Essen. Kinderärzte arbeiten nicht nur in der Notdienstpraxis am Elisabeth-Krankenhaus, sie finanzieren sie auch. Nun sollen sie viermal so viel zahlen.

Wenn ein Kind akut schwere, gesundheitliche Probleme hat, können sich Eltern abends oder am Wochenende an die Kindernotdienstpraxis am Elisabeth-Krankenhaus in Essen-Huttrop wenden. Die gut 40 Essener Kinderärzte sind hier im Wechsel im Einsatz. Per Umlage finanzieren sie die Praxis auch; doch das sorgt nun für Unmut: Die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein (KVNo) hat ihren Beitrag mehr als vervierfacht. „Die Ankündigung hat für einen Aufschrei unter den Kollegen gesorgt“, sagt Dr. Ludwig Kleine-Seuken, scheidender Obmann der Kinder- und Jugendärzte in Essen.

Essener Kinderärzte sollen jeweils 1000 Euro nachzahlen

Die Mediziner erfuhren von dem Vorhaben im Juni durch ein Schreiben der Essener KV. Darin heißt es: „Im Jahr 2022 sind durch die leider notwendige Umorganisation der Notdienstpraxen Kostenverschiebungen entstanden, die aktuell eine erhebliche Unterdeckung zur Folge haben.“ Daher müsse jeder Kinderarzt künftig 690 Euro pro Quartal zahlen – statt bisher 160 Euro. Um die Unterdeckung auszugleichen, stellt die KV jedem Kinderarzt noch eine einmalige Zahlung von 1000 Euro in Rechnung. In diesem Jahr kommen also auf jeden Kinderarzt Mehrkosten von insgesamt 3120 Euro zu.

Eine Erhöhung kommt auch auf die Allgemeinärzte zu, die in den Notdienstpraxen Steele und Rüttenscheid Dienst tun: Hier steigt der Beitrag pro Quartal von 310 auf 430 Euro bzw. von 220 auf 245 Euro. Auch die Einmalzahlungen fallen viel niedriger aus: In Steele sind es 450, in Rüttenscheid 225 Euro. Bei den drei weiteren Notdienstpraxen sei man noch „in der Prüfung“.

Krankenhäuser wollen die Praxiskosten nicht länger mittragen

Die KV begründet die Anhebung der Umlage einmal mit gestiegenen Personalkosten, die wohl die Medizinischen Fachangestellten (MFA) betreffen, die die Praxen steuern. Zum anderen nennt der Brief „die nun zu Recht nicht mehr stattfindende Subventionierung der einzelnen Notdienstpraxen durch die Kliniken“. Jahrelang trugen Krankenhäuser die Notpraxen mit, obwohl sich diese zwar meist auf dem Klinikgelände befinden, formal aber allein von der KV betrieben werden.

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„In den Jahren von 2004 bis Ende 2022 gab es eine vertragliche Regelung zwischen der KV-Nordrhein und dem Elisabeth-Krankenhaus, die die Bereitstellung sowie die Vergütung von Räumlichkeiten, Material und Personal regelte“, bestätigt Dorothee Renzel, Sprecherin des Elisabeth-Krankenhauses. Bereits 2020 habe das „Elli“ angestoßen, den Vertrag zu ändern, da seine Bestandteile „nicht mehr zeitgemäß“ waren, so Renzel. Anfang 2023 wurde die Neuregelung wirksam, die zu der jetzigen Unterdeckung führte.

Rund 22 Euro dürfen die Ärzte pro Patient abrechnen

Ludwig Kleine-Seuken versteht den Rückzug der Klinik. Er weist aber darauf hin, dass die Dienste für ihn und seine Kollegen nun zum Teil nicht mal kostendeckend seien. „Nicht in jedem Notdienst sind wir gleichmäßig ausgelastet, es gibt auch Leerlauf. Vor allem im Sommer, besonders während der Schulferien.“ Gut 22 Euro könne er für einen Patienten abrechnen, je nach Tageszeit und Alter des Kindes falle der Satz niedriger oder höher aus.

Wenn er wie im dritten Quartal 2022 lediglich 72 Patienten im Notdienst behandle, zahle er am Ende drauf. Denn er bringt – wie viele Kollegen – eine Mitarbeiterin mit, „um die Dokumentation und zusätzliche Aufgaben wie Streptokokken-Test, Urinuntersuchungen oder Verbände schneller schaffen zu können“. So müsse er von seiner Vergütung neben der 690 Euro-Pauschale das Gehalt für die MFA abziehen; dazu berechne die KV, Verwaltungskosten von 2,8 Prozent.

Kassenärztliche Vereinigung nennt die Notdienste unterbezahltes Ehrenamt

Ist die Notdienstpraxis wie Weihnachten 2022 hoffnungslos überfüllt, macht der Kinderarzt einen Gewinn – gerät aber auch an seine Grenzen. Etwa 14 bis 16 Dienste pro Jahr müsse jeder Pädiater leisten, so Kleine-Seuken. Verpflichtend, wie die Essener KV in ihrem Brief betont: Der Notdienst gehöre zum Sicherstellungsauftrag der Kinderärzte, „leider nur nicht kostendeckend, sondern als unterbezahltes Ehrenamt“. Die Familien können also weiter auf das Angebot vertrauen. Und die Mediziner könnten die Notdienste als „menschliche und politische Werbungskosten für uns als ärztliche Unternehmer sehen“. Der als Trost gedachte Satz, ärgert Kleine-Seuken: „Wir müssen für unsere Praxen nicht werben! Wir haben fast alle genug zu tun.“

Kinderarztpraxen sind in der Regel gut frequentiert, viele Ärzte können keine neuen Patienten mehr aufnehmen. (Symbolbild)
Kinderarztpraxen sind in der Regel gut frequentiert, viele Ärzte können keine neuen Patienten mehr aufnehmen. (Symbolbild) © FUNKE Foto Services | Lukas Schulze

Zudem verstimmt die Kinderärzte, die nicht zu den Topverdienern der Ärzteschaft zählen, dass ausgerechnet sie die höchsten Umlagen pro Quartal zahlen sollen. Dazu schreibt die KV Essen in ihrem Brief, man könne die Ungerechtigkeit aktuell leider nicht bereinigen, „was uns sehr traurig stimmt“. Ziel sei: „Diejenigen, die den Notdienst an der Front durchführen, sollen für ihre Arbeit wertschätzend entlohnt werden.“

Manche Fachärzte müssen gar keine Umlage zahlen

Dieses Ziel teilt auch die KVNo-Zentrale in Düsseldorf. Noch variierten Dienstzeiten und finanzielle Belastungen der Ärzte deutlich. Was auch an der „jeweiligen Anzahl der Fachärztinnen und Fachärzte“ liege, die in den Notpraxen arbeiten. Die eher kleine Gruppe der Kinderärzte muss demnach relativ viele Dienste schultern – und pro Kopf mehr zahlen. „Es ist das Ziel der KVNo, die Finanzierungsstruktur zeitnah zu vereinheitlichen.“ Dazu müsste man indes jene Fachärzte (etwa Gynäkologen oder Urologen) einbeziehen, die Notdienste in der eigenen Praxis erledigen: Sie zahlen „bisher keine Umlage“.

Die Pädiater hätten in der Pandemie „hohe Einsatzbereitschaft“ gezeigt, sagt die KVNo in Düsseldorf, dies müsse sich künftig auch in einer fairen Honorierung im Notdienst widerspiegeln: „Hier sind Politik und Kassen am Zug.“