Essen. Wenn Christian (17) ein RWE-Spiel im Stadion sehen will, scheitert er oft an anderen Fans. Sie nehmen ihm die Sicht, es fliegen auch Bierbecher.

Uwe Müller und sein Sohn Christian sind große Fußballfans, doch in jüngster Zeit ärgern sie sich, wenn sie die Heimspiele im Stadion Essen verfolgen. Das liegt nicht an der Performance der Rot-Weissen auf dem Platz, sondern am Auftreten einiger RWE-Fans am Spielfeldrand. Die nähmen keine Rücksicht auf Rollstuhlfahrer wie den 17-jährigen Christian, sagt Uwe Müller. „Jedes Mal stehen im Rolli-Bereich Zuschauer ohne Behinderung im Weg, versperren die Sicht. Immer wieder werfen betrunkene Fans Bierbecher.“ Der Ordnungsdienst bekomme das Problem nicht in den Griff.

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Müller meint, der Verein müsse dafür sorgen, dass auch Fans mit Handicap das Spiel verfolgen könnten; doch das sei oft unmöglich. Beim RWE-Heimspiel gegen Wiesbaden am 23. März sei die Lage eskaliert: Da habe er einen Mitarbeiter des Ordnungsdienstes gebeten, einen offenbar alkoholisierten Fan aus dem Rolli-Bereich zu verweisen. „Doch dann zeigte dieser Zuschauer einen Ausweis und sagte, er sei zwar privat im Stadion, gehöre aber selbst zum Ordnungsdienst.“

Ärger mit alkoholisiertem Fan im Rollstuhlbereich des Essener Stadions

Mit dieser Begründung habe sich der Mann geweigert, zu weichen. Dann verlor er – möglicherweise alkoholbedingt – das Gleichgewicht und riss im Fall den Schirm an Christians Rollstuhl mit. 114 Euro musste Müller im Sanitätshaus für einen Ersatzschirm bezahlen. Nun fragt er sich, wer ihm die Kosten ersetzt. RWE habe ihm erklärt, er müsse sich an den Zuschauer halten, der den Schirm beschädigt hat.

Große RWE-Fans: Christian (l.) und Uwe Müller. Bei einem Heimspiel beschädigte ein anderer Fan den Schirm an Christians Rollstuhl.
Große RWE-Fans: Christian (l.) und Uwe Müller. Bei einem Heimspiel beschädigte ein anderer Fan den Schirm an Christians Rollstuhl. © UM

„Das ist eine zivilrechtliche Angelegenheit, die beide untereinander regeln müssen“, erklärt RWE-Pressesprecher Niclas Pieper. „Aber wir haben vermittelt, und der Betroffene hat zugesichert, sich bei Herrn Müller zu melden.“ Doch dies geschah nicht. Nun bleibe Herrn Müller die Möglichkeit, den Mann anzuzeigen, meint der Verein. Die Polizei habe ihm von einer Anzeige jedoch abgeraten, sagt Müller: „Es handle sich nicht um eine Straftat, sondern um einen Unfall.“

Er habe die Mobilnummer des Betroffenen, doch der reagiere auf seine Anrufe nicht, sagt Uwe Müller. Im Übrigen finde er, dass RWE eine Mitverantwortung trage: „Es geht ja um einen Mitarbeiter des Ordnungsdienstes.“ Und dieser werde vom Verein beauftragt. „Der Mann ist ehemaliger Mitarbeiter des Ordnungsdienstes, wir setzen ihn nur noch punktuell für Hilfsarbeiten ein“, wendet Pieper ein. „Er ist weder fest angestellt, noch war er an dem Spieltag im Einsatz.“

Behinderten-Parkplätze oft blockiert, Verein greife nicht durch

RWE gelinge es leider regelmäßig nicht, die Situation im und am Stadion wirkungsvoll zu kontrollieren, findet Müller. „Auch die Behinderten-Parkplätze sind oft blockiert, die Behinderten-Toiletten werden von anderen Zuschauern benutzt. Und Christian sieht nur die Rücken der vor ihm stehenden Fans.“

Seine Frau und seine Tochter gingen schon nicht mehr ins Stadion, weil sie auf lautstarke Auseinandersetzungen und Bierduschen lieber verzichten. Dass das halt zum Spielbetrieb gehört, wie man ihm mitunter sage, mag Müller nicht hinnehmen: „Wenn wir beim BVB in Dortmund sitzen, ist alles perfekt geregelt und der Rollstuhlbereich besonders geschützt.“

Fiebern auch schon lange mit dem BVB: Vor zehn Jahren konnte Uwe Müller mit seinem kleinen Sohn Christian zum Champions-League- Finale nach London fahren.
Fiebern auch schon lange mit dem BVB: Vor zehn Jahren konnte Uwe Müller mit seinem kleinen Sohn Christian zum Champions-League- Finale nach London fahren. © WAZ FotoPool | Sebastian Konopka

Tatsächlich gebe es im Essener Stadion keinen strikt abgetrennten Behindertenbereich, erklärt Niclas Pieper: „Vor den Rollstuhlplätzen gib es normale Sitzplätze. Wenn die Zuschauer bei einem Tor aufspringen, kann das kein Ordner verhindern.“ Auch andere Rollstuhlfahrer schilderten, dass Fans dann während des gesamten Spiels stehen blieben. „In anderen Stadien verfolgen die Rolli-Fahrer das Spiel vom Spielfeldrand, das geht bei uns aktuell nicht.“ Es handle sich um ein bauliches Problem, das RWE als Mieter nicht lösen könne. „Wir werden uns aber mit der GVE austauschen und schauen, ob und wie wir die aktuelle Situation verbessern können.“

Planer gingen davon aus, dass die Fans sitzen bleiben – ein Irrtum

Doch auch die städtische Grundstücksverwaltung Essen (GVE) als Hausherrin hat keine kurzfristige Lösung. „In den Planungen ging man davon aus, dass die Fans in den Reihen vor dem Rollstuhlbereich sitzen bleiben – nur war das nie so“, sagt GVE-Sprecher Markus Kunze. Lange habe RWE die Plätze deshalb gar nicht besetzt. Erst seit mit dem RWE-Aufstieg der Zuspruch wuchs, vermarkte man diese Plätze – mit den geschilderten Folgen.

Insgesamt gebe es 46 Rollstuhlfahrerplätze plus ebenso viele für Begleitpersonen. Der Großteil der Rolli-Plätze (38) befinde sich auf der Nordtribüne, wo auch Vater und Sohn Müller sitzen. Weitere acht auf der Sparkassen-Tribüne. Wenn man diese Bereiche quasi aufbockte, damit die Fans im Rollstuhl freie Sicht haben, sähen die Zuschauer auf den dahinterliegenden Plätzen – etwa im VIP-Bereich – nichts mehr.

In anderen Stadien sitzen Rolli-Fahrer direkt am Spielfeldrand

In anderen Stadien säßen Fans mit Handicap im Innenbereich, auch im abgerissenen Georg-Melches-Stadion hätten sie näher am Spielfeld gesessen. „Das ließ sich beim Neubau so nicht realisieren“, bedauert Kunze. „Die jetzigen Plätze sind eigentlich gut – so lange die anderen sitzenbleiben. Der Verein muss da eine intensivere Ansprache üben, damit sich die Fans setzen.“

Die GVE selbst hat in diesem Jahr erstmal sechs neue Rolli-Plätze auf der G-Tribüne geschaffen – mit freiem Blick. Bis weitere solcher Plätze folgen, dürfte einige Zeit vergehen: „Das passiert mit dem Ausbau der Stadion-Ecken.“