Düsseldorf. Ist die Corona-Krise eine Denkpause für die Politik in Sachen Prostitution? Schweden wirbt in NRW für eine Abkehr vom Geschäft mit dem Sex.

Ende August kam es in der Bannmeile des Landtags zu einer ungewöhnlicher Demonstration. Freundliche Damen in Strapsen und Lackröcken forderten die Landesregierung auf, nach der Corona-Zwangspause endlich wieder die Bordelle zur öffnen. An alle werde gedacht, nur nicht an die Sexarbeiterinnen, lautete damals die Klage. Prostitution als ganz normale Dienstleistung – dieser Eindruck sollte sich bei dieser Demonstration verfestigen.

Per-Anders Sunesson spiegelte einigen Landtagsabgeordneten und Vertretern der Landesregierung in dieser Woche dagegen eine ganz andere Realität aus dem Rotlicht-Milieu. Der schwedische Sonderbotschafter für die Bekämpfung des Menschenhandels war nach Düsseldorf gekommen, um für das „nordische Modell“ zu werben. In Schweden ist der Sexkauf seit über 20 Jahren verboten. Bei Verstößen gegen die Gesetzeslage werden nicht die Prostituierten bestraft, sondern die Kunden.

„Schuld sind die, die Sex kaufen“

Seither seien Straßenprostitution und Gewaltdelikte gegen Huren stark rückläufig, sagte Sunesson. Vor allem habe sich ein gesellschaftlicher Bewusstseinswandel vollzogen. Bei jüngeren Männern sei die Ablehnung von Prostitution messbar gewachsen. Inzwischen sind EU-Staaten wie Irland oder Frankreich dem schwedischen Weg gefolgt. Die Argumente, dass man „das älteste Gewerbe der Welt“ ohnehin nicht eindämme könne, nannte Sunesson „falsche Fakten“. Für ihn steht fest: „Schuld sind die, die Sex kaufen wollen.“

Der Schwede wünscht sich, dass - ausgehend von NRW - auch Deutschland in der Corona-Zwangspause seine weltweit liberalste Prostitutionsgesetzgebung überdenkt. Doch die Bereitschaft scheint gerade in Düsseldorf nicht besonders ausgeprägt zu sein. Erst Anfang September haben die Regierungsfraktionen von CDU und FDP einen Antrag in den Landtag eingebracht, der sich klar zur Prostitution bekennt. „Für die Wirksamkeit des Nordischen Modells gibt es keine gesicherten Belege“, heißt es darin. Die Abnahme „sichtbarer Prostitution“ könne auch mit der Zunahme von Online-Angeboten erklärt werden. „Aus Sicht der NRW-Koalition von CDU und FDP würde ein Wechsel hin zum Nordischen Modell Prostitution in den Bereich der Illegalität, ins Dunkelfeld, verschieben.“

Schweden hat den Prostituierten mehr Macht gegenüber den Männern gegeben

Sunesson hat diese Argumente seit seiner Berufung zum Sonderbotschafter vor vier Jahren schon häufig gehört. Er hält sie für wenig stichhaltig. In Ländern wie Schweden sei die Prostitution zwar nicht vollständig verschwunden, doch hätten die Prostituierten dort viel leichtere Zugänge zu Polizei und Ärzten: „Das Gesetz hat den Frauen die Macht dazu gegeben, die sie vorher nicht hatten.“

Auch die langjährige „Spiegel“-Journalistin Barbara Schmid sieht eine deutliche Schieflage in der deutschen Debatte über Prostitution. Die Politik orientiere sich zu stark an einer lautstarken Minderheit unter den Sexarbeiterinnen. Es gebe 400.000 Prostituierte in Deutschland, doch nur zehn Prozent davon seien angemeldet und gut organisiert. „Die riesige Mehrzahl der Frauen würde sich anders entscheiden. 90 Prozent haben keine Stimme“, sagt Schmid.

Ehemalige Spiegel-Journalistin recherchierte über Jahre Loverboy-Masche

Die Journalistin hat über Jahre das Schicksal einer Zwangsprostituierten recherchiert, die als junges Mädchen aus bürgerlichen Verhältnissen über die sogenannte „Loverboy“-Masche von ihrem Reitlehrer emotional abhängig gemacht und ins Rotlichtmilieu gelockt wurde. Schmids Buch „Schneewittchen und der böse König“ zeichnet erschütternde Verhältnisse nach, in denen eine von Alkohol und Gewalt gefügig gemachte junge Frau in elf Jahren 25.000 Freier bedienen muss.

Für Schmid ist das kein Einzelfall. Sie rechnet vor, dass in Laufhäusern des Ruhrgebiets die oft ausländischen Prostituierten zunächst einmal Wuchermieten für ihr Zimmer von 130 bis 160 Euro am Tag abarbeiten müssten – bei Löhnen von manchmal nur 15 Euro pro Mann. Schmid sagt: „Wir haben eine Gesetzeslage, die Freier einlädt, solche Verhältnisse auszunutzen.“