskriminierung, unter der Sexarbeiterinnen litten, durch die neue Gesetzgebung noch verstärkt, sagte Silvia Vorhauer von der Dortmunder „Mitternachtsmission“ dieser Redaktion. Tamara Degenhardt von der Beratungsstelle „Kober“ spricht von „Ängsten“, die das Gesetz unter Prostituierten auslöse. Viele hätten sich daher ins Private zurückgezogen.
Was steht in diesem Gesetz?
Das Prostituiertenschutzgesetz, das im Juli 2017 in ganz Deutschland in Kraft trat, war gut gemeint. Mit ihm sollten klare Regeln geschaffen werden, um diese Frauen und Männer besser zu schützen. Die ganze Szene sollte sichtbarer und kontrollierbarer werden. Kern des Gesetzes: Wer ein Bordell oder ein ähnliches Gewerbe betreibt, braucht eine Erlaubnispflicht. Die Prostitution bleibt legal, Prostituierte müssen sich aber offiziell anmelden und sich gesundheitlich beraten lassen. Die Wirkung dieser Regeln ist offenbar fatal.
Was beobachten Experten?
Aus Furcht vor den Vorschriften und behördlicher Gängelung hätten sich viele Sexarbeiterinnen ganz ins „Dunkelfeld“ verabschiedet, berichtete schon im vergangenen Jahr der Gleichstellungsausschuss des Landtages der Landesregierung. „Das Gesetz orientiert sich an vielen Stellen nicht an der Lebenswirklichkeit der Frauen“, erklärt Tamara Degenhardt von der Beratungsstelle „Kober“ in Dortmund, die NRW-weit Sexarbeiterinnen berät. Viele Betroffene fühlten sich „kontrolliert, entmündigt, stigmatisiert und kriminalisiert“, steht in einem Bericht von „Kober“ an die Landespolitik. Nur eine Minderheit empfinde das Gesetz als echten Beitrag zu ihrem Schutz. Zahlreiche Clubs und Bordellbetriebe hätten seit dem Inkrafttreten des Gesetzes geschlossen, manche Sexarbeiterinnen wollten nicht mehr in Clubs arbeiten, sondern böten ihre Dienste lieber privat über das Internet an. Eine Kontrolle werde so noch schwerer.
Wo liegen die Probleme im Detail?
Die Beratungsstellen sind alarmiert: Schon die verpflichtende Gesundheitsberatung löse Ängste aus, weil sie von vielen irrtümlich als obligatorische Gesundheitsuntersuchung eingeschätzt werde. Etwa zwei Drittel der Prostituierten in NRW haben einen Migrationshintergrund, schätzt Degenhardt. Das Misstrauen gegenüber Behörden sei unter diesen Frauen groß, ihre Deutschkenntnisse oftmals gering. Manche hätten Angst vor Steuer-Nachzahlungen, weil ihre Daten den Finanzbehörden zur Verfügung gestellt werden. Die fälschungssichere Anmeldebescheinigung mit Foto erhöhe die Gefahr, erpresst zu werden oder im engsten privaten Umfeld als Prostituierte aufzufallen. „Diese Dokumente können verloren und geklaut werden. Kinder könnte sie zufällig in einer Jacke finden“, sagte Silvia Vorhauer von der Mitternachtsmission dieser Redaktion.
Manche Experten fordern nur Nachbesserungen am Gesetz, Dorothee Schmidt vom Verein „Madonna“ ist sogar dafür, dass Gesetz ganz „zu streichen“. Gerade der Zwang zur Anmeldung und Gesundheitsberatung werde von Sexarbeiterinnen vor allem als „Drangsalierung“ wahrgenommen. Gewerberechtliche Auflagen für Bordellbetriebe sind aber aus Sicht von Dorothee Schmidt grundsätzlich in Ordnung.
Immer wieder kritisiert wird, dass Kleinstbetriebe, in denen zwei Frauen in einer Wohnung Dienste anbieten, praktisch genauso behandelt werden wie Großbordelle wie das „Pascha“ in Köln. „Da werden zum Beispiel zwei getrennte Toiletten und zwei getrennte Waschmöglichkeiten verlangt. Wie soll das gehen in einer kleinen Wohnung?“, fragt Dorothee Schmidt. Silvia Vorhauer von der „Mitternachtsmission“ sagt, die Frauen dürften auch in Kleinstbetrieben nicht mehr an ihrem Arbeitsplatz schlafen. „Das geht an der Arbeitswirklichkeit völlig vorbei“, erklärt sie. Wirklich wichtige Dinge wie der Zugang zu einer Krankenversicherung regele das Gesetz aber leider nicht.
Wo landen die Daten, die ich den Behörden geben muss?
Diese Sorge treibt offenbar viele Prostituierte um, versichern die Beratungsstellen. Das Vertrauen in den Staat sei bei Menschen, die aus anderen Ländern kommen, oftmals nicht ausgeprägt. In Bulgarien und Rumänien ist die Prostitution verboten. „Die Frauen befürchten, dass ihre Daten an ihre Heimatländer übermittelt werden“, so Tamara Degenhardt. Die Sorge: Die Familien dort könnten erfahren, dass sich ihr Verwandter in Deutschland prostituiert.
Worüber berät der Landtag?
CDU und FDP legen dem Landtag am Donnerstag einen Antrag vor, der auf eine Ausweitung der Prostituiertenberatung überall in NRW zielt. Das von Sozialdienst katholischer Frauen getragene „Kober“-Büro, die „Mitternachtsmission“ in Dortmund, der Verein „Madonna“ in Bochum und das Angebot „Tamar“ der Evangelischen Frauenhilfe Westfalen werden von den Fraktionen ausdrücklich gewürdigt.
Der Bund will das Prostituiertenschutzgesetz ab Sommer 2022 bis Mitte 2025 wissenschaftlich überprüfen. CDU und FDP im Landtag dringen auf ein weiteres Forschungsprojekt, um der Bundesregierung in den kommenden Jahren besser erklären zu können, an welchen Stellen dieses Gesetz nicht funktioniert.
Wie viele Prostituierte arbeiten in NRW?
Das lässt sich nur grob schätzen. Zwischen 25.000 und 40.000 soll die Zahl liegen, aber es gibt keine seriöse Rechnung, auf die sich das stützt. Offiziell angemeldet waren nach dem Prostituiertenschutzgesetz Ende 2018 insgesamt rund 33.000 in Deutschland, in NRW gab es in jenem Jahr 7300 Neuanmeldungen. Neuere Zahlen liegen derzeit nicht vor. Silvia Vorhauer erklärt, der Dortmunder „Mitternachtsmission“ seien etwa 600 Prostituierte in dieser Revierstadt bekannt. Aber auch hier gibt es eine vermutlich große Dunkelziffer.
Woher kommen die Sexarbeiterinnen und -arbeiter in NRW?
Der überwiegende Anteil – rund zwei Drittel – stammt laut einem Bericht von „Kober“ aus Osteuropa, insbesondere aus Rumänien, Bulgarien, Polen, Russland, Tschechien und Ungarn. Einige kommen aus Lateinamerika (sechs Prozent) und Asien (vier Prozent) Etwa elf Prozent stammen ursprünglich aus Deutschland. Oftmals sind das Bildungsniveau und die Deutschkenntnisse gering, gesundheitliche Probleme und ungewollte Schwangerschaften sind recht häufig.